Deutfche Bürzsit.
logische Katastrophe a!s eigentliche Ursache annehmen
will. Hierin scheint ohne weiteres Guido von List kon-
sequenler, indem er mit andern Räumen und Zeiten
rechnet, und als Ursitz der Ario-Germanen seine soge-
nannte Arktogäa annimmt, das Land also, das heute
unter der Eismasse der Nordpolarländer begraben liegt
und das damals unter andern Wärmeverhältnissen „das
einstige Lieblingsland Apollos" nach Herodot vorstellte.
Von dort durch die allmähliche Vereisung nach Süden
getrieben, hätten sre, durch die Sündflut der Eiszeit
schwer geprüft, ihre europäischen Wohnsitze eingenom-
men, soweit sie nicht östlich verschlagen worden wären
bis ties in Asien hinein. Was für eine Rolle das Eis
im Schicksal der Germanen gespielt hat, dafür zeugt ja
ihre Weltentstehungssage deutlich genug. Aber daß die
Sonne ihnen einmal günstiger war als in dem neblichten
Waldland Germaniens, dafür enthält ihre Göttersage
einen viel zu wenig beachteten Hinweis in dem Kampf
der Wanen und Asen, darin die Wanen unterlagen, um
seitdem als eine Art Geiseln bei den herrschenden Asen
zu leben. Nach der Worterklärung Lists sind zwar die
Asen Lichtgötter (Azur) und die Wanen „die Gottheiten
des Urwasserdunkelö": aber Ziu wie Heimdallr, wie
Freyr und Freya sind ausgesprochene Lichtgötter, wäh-
rend Wodan, der asische Sieger über Aiu, der Wind-
gott, der Gott der Bewegung also des Kampfes ist, der
in Donar seinem Sohn noch eine Verschärfung erfährt:
die uralten Lichtgötter wurden überwunden durch das
Geschlecht der Asen, die eine deutliche Versinnbildlichung
des harten Kampfdaseins sind, in das die Germanen
durch ihre notgedrungenen Wanderungen gerieten.
Durch den Friedensschluß zwischen Asen und Wanen
hat sich das ursprüngliche Kampfverhältnis verwischt,
und in Baldur, dem Sohn Wodan-Odins, ifi der alte
Sonnengott Aiu als Frühlingsgott auferstanden (wie
Apollo aus Aeus): aber daß sich in dieser Wandlung das
Schicksal der germanischen Vorzeit versinnbildlicht hat,
kann nicht so übersehen werden, wie es aus der Rat-
losigkeit vor diesem Göttergemisch geschieht. Der Kampf-
gott hat den Sonnengott abgelöst, die Daseinsverhält-
nisse wechseltcn aus einem sonnigen Dasein in wehende
Wolken: das scheint die alte Vorstellung der asiatischen
Herkunft zu stützen. Wenn nur eben die nordsüdliche
Einwanderung der Griechen, der Jtaliker und der Ger-
manen ihr nicht widersprache und die Gewißheit un-
geheurer Umwälzungen der klimatischen Verhaltnisse.
Die selbe Naturwissenschaft, die eine einstige Besiedlung
der Polarwelt mit einer tropischen Fauna als wahrschein-
lich erkennen muß, wird die Möglichkeit auch eines
anderen menschlichen Daseins darin kaum leugnen
können.
Diese Entscheidung ist so wichtig, weil damit die
landläufige Vorstellung einer nördlichen Barbarenwelt,
die in die Mittelmeergärten der Kultur einbricht, um
allmählich von ihr menschlich durchleuchtet zu werden,
haltlos wird. Letzten Grundes bedeutet diese Vor-
stellung nämlich nichts anderes als eine Überwindung der
nordischen Menschheit durch den Orient, der im Sieg
des Kreuzes sein Sinnbild fand. Die Fülle frühgerma-
nischer Funde von merkwürdiger Vollendung wird
von dieser Vorstellung ebenso hartnäckig übersehen wie die
ungeheuren Monumente von Avebury und Stonehenge,
die in die vorgeschichtliche Aeit zurückweisen und immer
mehr als Festlegungen einer Himmelskunde angesprochen
werden, die nur im Gefüge einer über unsere Begriffe
der vorgeschichtlichen weit hinausgehenden Kultur ent-
standen sein können.
