Albert Stcffen.
davon zu wissen, daß auch dieser Roman die Entwicklung
einer Seele auS Niedrigkeit zu Adel und Seelengröße
enthalt. Ein entehrtes Frauenwesen läutert sich durch
Leiden und Selbstüberwindung und hilft verirrten
Seelen durch ihre Güte und Reinheit wieder auf den
Weg zur Seele. Als Ganzes betrachtet, ist dieser Roman
daö künstlerisch Reifste, was Steffen bisher gelungen ist:
die Fülle der Wirklichkeit und die Macht der ordnenden
Jdee stehen in einem schönen, harmonischen Verhältnis
zueinander, wie es in dieserAbgewogenheit in den späteren
Werken des Dichters bis jetzt nicht wieder zu finden ist.
Das nächste Werk des Dichters ist der Roman „Die
Erneuerung des Bundes". Einen großen Stoff von
mythischem Charakter wollte Steffen hier gestalten.
Die Stammsage eines alten Geschlechts wird erzählt,
in der sich ein lichter Aweig der Familie von eineni
dunklen deutlich scheidet: der uralte Kampf des Guten
mit dem Bösen soll sich darin symbolisieren. Jn den
Nachkommen dieses Geschlechts lebt der alte Kampf von
Licht und Finsternis wieder auf, bis die finsteren Ge-
walten durch die sieghafte Güte des Edlen überwunden
werden. Wunderschön sind in diesem Roman die ein-
zelnen Abschnitte dieses Kampfes erzählt — aber die
mythische Ausammenfassung und Steigerung fehlt am
Ende doch. Der Dichter versteht hier mit größter Sicher-
heit die Elemente der Wirklichkeit zu benutzen und
immer durch dieWirklichkeit derDinge die Jdee und ihren
Gang im Geschick der Menschen durchleuchten zu lassen.
So freut man sich des Reichtums der Einzelheiten, des
gelassenen epischen Vortrags, der Reinheit der Ge-
sinnung, der Plastik der Darstellung und des kühnen
Mutes, mit dem sich Steffen an die Mythisierung der
Gegenwart gewagt hat, auch wenn dieser Versuch nicht
ganz gelungen ist. Auch hier ist, wie in den anderen
Romanen, die Komposition auf Entwicklung aus dem
Einzelsein zum Glück der Gemeinsamkeit angelegt, und
nicht ohne hymnischen Schwung schließt das Werk also:
„Sie schlossen ihre Augen vor dem Glanze übergroßer
Liebe. Aber da sie ihre Augen flill geschlossen hielten,
empfanden sie die Glut der überirdischen Liebe in der
eignen Brust.
Sie öffneten die Lider. Entschwunden war der Herr.
Jn ihren Herzen aber leuchtete das Licht. Es wies ihnen
den Weg. Je dunkler die Stätten wurden, denen sie
sich nahten, um so voller und inniger entströmte ihnen
die süße Glut. Tie wußten, daß sie einst zu jenem
Mörder kommen mußten, sollte das Feuer ihres Herzens
zur holdesten Wärme, zum reinsten Glanze gelangen.
So schritten sie dahin mit hocherhobenen Händen.
Die Menschen aber, die durch sie erleuchtet wurden,
formten einen Aug und folgten ihnen nach." (Erneuerung
des Bundes, S. 205.)
V.
Wir gedenken am Schlusse des vierten und letzten
Romanes „Der rechte Liebhaber des Schicksals" (1916),
und können nicht verschweigen, daß wir in ihm ein ge-
wisses Nachlassen der formenden Kraft zu verspüren
glauben. Das Schema des Romans ist wieder das gleiche:
Entwicklung von der Jchsucht zur Heiligung. Aber die
Schicksale der einzelnen Figuren muten uns allzu bekannt
an; Motive aus den vorigen Romanen kehren wieder;
die Zusammenstellung der Figuren ist nicht wesentlich
verändert, dabei wird breiter vorgetragen, was schon
besser knapp gestaltet war, mit einem Worte: die Ge-
fahr der Manier kündet sich an.
Jeder Dichter mit starkem sittlichem Pathos und be-
grenzter Sinnlichkeit befindet sich in der künstlerisch ge-
fahrlichen Lage, über dem Was das Wie zu vernach-
lässigen und aus der Güte der Gesinnung die Berechti-
gung zur Einförmigkeit und Formlosigkeit herleiten zu
wollen. Steffen scheint mir die Erlebnisinnigkeit, die
auch aus diesem letzten Ronian spricht, auf Kosten der
Erlebnisbreite zu stark zu bevorzugen. Man fragt sich
unwillkürlich, ob sein ethischer Asketismus nicht irgendwie
die dem Künstler so nötige Sinnlichkeit unterbindet.
