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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 6
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Kappertz, Catharina: Leibl-Erinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0169

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Leibl-Ermnerungttt.

Porträt zufrieden gewesen, aber die Eristenz des Bildes
sei noch so lange bedroht gewesen, bis Freund Sperl
aus Aibling herübergekommen sei und den Ausspruch
getan habe: es sei ein ganz vorzügliches Werk. Wehe,
wehe aber dem Bild, wenn das Urteil Sperls anders
gelautet hätte! Schlimme Erfahrung hatte in dieser
Beziehung ein sunger Bekannter von ihm, ein Zeichen-
lehrer, mit dem er sehr freundschaftlich verkehrte und
mit dem er häufig im „Bierstall" ein Glas Münchener
trank, machen müssen. Durch die Außerung dieses
jungen Mannes: ein Bild könne auch gequält aussehen,
und das geschähe, wenn der Maler an ihm kein Ende
finden könne, fühlte sich Leibl derart verletzt, daß es
mit der Freundschaft für den Zeichenlehrer ein für allemal
vorbei war. Es war also leicht, bei Leibl durch eine
Äußerung über die Kunst eine ganz unbeabsichtigte Wir-
kung zu erzielen.

Heute, zwei Monate nach Leibls Abreise aus Köln,
spricht sich die vox populi schon unverhohlener über das

Porträt aus, das er während dreier Monate von Onkel
Jakob gemalt hat, als wie zur Ieit, wo der Respekt vor
dem Schöpfer und großen Künstler alle Aweifel an der
künstlerischen Bedeutung dieser Leistung bändigte. Heute
findet man in hiesigen Kunstkreisen, daß das Porträt
Großpapas des Meisters Eigenart viel, viel glänzender
zeige, und Leibl selbst scheint nachträglich auch dieser
Meinung geworden zu sein, denn in seinem letzten Brief
schreibt er, daß er wieder wie früher prima male und die
glatte Manier wieder abgelegt habe. Doch abgesehen
von seiner Bedeutung als Maler und für die Kunst
überhaupt, abgesehen von seinem immerwährenden
Suchen nach einer Malweise, bei der er sich fühlte,
als wenn er in seinem Fahrwasser wäre: wir haben
anregende und genußreiche Stunden in seiner Gegen-
wart verlebt, und um mir für spätere Zeiten auch
Details ins Gedächtnis zurückrufen zu können, schrieb ich
diese Erinnerungen.

Köln, im April 1888. f?14)

esperien*).

Theodor Däubler ist kem Dichter, der sich leicht dem Ver-
ständnis des Menschen der Gegenwart eröffnet. Wie jede neu-
artige Kunst, so fordert auch seine Dichtung ringendcs Studium,
liebevollen Willen, hingebende Einfühlung. Dann erst wird uns
hinter der spröden Schale seiner eigenartigen Gestaltung die köst-
liche Erfüllung schimmernder Dichterlande offenbar.

Däublers künstlerisches Erlebcn steht zu dem Empfinden des
Naturalismus in polarem Gegensah. Däubler anerkennt nicht die
Beschränkung des Schauens auf das Fünfsinnengemäße, er hat
nicht die Scheuklappcn des sogenannten „Realisten". Sein Erleben
hat einen wciteren Wirklichkeitsbezirk: ihm ist der sechste Sinn ge-
worden, dem die mystischen Iusammenhänge sich auftun. Die
naturalistische Betrachtungsweise isoliert die Gegenstände, löst
das All in empirische Einzelheiten auf. Der Mystiker aber trägt
in sich die Cinheit des Ganzen, empfindet die Scheinbarkeit aller
körperlichen Cinzelwesen, erahnt die Zusammenhänge der Welt.
So vermag er die empirische Jsoliertheit sinnlicher Jmpressionen
sieghaft zu überwinden; kann triumphierende Erkenntnis gewinnen:
„Die Welt ist nur scheinbar in Wesen zerspalten."

