rei GlaubensbüHer unserer Zeit.
Willman inunsererzeitgenössischenDichtung,wie
sie vor dem Krieg war, einen Auftrieb erkennen und an-
erkennen, so ist es ihre Befreiung aus der bürgerlichen
Zimmerluft; die zur Zeit Goethes als eine hohe Flamme
geleuchtet hatte, war in den Tagen der Ebers und Baum-
bach zum Herdfeuer der Behaglichkeit geworden: sie ver-
dichtete die Selbstzufriedenheit der sogenannten Bildung
und war nicht mehr fahig und gewillt, Sinnbilder unseres
wirklichen Volkstums zu schaffen. Jndem der sogenannte
Naturalismus die soziale Frage und danach der sogenannte
Impressionismus die gesteigerte Empfindlichkeit des mo-
dernen Geistes in ihre Befangenheit brachten, gaben sie
dem dichterischen Gefühl Brennstoff und Antrieb, wieder
im hohen Sinn des Wortes volkstümlich zu werden.
Daß hierbei die persönliche Empfindung im Gegensatz zu
einer gefühllosen oder doch gefühlsschwachen Konvention
überwichtig genommen wurde, war eine fast selbst-
verstandliche Folge der argen Austande unseres geistigen
Lebens: die Schicksalsfrage unserer schweren Stunden
aber ist, ob diese Überschätzung weiter gepflegt, oder ob
endlich versucht werden soll, die Demut der Gemein-
schaft wiederzufinden, aus der allein Sinnbilder volks-
tümlicher Dichtung möglich sind?
Wem diese Frage überflüssig oder gar rückstandig
scheint, der möge einmal mit dem Maßstab Goethes
— menschlich, nicht künstlerisch — die Erzeugnisse messen,
die uns als erpressionistische Iukunft der deutschen Dich-
tung auf Vorschuß angeboten werden: an ihre Eitelkeit
scheint der Finger Gottes unserer schweren Ieit noch
nicht gerührt zu haben, so unentwegt werden die Sensa-
tionen der eigenen Persönlichkeit in gereimte und un-
gereimte Sätze gebracht. Sie überschärfen die Ver-
einzelung, die der unselige Trieb der europäischen
Kultur seit der Renaissance war, und glauben in die
Aukunft zu leuchten, indem sie auf der letzten dünnen
Spitze das Feuerwerk ihrer Persönlichkeit abbrennen.
So gehören sie aufs unseligste zu der vermeintlichen
europäischen Kultur, die sich gegenwärtig mit allen Mord-
maschinen des Satans selber zerfleischt.
Denn die vielgerühmte Befreiung der Persönlichkeit
aus der angeblichen Duncpsheit des Mittelalters ist zu-
gleich ihre Entwurzelung gewesen und hat schließlich zu
der Gottverlassenheit gesührt, aus der alle Sinnlosigkeit
der nun zugrunde gehenden europäischen Kultur ge-
deutet werden kann. Die raffinierte Aivilisation allein
ist kein Lebensgrund der Menschheit: das ist die ge-
waltige Lehre dieses Krieges! und nichts wäre zynischer,
als an einen Frieden zu denken, der unö die Fortsetzung
des vergangenen Austandes brachte, wo die Persönlich-
keit ihre Jdeale gleich Windvögeln an dünnen Schnüren
steigen ließ. Soviel wir nach der Schuld an diesem
grausamen Ausammenbruch suchen, irgendwie finden
wir den Schuldigen in uns selber: weil der Einzelne den
Lebensgrund verloren hatte, konnte er ouch in unserer
anscheinend so wohlgeordneten Gemeinschaft nicht halt-
bar sein, die schließlich doch nur auf das Wohlergehen
zielte. Und nicht anders werden wir zu einem positiven
Ergebnis dieses Krieges kommen als in eincr Wandlung
unserer Seelen: unser Gefühl muß aufhören, das Pfau-
rad der eigenen Persönlichkeit zu schlagen, es muß von
/
Grund auf wieder glaubig und dienstbar werden. Das
aber wird nicht für die Massen gelten können, solange
es nicht für die Denker und Dichter gilt, die den Kops
und das Herz des Volkes vorstellen. Und hier — das
wollen wir endlich bekennen — hat es uns grausam ge-
fehlt; der Seelenschatz des Volkes war verloren gegangen
in der Vereinzelung seiner verantwortungsvollen Hüter:
sie waren Diener des Aeitgeistes geworden, statt Pro-
phcten der Ewigkeit zu sein.
Darum: nur, wo die Stimme der Ewigkeit wieder
anfängt zu tönen, nur da vermögen die Ohren noch
hoffend zu lauschen, weil die tiefe Not unserer Ver-
einzelung nach Sammlung schreit. Das glänzendste
Feuerwerk der Persönlichkeit ist neben dem Aufbrüllen
der Sommeschlacht unerträglich geworden: wer uns als
Dichter kommt, soll der verzweifelten Seele den Lebens-
grund zeigen, wo sie allen Greueln zum Trotz glaubig
gehen kann.