Der eigentliche Wert der Wilserschen Schrift liegt
eben darin, daß sie in einer guten Ubersicht darstellt,
was ihr Verfasser (im vierten Jahrzehnt sein Stecken-
pferd reitend) über das kulturelle Dasein angeblich der
„eichelfressenden Halbmenschen" im alten Germanien
beizubringen vermochte. Jn zwei Büchern (Land und
Volk, Kunst und Sitte) mit je zehn Kapiteln gibt er
einen Lebensabriß unserer Vorzeit, der namentlich
sprachwissenschaftlich ausgezeichnet gestützt erscheint und
der nur durch das alldeutsche Temperament des Ver-
fassers Wendungen ins Dilettantische erhält, die seiner
Wirkung Abbruch tun. Auch sein auf den Menschenaffen
gestützter und im Homo enropneus gipfelnder Stamm-
baum scheint mir eine solche Entgleisung, wahrend der
auf diesen klomo europaeus gestützte Stammbaum der
Ario-Germanen eine höchst willkommene Verdeutlichung
vorstellt. Die gutgewählten Abbildungen wecken den
Wunsch nach einem viel reicheren Bildmaterial: sein
Tert als Erläuterung zu einem geordneten Bilderatlas
der Deutschen Vorzeit würde eine Großtat für die
Kenntnis unserer Kindheit bedeuten. Aber auch so, wie
es nun einmal vorliegt, könnte dieses Werk eine gründ-
liche Änderung unserer Vorstellung Germaniens herbei-
führen, wenn es statt ein Kuriosum zu bleiben wirklich
in die Hande unseres Volkes käme. Nicht alö Dcutsch-
land-über-alles-Stimmung, sondern alö Ahnung unserer
Odyssee, die das Schicksal des deutschen Menschen von
seinem Eintritt in die Geschichte bis auf den heutigen
Tag vorstellt. W. Schäfer.
ücher.
Bücher sind im Ansehen gestiegen. Nicht in
dem Sinn, in welchem alle käuflichenDinge höheren Preis
haben,für den Schriftsteller haben Kriegspreise die andere
Gültigkeit. Aber seitdem die Summe der angenehmen
und schönen Dinge so sehr beschränkt worden ist, sucht
mancher seine Iuflucht in einer Welt, die den zerstöre-
rischen Kräften dieser Tage unangreisbar ist. Die ödeste
Fahrt im ungeheizten Eisenbahnwagen, das ärgerlichste
Kriegsabendbrot kann man vergessen, wcnn die schöne Welt
uns aufnimmt, die der Dichter geschaffen hat. Gewiß
darum werden in diesem Winter mehr Bücher gekauft
als srüher, und es ist nicht immer nur „Kriegsliteratur",
was verlangt wird. Die einzelnen Verleger haben trotz
Papiermangel und Druckschwierigkeiten wieder an-
gefangen, Tlusgaben auch kostbarer Art zu bringen, die
über das Lesebedürfnis der Unterhaltung hinaus den
dauernden Platz auf dem Bücherbrett verdienen. Jn
diese Reihe ist das bei Rütten A Loening in Frankfurt
a. M. erschienene zweibandige Werk zu zählen, das den
Briefwechsel Goethes mit seiner Frau Christiane Vulpius
zum ersten Male veröffentlicht. Jn einem Einband von
E. R. Weiß, der, ohne altmodisch zu sein, geschickt
die schöne Zusammcnstellung des goldverzierten Leder-
zos
logische Katastrophe a!s eigentliche Ursache annehmen
will. Hierin scheint ohne weiteres Guido von List kon-
sequenler, indem er mit andern Räumen und Zeiten
rechnet, und als Ursitz der Ario-Germanen seine soge-
nannte Arktogäa annimmt, das Land also, das heute
unter der Eismasse der Nordpolarländer begraben liegt
und das damals unter andern Wärmeverhältnissen „das
einstige Lieblingsland Apollos" nach Herodot vorstellte.
Von dort durch die allmähliche Vereisung nach Süden
getrieben, hätten sre, durch die Sündflut der Eiszeit
schwer geprüft, ihre europäischen Wohnsitze eingenom-
men, soweit sie nicht östlich verschlagen worden wären
bis ties in Asien hinein. Was für eine Rolle das Eis
im Schicksal der Germanen gespielt hat, dafür zeugt ja
ihre Weltentstehungssage deutlich genug. Aber daß die
Sonne ihnen einmal günstiger war als in dem neblichten
Waldland Germaniens, dafür enthält ihre Göttersage
einen viel zu wenig beachteten Hinweis in dem Kampf
der Wanen und Asen, darin die Wanen unterlagen, um
seitdem als eine Art Geiseln bei den herrschenden Asen
zu leben. Nach der Worterklärung Lists sind zwar die
Asen Lichtgötter (Azur) und die Wanen „die Gottheiten
des Urwasserdunkelö": aber Ziu wie Heimdallr, wie
Freyr und Freya sind ausgesprochene Lichtgötter, wäh-
rend Wodan, der asische Sieger über Aiu, der Wind-
gott, der Gott der Bewegung also des Kampfes ist, der
in Donar seinem Sohn noch eine Verschärfung erfährt:
die uralten Lichtgötter wurden überwunden durch das
Geschlecht der Asen, die eine deutliche Versinnbildlichung
des harten Kampfdaseins sind, in das die Germanen
durch ihre notgedrungenen Wanderungen gerieten.
Durch den Friedensschluß zwischen Asen und Wanen
hat sich das ursprüngliche Kampfverhältnis verwischt,
und in Baldur, dem Sohn Wodan-Odins, ifi der alte
Sonnengott Aiu als Frühlingsgott auferstanden (wie
Apollo aus Aeus): aber daß sich in dieser Wandlung das
Schicksal der germanischen Vorzeit versinnbildlicht hat,
kann nicht so übersehen werden, wie es aus der Rat-
losigkeit vor diesem Göttergemisch geschieht. Der Kampf-
gott hat den Sonnengott abgelöst, die Daseinsverhält-
nisse wechseltcn aus einem sonnigen Dasein in wehende
Wolken: das scheint die alte Vorstellung der asiatischen
Herkunft zu stützen. Wenn nur eben die nordsüdliche
Einwanderung der Griechen, der Jtaliker und der Ger-
manen ihr nicht widersprache und die Gewißheit un-
geheurer Umwälzungen der klimatischen Verhaltnisse.
