Bemhard Pankok. Straßenbild aus Don Juan (Leporello und Elvira).
Stuttgarter Bühnenkunst.
ls ich mir im Winter 1896 in der Großen Oper zu
Paris den Gounodschen Faust anhörte, waren
meine Ohren ebenso erstaunt über diese schlampige
Art, Musik zu machen, wie meine Augen sich an einer Äuf-
machung entzückten, die sie bisher nichtkannten. Nicht, als
ob da schon etwas von jener Stilisierung gewesen wäre,
wie wir sie seitdem an einigen deutschen Bühnen als ernst
gestellte Aufgabe der Regie erlebten; es war der staubig
bunte Zauber des historischen Bühnenbildes, wenn man
so will die selbe Meiningerei wie auch daheim, nur in
einer Richtung entscheidend verändert: statt jenem
prunkenden Durcheinander von Flitterfarben war hier
eine Bindung auf bestimmende Klänge der Hauptdar-
steller erfolgt, die sich für den Eindruck als unwidersteh-
lich erwies. Jeder von ihnen trug seine Farbe auf dem
Leib als Gesinnung und Wert für das Ganze, und jedes-
mal fiel das Ensemble der Farben — wie wir es auf einem
guten Historienbild jener Aeit mit raffinierter Klugheit
angewandt sehen — als Teppich auf den Klang zurück,
den eine oder mehrere der Hauptfiguren bestimmten.
Dadurch hob sich das Bühnenbild von selber über die
bloße Stimmung — Mondschein oder Frühlingssonne —
hinaus in den Dienst des Werkes; und wenn dieses Werk
auch nur die für ein deutsches Gefühl unerträgliche
Banalisierung des Goetheschen Faust war, seine Dar-
stellung trat als Regieleistung doch in den Bereich der
Kunst ein, was meines Wissens damals bei uns noch
nicht üblich war.
Die Folgerung lag nahe und warum soll ich mich
nicht dazu bekennen, daß ich in meinem 1898 im „Pan"
abgedruckten Bühnenspiel „Lerma" für mich selber den
Versuch dazu machte; einen Versuch leider mit untaug-
lichen Mitteln, auch insofern, als das anspruchsvolle
Spiel keine Gelegenheit fand, seine Anweisungen zu
erproben, seine Farben vom Papier auf die Bühne zu
bringen. Mit der Jahrhundertwende hat dann jene
Bewegung eingesetzt, der wir Rheinländer das Schau-
spielhaus in Düsseldorf, die Deutschen überdies das
Reinhardtsche Theater, die Münchener Kammerspiele
und einiges andere verdanken, das mit deutscher Gründ-
lichkeit — der Entwicklung der niodernen Raumkunst
solgend — tatsächlich eine Erneuerung des Bühnenbildes
bezweckt hat. Mit der Überwindung des NaturalismuS
— der auf den Brettern ein „Abbild" der Wirklichkeit
geben wollte und damit die Meiningerei vollendete,
um sie zu erledigen — ist allmählich in unsere Regie das
Gefühl herrschend geworden, daß die Bühne eine Art
Traumwelt sei, die dem Werk des Dichters und Musikers
eine höhere und freiere Jllusion geben müsse als die
irgendeiner Alltäglichkeit.
Urn es an cinem oft gewählten Beispiel noch einmal
zu erläutern: wenn die Hebbelschen Nibelungen aufs
erakteste im „Stil ihrer Aeit" kostünriert werdcn und in
irgendeiner dazu passenden Bühnenwirklichkeit agieren,
so ist ihr wirkliches Dasein — eben jenes, das sie in der
Sage wie in der Dichtung Hebbels führcn — schon ver-
nichtet. Jhr Ausmaß schrumpft aus dem Niesenhaften
ins Menschliche zurück und wird dadurch, rveil daS Ge-
fühl des Schauers der Enttäuschung übertreibt, eher
zwerghaft; ganz abgesehen davon, daß die Slimmen kind
Stuttgarter Bühnenkunst.