Wir sind ja leider so weit gekommen, daß man solche
Worte nicht in den Mund nehmen darf, ohne der Bet-
bruderschaft verdächtigt zu werden, weil auch dies zum
Wesen der europaischen Kultur gehörte, daß ihr religiöses
Leben unter die Räder einer staatlich konzessionierten
Kirchlichkeit geraten war. Um es deutsch zu sagen, es
gehörte zum guten Ton, Christus und das Evangelium
der Kirche zu überlassen und in der „gebildeten Gesell-
schaft" dahin gehörende Worte zu vermeiden: nicht so
sehr mit Unrecht, weil diese Worte durch unpassenden
Gebrauch entwertet waren. Es kann auch nicht einmal
erwünscht sein, daß es anders damit würde; so lange
wenigstens nicht, bis ihre Werte eine Erneuerung in
unserem Gefühl erfahren haben. Christus als Gegen-
stand der Kirchenlehre und Christus als Sinnbild des
erlösten Menschengeistes sind durch den Abgrund der
modernen Bildung voneinander geschieden; und ehe
dieser Abgrund nicht mit lebendigem Gefühl gefüllt ist,
werden die Worte hüben und drüben verschiedene
Münzen sein.
Daß aber dieser Abgrund gefüllt werde, daß wir aus
dem Dunkel der Denkbildung wieder zu cinem Erwachen
der Seele kämen, daß wir demütig in unser gemeinsames
Menschenschicksal eingingen, statt unser vereinzeltes Jch
vor Gott und der Welt zu spreizen: das ist die Mahnung
der Stunde, der sich der Einzelne trotzig und leichtfertig
entziehen kann, nicht aber der Einzige, in dessen Hand
„der Menschheit Würde" zur Bewahrung gegeben ist.
Denn Dichter sein im volkstümlichen Sinn seiner Sen-
dung kann in dieser Stunde nur der, in dessen Seele
sich die Ungeheuerlichkeit ihrer Not zu Sinnbildern des
Trostes, der Aufrichtung und der unbesiegbaren Seelen-
stärke verdichtet. Schon mehren sich die Aeichen, daß
unsere Literatur diesen Weg zur Dichtung antritt; und
es soll im folgenden von einigen Büchern die Rede sein,
darin diese Wiedergeburt der Seele deutlich wird.
* -l-
„Der Narr in Christo" heißt das erste, und sein
Dichter ist Gerhart Hauptmann. Es wurde lange
vor dem Krieg geschrieben, erschien aber nun in einer
Volksausgabe, die nach der hofsnungsvollen Meinung
seines Verlegers „den weitesten Leserkreis suchen und
finden wird". Obwohl ich dem merkwürdigen Roman
Willman inunsererzeitgenössischenDichtung,wie
sie vor dem Krieg war, einen Auftrieb erkennen und an-
erkennen, so ist es ihre Befreiung aus der bürgerlichen
Zimmerluft; die zur Zeit Goethes als eine hohe Flamme
geleuchtet hatte, war in den Tagen der Ebers und Baum-
bach zum Herdfeuer der Behaglichkeit geworden: sie ver-
dichtete die Selbstzufriedenheit der sogenannten Bildung
und war nicht mehr fahig und gewillt, Sinnbilder unseres
wirklichen Volkstums zu schaffen. Jndem der sogenannte
Naturalismus die soziale Frage und danach der sogenannte
Impressionismus die gesteigerte Empfindlichkeit des mo-
dernen Geistes in ihre Befangenheit brachten, gaben sie
dem dichterischen Gefühl Brennstoff und Antrieb, wieder
im hohen Sinn des Wortes volkstümlich zu werden.
Daß hierbei die persönliche Empfindung im Gegensatz zu
einer gefühllosen oder doch gefühlsschwachen Konvention
überwichtig genommen wurde, war eine fast selbst-
verstandliche Folge der argen Austande unseres geistigen
Lebens: die Schicksalsfrage unserer schweren Stunden
aber ist, ob diese Überschätzung weiter gepflegt, oder ob
endlich versucht werden soll, die Demut der Gemein-
schaft wiederzufinden, aus der allein Sinnbilder volks-
tümlicher Dichtung möglich sind?
Wem diese Frage überflüssig oder gar rückstandig
scheint, der möge einmal mit dem Maßstab Goethes
— menschlich, nicht künstlerisch — die Erzeugnisse messen,
die uns als erpressionistische Iukunft der deutschen Dich-
tung auf Vorschuß angeboten werden: an ihre Eitelkeit
scheint der Finger Gottes unserer schweren Ieit noch
nicht gerührt zu haben, so unentwegt werden die Sensa-
tionen der eigenen Persönlichkeit in gereimte und un-
gereimte Sätze gebracht. Sie überschärfen die Ver-
einzelung, die der unselige Trieb der europäischen
Kultur seit der Renaissance war, und glauben in die
Aukunft zu leuchten, indem sie auf der letzten dünnen
Spitze das Feuerwerk ihrer Persönlichkeit abbrennen.
So gehören sie aufs unseligste zu der vermeintlichen
europäischen Kultur, die sich gegenwärtig mit allen Mord-
maschinen des Satans selber zerfleischt.