Vielleicht ist dieser letzte Roman, der im einzelnen viel
Ausgezeichnetes enthält, das Werk einer übergangszeit
in der Entwicklung des Dichters. Seine Aucht und Ehr-
lichkeit läßt uns in jedem Falle auf Gutes hoffen; steht
doch in jedem Falle hinter dem, was Steffen veröffent-
licht, seine sittliche Persönlichkeit. Wir sind nicht so reich
an solchen Schriftstellern, daß wir sie nicht suchen sollten,
wie immer sie sich geben.
Kehren wir noch einmal zum Eingang unserer Be-
trachtungen zurück: eine neue Generation kündet sich an:
voll Ernst und Liebe, voll Willen und Hingabe an Jdeen.
Einen ihrer Sprecher suchten wir zu schildern; eine ihrer
Tendenzen, den Drang zur Gemeinsamkeit und zur
Überwindung des Einzelseins, wünschten wir an einem
typischen Beispiel zu zeigen. Wir schließen mit einem
Wunsche: daß man aus der Jdee der Gemeinsamkeit
keine Modesache mache, sondern sie still in einem treuen
Herzen pflege und in Geduld warte — vielleicht, daß es
unsern Enkeln dann beschieden ist, einmal wieder als
Menschen neben Menschen zu einer Gemeinsamkeit des
Fühlens und Wollens verbunden zu leben. Jn den
Dichtungen künden sich neue Jdeen zuerst an: vielleicht ist
es doch ein Aeichen, das man beachten sollte, daß wieder
ein Dichter möglich ist, in dem die Jdee der Gemein-
samkeit das tragende Pathos seines Werkes ist. f723sj
* *
*
Aus: „Die Bestimmung dek Roheit" von
Albert Steffen*).
Vierze hntes Kapitel.
Es soll jetzt noch die Geschichte eines Menschen
erzählt werden, mit dem Aladar zusammenkam, damit
aus ihr geahnt werden kann, wie durch den neuen Freund
sein ganzes Sein auf eine hohe Stufe gehoben wurde.
Dieser Mensch befaß eine Fabrik, in welcher Drilche,
Kattune, Blusenstoffe u. dgl. verfertigt wurden. Ob-
wohl er die Leitung erprobten Leuten überließ, war
doch notwendig, daß er von Zeit zu Zeit die großen
Treibsäle besichtigte, in denen je hundert Webstühle
aufgestellt waren. Er trat hinein, sah sich um und war
froh, wiederum hinauszukommen. Denn diese Räume
waren von Staub und Lärm erfüllt.
Eines Tageö, als er nach einem Rundgang durch
die Fabrik ins Freie trat und das Gekreische und Ge-
*) Verlag von S. Fischer, Berlin.
148
davon zu wissen, daß auch dieser Roman die Entwicklung
einer Seele auS Niedrigkeit zu Adel und Seelengröße
enthalt. Ein entehrtes Frauenwesen läutert sich durch
Leiden und Selbstüberwindung und hilft verirrten
Seelen durch ihre Güte und Reinheit wieder auf den
Weg zur Seele. Als Ganzes betrachtet, ist dieser Roman
daö künstlerisch Reifste, was Steffen bisher gelungen ist:
die Fülle der Wirklichkeit und die Macht der ordnenden
Jdee stehen in einem schönen, harmonischen Verhältnis
zueinander, wie es in dieserAbgewogenheit in den späteren
Werken des Dichters bis jetzt nicht wieder zu finden ist.
Das nächste Werk des Dichters ist der Roman „Die
Erneuerung des Bundes". Einen großen Stoff von
mythischem Charakter wollte Steffen hier gestalten.
Die Stammsage eines alten Geschlechts wird erzählt,
in der sich ein lichter Aweig der Familie von eineni
dunklen deutlich scheidet: der uralte Kampf des Guten
mit dem Bösen soll sich darin symbolisieren. Jn den
Nachkommen dieses Geschlechts lebt der alte Kampf von
Licht und Finsternis wieder auf, bis die finsteren Ge-
walten durch die sieghafte Güte des Edlen überwunden
werden. Wunderschön sind in diesem Roman die ein-
zelnen Abschnitte dieses Kampfes erzählt — aber die
mythische Ausammenfassung und Steigerung fehlt am
Ende doch. Der Dichter versteht hier mit größter Sicher-
heit die Elemente der Wirklichkeit zu benutzen und
immer durch dieWirklichkeit derDinge die Jdee und ihren
Gang im Geschick der Menschen durchleuchten zu lassen.
So freut man sich des Reichtums der Einzelheiten, des
gelassenen epischen Vortrags, der Reinheit der Ge-
sinnung, der Plastik der Darstellung und des kühnen
Mutes, mit dem sich Steffen an die Mythisierung der
Gegenwart gewagt hat, auch wenn dieser Versuch nicht
ganz gelungen ist. Auch hier ist, wie in den anderen
Romanen, die Komposition auf Entwicklung aus dem
Einzelsein zum Glück der Gemeinsamkeit angelegt, und
nicht ohne hymnischen Schwung schließt das Werk also:
„Sie schlossen ihre Augen vor dem Glanze übergroßer
Liebe. Aber da sie ihre Augen flill geschlossen hielten,
empfanden sie die Glut der überirdischen Liebe in der
eignen Brust.