ls ich mir im Winter 1896 in der Großen Oper zu
Paris den Gounodschen Faust anhörte, waren
meine Ohren ebenso erstaunt über diese schlampige
Art, Musik zu machen, wie meine Augen sich an einer Äuf-
machung entzückten, die sie bisher nichtkannten. Nicht, als
ob da schon etwas von jener Stilisierung gewesen wäre,
wie wir sie seitdem an einigen deutschen Bühnen als ernst
gestellte Aufgabe der Regie erlebten; es war der staubig
bunte Zauber des historischen Bühnenbildes, wenn man
so will die selbe Meiningerei wie auch daheim, nur in
einer Richtung entscheidend verändert: statt jenem
prunkenden Durcheinander von Flitterfarben war hier
eine Bindung auf bestimmende Klänge der Hauptdar-
steller erfolgt, die sich für den Eindruck als unwidersteh-
lich erwies. Jeder von ihnen trug seine Farbe auf dem
Leib als Gesinnung und Wert für das Ganze, und jedes-
mal fiel das Ensemble der Farben — wie wir es auf einem
guten Historienbild jener Aeit mit raffinierter Klugheit
angewandt sehen — als Teppich auf den Klang zurück,
den eine oder mehrere der Hauptfiguren bestimmten.
Dadurch hob sich das Bühnenbild von selber über die
bloße Stimmung — Mondschein oder Frühlingssonne —
hinaus in den Dienst des Werkes; und wenn dieses Werk
auch nur die für ein deutsches Gefühl unerträgliche
Banalisierung des Goetheschen Faust war, seine Dar-
stellung trat als Regieleistung doch in den Bereich der
Kunst ein, was meines Wissens damals bei uns noch
nicht üblich war.
Die Folgerung lag nahe und warum soll ich mich
nicht dazu bekennen, daß ich in meinem 1898 im „Pan"
abgedruckten Bühnenspiel „Lerma" für mich selber den
Versuch dazu machte; einen Versuch leider mit untaug-
lichen Mitteln, auch insofern, als das anspruchsvolle
Spiel keine Gelegenheit fand, seine Anweisungen zu
erproben, seine Farben vom Papier auf die Bühne zu
bringen. Mit der Jahrhundertwende hat dann jene
Bewegung eingesetzt, der wir Rheinländer das Schau-
spielhaus in Düsseldorf, die Deutschen überdies das
Reinhardtsche Theater, die Münchener Kammerspiele
und einiges andere verdanken, das mit deutscher Gründ-
lichkeit — der Entwicklung der niodernen Raumkunst
solgend — tatsächlich eine Erneuerung des Bühnenbildes
bezweckt hat. Mit der Überwindung des NaturalismuS
— der auf den Brettern ein „Abbild" der Wirklichkeit
geben wollte und damit die Meiningerei vollendete,
um sie zu erledigen — ist allmählich in unsere Regie das
Gefühl herrschend geworden, daß die Bühne eine Art
Traumwelt sei, die dem Werk des Dichters und Musikers
eine höhere und freiere Jllusion geben müsse als die
irgendeiner Alltäglichkeit.
Urn es an cinem oft gewählten Beispiel noch einmal
zu erläutern: wenn die Hebbelschen Nibelungen aufs
erakteste im „Stil ihrer Aeit" kostünriert werdcn und in
irgendeiner dazu passenden Bühnenwirklichkeit agieren,
so ist ihr wirkliches Dasein — eben jenes, das sie in der
Sage wie in der Dichtung Hebbels führcn — schon ver-
nichtet. Jhr Ausmaß schrumpft aus dem Niesenhaften
ins Menschliche zurück und wird dadurch, rveil daS Ge-
fühl des Schauers der Enttäuschung übertreibt, eher
zwerghaft; ganz abgesehen davon, daß die Slimmen kind