Denn die vielgerühmte Befreiung der Persönlichkeit
aus der angeblichen Duncpsheit des Mittelalters ist zu-
gleich ihre Entwurzelung gewesen und hat schließlich zu
der Gottverlassenheit gesührt, aus der alle Sinnlosigkeit
der nun zugrunde gehenden europäischen Kultur ge-
deutet werden kann. Die raffinierte Aivilisation allein
ist kein Lebensgrund der Menschheit: das ist die ge-
waltige Lehre dieses Krieges! und nichts wäre zynischer,
als an einen Frieden zu denken, der unö die Fortsetzung
des vergangenen Austandes brachte, wo die Persönlich-
keit ihre Jdeale gleich Windvögeln an dünnen Schnüren
steigen ließ. Soviel wir nach der Schuld an diesem
grausamen Ausammenbruch suchen, irgendwie finden
wir den Schuldigen in uns selber: weil der Einzelne den
Lebensgrund verloren hatte, konnte er ouch in unserer
anscheinend so wohlgeordneten Gemeinschaft nicht halt-
bar sein, die schließlich doch nur auf das Wohlergehen
zielte. Und nicht anders werden wir zu einem positiven
Ergebnis dieses Krieges kommen als in eincr Wandlung
unserer Seelen: unser Gefühl muß aufhören, das Pfau-
rad der eigenen Persönlichkeit zu schlagen, es muß von
/
Grund auf wieder glaubig und dienstbar werden. Das
aber wird nicht für die Massen gelten können, solange
es nicht für die Denker und Dichter gilt, die den Kops
und das Herz des Volkes vorstellen. Und hier — das
wollen wir endlich bekennen — hat es uns grausam ge-
fehlt; der Seelenschatz des Volkes war verloren gegangen
in der Vereinzelung seiner verantwortungsvollen Hüter:
sie waren Diener des Aeitgeistes geworden, statt Pro-
phcten der Ewigkeit zu sein.
Darum: nur, wo die Stimme der Ewigkeit wieder
anfängt zu tönen, nur da vermögen die Ohren noch
hoffend zu lauschen, weil die tiefe Not unserer Ver-
einzelung nach Sammlung schreit. Das glänzendste
Feuerwerk der Persönlichkeit ist neben dem Aufbrüllen
der Sommeschlacht unerträglich geworden: wer uns als
Dichter kommt, soll der verzweifelten Seele den Lebens-
grund zeigen, wo sie allen Greueln zum Trotz glaubig
gehen kann.
Wir sind ja leider so weit gekommen, daß man solche
Worte nicht in den Mund nehmen darf, ohne der Bet-
bruderschaft verdächtigt zu werden, weil auch dies zum
Wesen der europaischen Kultur gehörte, daß ihr religiöses
Leben unter die Räder einer staatlich konzessionierten
Kirchlichkeit geraten war. Um es deutsch zu sagen, es
gehörte zum guten Ton, Christus und das Evangelium
der Kirche zu überlassen und in der „gebildeten Gesell-
schaft" dahin gehörende Worte zu vermeiden: nicht so
sehr mit Unrecht, weil diese Worte durch unpassenden
Gebrauch entwertet waren. Es kann auch nicht einmal
erwünscht sein, daß es anders damit würde; so lange
wenigstens nicht, bis ihre Werte eine Erneuerung in
unserem Gefühl erfahren haben. Christus als Gegen-
stand der Kirchenlehre und Christus als Sinnbild des
erlösten Menschengeistes sind durch den Abgrund der
modernen Bildung voneinander geschieden; und ehe
dieser Abgrund nicht mit lebendigem Gefühl gefüllt ist,
werden die Worte hüben und drüben verschiedene
Münzen sein.
Daß aber dieser Abgrund gefüllt werde, daß wir aus
dem Dunkel der Denkbildung wieder zu cinem Erwachen
der Seele kämen, daß wir demütig in unser gemeinsames
Menschenschicksal eingingen, statt unser vereinzeltes Jch
vor Gott und der Welt zu spreizen: das ist die Mahnung
der Stunde, der sich der Einzelne trotzig und leichtfertig
entziehen kann, nicht aber der Einzige, in dessen Hand
„der Menschheit Würde" zur Bewahrung gegeben ist.
Denn Dichter sein im volkstümlichen Sinn seiner Sen-
dung kann in dieser Stunde nur der, in dessen Seele
sich die Ungeheuerlichkeit ihrer Not zu Sinnbildern des
Trostes, der Aufrichtung und der unbesiegbaren Seelen-
stärke verdichtet. Schon mehren sich die Aeichen, daß
unsere Literatur diesen Weg zur Dichtung antritt; und
es soll im folgenden von einigen Büchern die Rede sein,
darin diese Wiedergeburt der Seele deutlich wird.
* -l-
„Der Narr in Christo" heißt das erste, und sein
Dichter ist Gerhart Hauptmann. Es wurde lange
vor dem Krieg geschrieben, erschien aber nun in einer
Volksausgabe, die nach der hofsnungsvollen Meinung
seines Verlegers „den weitesten Leserkreis suchen und
finden wird". Obwohl ich dem merkwürdigen Roman