Dennoch ist DLubler nicht wie Alfred Mombert ein Ewig-
Schwebender, ein verzückter Visionär, der nur noch init Sonne,
Mond und Meer in Verkehr steht und aus dem großen kosmischen
Rausch nicht mehr zurückfindet in die kleinen Maße des irdischen
Werktags. Zwar auch Däubler ist ein „Sternenkind", aber er ist
bodenständiger als Mombert: harten, festen Fußes schreitet er
durch den Tag dieser Erde. So ist seine Dichtung eingerahmt von
scharfgeschauten Landschaftsbildern: die Felsen des Apennin,
die Lauben der Campagna, die Straßen von Rom sind die mit
wachen Sinnen eingetrunkene Umgebung, von der erst mählich
die träumende Schau sich erhebt zu fernen dänimernden Regionen.
Die kleinen Iüge des Alltags werden mitnichten verschmäht:
der brave Csel, welcher den Dichter trägt, der Bauer, welcher
dem Fremden die Früchte reicht, die Kinderhändchen, welche
das Obst klauben. Alltag und Sternenreich stehen nicht in unüber-
brückbarem Gegensah; sie sind beide Teile der ganzen Wirklich-
keit; sind beidc in jedem Augenblicke wahr und gegenwärtig.
Nicht ein Entlösen von dem Tag der Menschen ist in der Dichtung
Däublers wie in den Werken romantischer Dichtung. Däubler ist
vielmehr kühnster Bejaher der Wirklichkeit, die nicht nur mit den
Nerven aufgesogen, sondern im metaphysischen Keme erfaßt und
ergriffen wird. Dem Schicksal des Tages wird nicht feig entflohen,
sieghaft wird es überwunden. Däubler weilt nicht nur in den Felsen-
einsamkeiten des Gebirges und in den träumenden Abendlauben,
auch in der betriebsamen Eile der Großstadt hat er seine Heimat.

*) Theodor Däubler: Hesperien. Eine Symphonie. 55 S.
München, Georg Müller (jeht in Kommission beim Jnsel-Verlag
in Leipzig).

Mit unerhvrt monumentalen Strichen expressionistischer Kunst stellt
er das abendliche Rom vor unsere Augen: Bücherhandlung, Friseur-
bude, Tabakladen, Farbenrausch der Bar. Absinthgrün des Cafös,
hastender Rhythmus der Tramwaywagen werden bezwungene
Gestaltung. Wie die Linien stark und wuchtig sind, mit denen
Däubler das Gegenständliche umreißt, so sind es auch die Farben.
Er liebt nur reine elementare Farben. Blau ist ihm der Grundton
der Welt. Rot und Grün sind die Vorgründe des Lebens. §u-
weilen erhöhen Golden und Braun die Farbenfreudigkeit der Land-
schaft. Lila flutet in künstlich beleuchteten Städten. Silbern ist die
Farbe der Mondnächte. Die glanzlosen Farben gibt es in Däublers
Dichtung nicht.

So dringt Däubler über die Abtönungen hinaus, zu den
Grundfarben der Wesenheit. Sein Schauen kann sich mit der Ein-
stellung des heutigen Menschen zur Natur nicht begnügen. Der
Mensch der Gegenwart nimmt das So-Sein der ihn umgebenden
Naturdinge als lehte Gegebenheiten unproblematisch hin. Die
Menschen mystischerer Ieiten fragten nicht nur nach dem Was der
Natur, sie fragten nach dem metaphysischen Sinn ihrer Form.
Sie hatten Fragen auf den Lippen, die dem nüchternen Naturalis-
mus des modernen Menschen absurd erscheinen; sie fragten, warum
die Fichte von Nadeln besternt sei und die Weide lange Schleppen
zur Erde beuge; sie fragtcn, warum der Mensch aufrecht schreite;
sie fragten, was die bleiche Mclancholie des Mondes bedeute.
Theodor Däubler hat den Mut, solche Fragen wieder aufzunehmen,
deren Problematik der moderne Mensch negiert. Man fühlt sich
erinnert an Gnostiker und mittelalterliche Mystiker, an Schelling,
Baader, Schubert und Görres. Der Sehergabe des Dichters tun
die metaphysischen Hintergründe der Dinge sich auf. Die Kluft,
welche die Kantische Philosophie unüberbrückbar zwischen der Welt
der Naturwirklichkeit und der Welt der Ethik aufgerissen, wird von
der Schau des Dichters überwunden. Unerhörte Ahnungen werden
ihm zu überzeugender Gestalt; ticfste Weltzusammenhänge liegen
in Versen eingeschlossen wie in diesen: „Die Morgengüte bleibt in
Blumen und in Kindern". „Und aus satanischen Smaragden flackern
Laster".

Aus dem scharfen Licht des irdischen Hesperiens steigt der
Dichter empor in dic blauen Nebel des Kosmos, wirft seine Ret-
tungsseile nach den Sternen, preßt Sonnen an das sehnende Herz.
Dem Menschen, der gefangen ist in den Mauern seiner fünf Sinne,
wird das meiste in Däublers Dichtung zusammenhanglos, abstrus,
verworren erscheinen. Jene aber, denen die Gnade dcn sechsten
Sinn Lffnete, werden den geheimnisschweren Pilgerschritten
Däublers folgen auf den Pfaden zu den erhellenden Mysterien
unseres Menschenseins.

„Mein Plaß aufCrden kann verwandten Wandlern frommen.

Sie werden Rauschen wie von großem Regen finden:

Jhr Künftigcn sollt gut zu meinen Brunnen kommen!"

(719) Max Fischer.
 
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