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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 9
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Mahrholz, Werner: Ueber Strindbergs Religiosität
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0239

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eber SLrindbergs Religiosität.

Von Or. Werner Mahrholz.

I.

Strindbergs besondere Bedeutung ist darin zu suchen,
daß man das Krankheitsbild, welches die moderne Seele
im allgemeinen bietet, in seinen Schriften ausgezeichnet
studierett kann. Strindbergs Außerungen sind, absicht-
lich oder unabsichtlich, immer irgendwie symptomatisch
sür das geistige Leben der Gegenwart. Die Modernität
jeder Art spricht sich in den Schriften des Schweden
unverhüllt aus; es gibt kaum ein Problem des modernen
Geisteslebens, kaum eine Empfindung des modernen
Menschen, welche nicht in Strindbergs Schriften irgend-
eine Resonanz gefunden hatte. Sozialiömus und In-
dividualismus, Frauenfrage und Resormbewegungen
aller Art, Ubermenschentum und Ressentiment, mo-
ralischer Nihilismus und intellektuelle Skepsis: alle die
vielfachen Verkleidungen des europäischen Nihilismus,
alle die verzweiselten Fluchtversuche der modernen Seele
vor dem Gespenst der Entwertung des Lebens finden
sich in Strindbergs Werken. Seine sogenannte Ent-
wicklung, aus welche seine Anhänger immer wieder mit
Stolz und Bewunderung verweisen, ist im Grunde ein
Kreislauf um das Phänomen des Nihilismus, dem
Strindberg, der schwache, haltlose, gebrochene Mensch,
entrinnen wollte und nicht entsliehen konnte. Der
entschiedenste, verzweiseltste Versuch, dem Dämon Nihi-
lismus, der Sinnlosigkeit der modernen Welt zu ent-
gehen, war der Sprung des Skeptikers in die Untiefen
des Mystizismus, war Strindbergs sogenannte religiöse
Epoche.

Über diese religiöse Krisis hat Strindberg, ebenso
wie über die anderen Stadien seines Lebensganges, in
seiner Autobiographie sich und dem Publikum Klarheit
zu schasfen versucht. Der vierte Band seiner Lebens-
geschichte enthält unter dem Titel „Jnserno und Le-
genden" den Bericht über seine religiösen Kämpfe. Von
diesem Buche, welches den Lebensstofs der Dramen-
reihe von „Nach Damaskus" bis zum „Traumspiel" ent-
hält, soll im nachfolgenden allein die Rede sein: ohne
sich über die Erlebnistatsachen und diesen Lebensstosf
Klarheit verschafft zu haben, kommt man zu keinem
festen Standpunkt Strindbergs religiösen Dramen gegen-
über, denn diese sind nur Verhüllungen jenes Lebens-
stoffes ohne eigentliche Selbständigkeit.

Die Frage, von der man unbedingt ausgehen muß,
ist diese: wie ist Strindberg, der Rationalist, Skeptiker
und Moralist, in die religiöse Krisis überhaupt hinein-
gekommen? Die Antwort hat der Autor selber in der
Nachschrift zum „Jnferno" gegeben: „Als der Verfasser
1894 prinzipiell seine Skepsis verließ, die alles intellek-
tuelle Leben zu verwüsten gedroht hatte, und sich er-
perimentierend auf den Standpunkt der Gläubigen zu
stellen begann, erschloß sich ihm das neue Seelenleben,
das in Jnferno und diesen Legenden geschildert ist."
(Jnferno S. 425*.)

*) Cs wird nach dem I. u. IV. Band der Lebcnsgeschichte in
der Scheringschen Deutschen Gesamtausgabe von Strindbergs
Werken bei G. Müller, München, zitiert.

Strindberg hatte seine geistige Entwicklung mit
einem Sturmlauf auf die bestehende Gesellschaft be-
gonnen, der er ein Rousseauisches Jdeal entgegenhielt.
Nachdem dieser Sturm auf die Gesellschaft gescheitert
war, warf er sich dem Sozialismus und der Bewegung
für die „Frauenbefreiung" in die Arme; als auch diese
Jdeale ihn betrogen hatten, entschloß er sich zu einem
Skeptizismus und Stoizismus, der auf dem reinen Ver-
standsgebrauche aufgebaut war, und sich das Leben in
der Aurückgezogenheit eisiger Objektivität ermöglichen
wollte. Man sieht schon aus dieser flüchtigen Skizze von
Strindbergs geistigen Veränderungen, was ihm eigent-
lich von jeher gefehlt hat: seelisches Gleichgewicht und
höhere Vernünftigkeit. Er war nur fähig zu schwärmen,
sich an scheinbaren Jdealen zu begeistern, sich zu be-
rauschen, oder zu zweifeln, zu hassen, zu verneinen.
Awischen diesen Ertremen ist er sein Leben lang hin und
her gependelt, ohne je ein gefestigtes Gleichgewicht der
Seele und des Geistes finden zu können. Und daß er
es nicht finden konnte, lag tief in ihm begründet: hat er
doch selbst einmal seinen tiefsten Charaktergrund also
geschildert: „Iwei Aüge waren in seinem Seelenkompler,
die für sein Leben und sein Schicksal bestimmend wurden.
Der Iweifel! Er nahm die Gedanken nicht kritiklos an,
sondern entwickelte sie, verglich sie miteinander; darum
konnte er nicht Automat werden und sich nicht in die
geordnete Gesellschaft eintragen lassen. Empfindlich-
keit gegen Druck! Darum suchte er den Druck zu ver-
mindern, indem er sein eigenes Niveau hob, teils das
Höhere zu kritisieren, daß es nicht so hoch steht, also nicht
so erstrebenswert sei." (Sohn einer Mayd S. 234.)

Man kann sich leicht vorstellen, daß sich in einem
Menschen, der seine Iweifelsucht und seine Ressentiment-
Jnstinkte so offen bekennt, ja der sich ihrer noch rühmt,
keinerlei Bedenken erheben konnten, sich von einem
Ertrem ins andere zu verlieren. So kam es denn, daß
Strindberg sich anfangs der neunziger Jahre, als er mit
allen positiven Gedanken fertig war, als er seine ver-
wegene Einsamkeit in Skeptizismus und Stoizismus
nicht mehr ertragen konnte, als ihm vor seiner eigenen
Leerheit angst wurde, hemmungslos in den finstersten
Mystizismus stürzte, um sich selber und seiner Vehwcif-
lung zu entgehen und zugleich, um sich selber vor sich
^selber zu behaupten.

Und hier nun kommen wir auf den letzten Erlebnis-
grund der ganzen Strindbergschen Schriftstellerei: Mit
dem ganzen hemmungslosen Lebenstrieb des Paria aus-
gestattet, sucht Strindberg sich immer vor sich selber und
vor der Welt als berechtigt zu beweisen. Aus diesem
Trieb seiner Jchheit heraus muß man seine Angriffe auf
die Welt, muß man seine geistigen Fluchtversuche, muß
man nicht zum wenigsten seine Klagen und Anklagen
begreifen. „Empfindlichkeit gegen Druck" nannte er
selber beschönigend (und wieder mit einem Versuch, sich
zu rechtfertigen) diese seine Grundeigenschaft. Selbst
sein Iweifel steht im Dienste dieses niedrigen Jnstinkts
zur Selbstbehauptung um jeden Preis! Er zweifelt
alles an, um am Ende sich selber, als den einzigen zum
Leben Berechtigten, als den einzigen sittlichen und guten
Menschen zu beweisen. Und wenn er an Jdeale zu glau-
ben vorgibt, so etwa, wenn er den Sozialismus, die


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