Die selbe Naturwissenschaft, die eine einstige Besiedlung
der Polarwelt mit einer tropischen Fauna als wahrschein-
lich erkennen muß, wird die Möglichkeit auch eines
anderen menschlichen Daseins darin kaum leugnen
können.
Diese Entscheidung ist so wichtig, weil damit die
landläufige Vorstellung einer nördlichen Barbarenwelt,
die in die Mittelmeergärten der Kultur einbricht, um
allmählich von ihr menschlich durchleuchtet zu werden,
haltlos wird. Letzten Grundes bedeutet diese Vor-
stellung nämlich nichts anderes als eine Überwindung der
nordischen Menschheit durch den Orient, der im Sieg
des Kreuzes sein Sinnbild fand. Die Fülle frühgerma-
nischer Funde von merkwürdiger Vollendung wird
von dieser Vorstellung ebenso hartnäckig übersehen wie die
ungeheuren Monumente von Avebury und Stonehenge,
die in die vorgeschichtliche Aeit zurückweisen und immer
mehr als Festlegungen einer Himmelskunde angesprochen
werden, die nur im Gefüge einer über unsere Begriffe
der vorgeschichtlichen weit hinausgehenden Kultur ent-
standen sein können.
Der eigentliche Wert der Wilserschen Schrift liegt
eben darin, daß sie in einer guten Ubersicht darstellt,
was ihr Verfasser (im vierten Jahrzehnt sein Stecken-
pferd reitend) über das kulturelle Dasein angeblich der
„eichelfressenden Halbmenschen" im alten Germanien
beizubringen vermochte. Jn zwei Büchern (Land und
Volk, Kunst und Sitte) mit je zehn Kapiteln gibt er
einen Lebensabriß unserer Vorzeit, der namentlich
sprachwissenschaftlich ausgezeichnet gestützt erscheint und
der nur durch das alldeutsche Temperament des Ver-
fassers Wendungen ins Dilettantische erhält, die seiner
Wirkung Abbruch tun. Auch sein auf den Menschenaffen
gestützter und im Homo enropneus gipfelnder Stamm-
baum scheint mir eine solche Entgleisung, wahrend der
auf diesen klomo europaeus gestützte Stammbaum der
Ario-Germanen eine höchst willkommene Verdeutlichung
vorstellt. Die gutgewählten Abbildungen wecken den
Wunsch nach einem viel reicheren Bildmaterial: sein
Tert als Erläuterung zu einem geordneten Bilderatlas
der Deutschen Vorzeit würde eine Großtat für die
Kenntnis unserer Kindheit bedeuten. Aber auch so, wie
es nun einmal vorliegt, könnte dieses Werk eine gründ-
liche Änderung unserer Vorstellung Germaniens herbei-
führen, wenn es statt ein Kuriosum zu bleiben wirklich
in die Hande unseres Volkes käme. Nicht alö Dcutsch-
land-über-alles-Stimmung, sondern alö Ahnung unserer
Odyssee, die das Schicksal des deutschen Menschen von
seinem Eintritt in die Geschichte bis auf den heutigen
Tag vorstellt. W. Schäfer.
ücher.
Bücher sind im Ansehen gestiegen. Nicht in
dem Sinn, in welchem alle käuflichenDinge höheren Preis
haben,für den Schriftsteller haben Kriegspreise die andere
Gültigkeit. Aber seitdem die Summe der angenehmen
und schönen Dinge so sehr beschränkt worden ist, sucht
mancher seine Iuflucht in einer Welt, die den zerstöre-
rischen Kräften dieser Tage unangreisbar ist. Die ödeste
Fahrt im ungeheizten Eisenbahnwagen, das ärgerlichste
Kriegsabendbrot kann man vergessen, wcnn die schöne Welt
uns aufnimmt, die der Dichter geschaffen hat. Gewiß
darum werden in diesem Winter mehr Bücher gekauft
als srüher, und es ist nicht immer nur „Kriegsliteratur",
was verlangt wird. Die einzelnen Verleger haben trotz
Papiermangel und Druckschwierigkeiten wieder an-
gefangen, Tlusgaben auch kostbarer Art zu bringen, die
über das Lesebedürfnis der Unterhaltung hinaus den
dauernden Platz auf dem Bücherbrett verdienen. Jn
diese Reihe ist das bei Rütten A Loening in Frankfurt
a. M. erschienene zweibandige Werk zu zählen, das den
Briefwechsel Goethes mit seiner Frau Christiane Vulpius
zum ersten Male veröffentlicht. Jn einem Einband von
E. R. Weiß, der, ohne altmodisch zu sein, geschickt
die schöne Zusammcnstellung des goldverzierten Leder-
zos