Sie öffneten die Lider. Entschwunden war der Herr.
Jn ihren Herzen aber leuchtete das Licht. Es wies ihnen
den Weg. Je dunkler die Stätten wurden, denen sie
sich nahten, um so voller und inniger entströmte ihnen
die süße Glut. Tie wußten, daß sie einst zu jenem
Mörder kommen mußten, sollte das Feuer ihres Herzens
zur holdesten Wärme, zum reinsten Glanze gelangen.
So schritten sie dahin mit hocherhobenen Händen.
Die Menschen aber, die durch sie erleuchtet wurden,
formten einen Aug und folgten ihnen nach." (Erneuerung
des Bundes, S. 205.)
V.
Wir gedenken am Schlusse des vierten und letzten
Romanes „Der rechte Liebhaber des Schicksals" (1916),
und können nicht verschweigen, daß wir in ihm ein ge-
wisses Nachlassen der formenden Kraft zu verspüren
glauben. Das Schema des Romans ist wieder das gleiche:
Entwicklung von der Jchsucht zur Heiligung. Aber die
Schicksale der einzelnen Figuren muten uns allzu bekannt
an; Motive aus den vorigen Romanen kehren wieder;
die Zusammenstellung der Figuren ist nicht wesentlich
verändert, dabei wird breiter vorgetragen, was schon
besser knapp gestaltet war, mit einem Worte: die Ge-
fahr der Manier kündet sich an.
Jeder Dichter mit starkem sittlichem Pathos und be-
grenzter Sinnlichkeit befindet sich in der künstlerisch ge-
fahrlichen Lage, über dem Was das Wie zu vernach-
lässigen und aus der Güte der Gesinnung die Berechti-
gung zur Einförmigkeit und Formlosigkeit herleiten zu
wollen. Steffen scheint mir die Erlebnisinnigkeit, die
auch aus diesem letzten Ronian spricht, auf Kosten der
Erlebnisbreite zu stark zu bevorzugen. Man fragt sich
unwillkürlich, ob sein ethischer Asketismus nicht irgendwie
die dem Künstler so nötige Sinnlichkeit unterbindet.
Vielleicht ist dieser letzte Roman, der im einzelnen viel
Ausgezeichnetes enthält, das Werk einer übergangszeit
in der Entwicklung des Dichters. Seine Aucht und Ehr-
lichkeit läßt uns in jedem Falle auf Gutes hoffen; steht
doch in jedem Falle hinter dem, was Steffen veröffent-
licht, seine sittliche Persönlichkeit. Wir sind nicht so reich
an solchen Schriftstellern, daß wir sie nicht suchen sollten,
wie immer sie sich geben.
Kehren wir noch einmal zum Eingang unserer Be-
trachtungen zurück: eine neue Generation kündet sich an:
voll Ernst und Liebe, voll Willen und Hingabe an Jdeen.
Einen ihrer Sprecher suchten wir zu schildern; eine ihrer
Tendenzen, den Drang zur Gemeinsamkeit und zur
Überwindung des Einzelseins, wünschten wir an einem
typischen Beispiel zu zeigen. Wir schließen mit einem
Wunsche: daß man aus der Jdee der Gemeinsamkeit
keine Modesache mache, sondern sie still in einem treuen
Herzen pflege und in Geduld warte — vielleicht, daß es
unsern Enkeln dann beschieden ist, einmal wieder als
Menschen neben Menschen zu einer Gemeinsamkeit des
Fühlens und Wollens verbunden zu leben. Jn den
Dichtungen künden sich neue Jdeen zuerst an: vielleicht ist
es doch ein Aeichen, das man beachten sollte, daß wieder
ein Dichter möglich ist, in dem die Jdee der Gemein-
samkeit das tragende Pathos seines Werkes ist. f723sj
* *
*
Aus: „Die Bestimmung dek Roheit" von
Albert Steffen*).
Vierze hntes Kapitel.
Es soll jetzt noch die Geschichte eines Menschen
erzählt werden, mit dem Aladar zusammenkam, damit
aus ihr geahnt werden kann, wie durch den neuen Freund
sein ganzes Sein auf eine hohe Stufe gehoben wurde.
Dieser Mensch befaß eine Fabrik, in welcher Drilche,
Kattune, Blusenstoffe u. dgl. verfertigt wurden. Ob-
wohl er die Leitung erprobten Leuten überließ, war
doch notwendig, daß er von Zeit zu Zeit die großen
Treibsäle besichtigte, in denen je hundert Webstühle
aufgestellt waren. Er trat hinein, sah sich um und war
froh, wiederum hinauszukommen. Denn diese Räume
waren von Staub und Lärm erfüllt.
Eines Tageö, als er nach einem Rundgang durch
die Fabrik ins Freie trat und das Gekreische und Ge-
*) Verlag von S. Fischer, Berlin.
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