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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 2
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Schäfer, Lisbeth: Waldemar Bonsels
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0055

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aldemar Bonsels.

Der Netstand unserer Tage ist so groß und
brennend geworden, daß jeder Einzelne die Frage, woher
das Ubel kommt und wie ihm abzuhelfen sei, jeden
Morgen gleich unübersteiglichen Mauern vor sich auf-
gerichtet sieht. Nicht die Nöte des äußeren Lebens sind
es, die heute einen größeren Teil unserer Volksgemein-
schast härter bedrangen als in früheren Tagen, die
schwellen an und ebben ab wie eine Flut, gebunden an
selbstgesteckte Grenzen. Das Leben läßt schließlich nur
ein gewisses Maß an Hunger, Entbehrung und Kälte
zu; wenn es darüber hinausgeht, erlöst die Natur selber
den gequälten Leib aus der Gefangenschaft seiner Be-
dingungen und gibt ihm jene Freiheit, da weder
Hunger noch Kälte etwas vermögen. Schärfer bedrängt
uns die Lebensnot unserer Aeit, die uns glücklos wie
Schiffbrüchige auf den kleinen Raum zwischen Furcht
und Hoffnung gedrängt hat. Furcht, es könnte die Aeit
der Prüfung über unsere Kraft gehen, und Hoffnung,
daß wir sie überstehen möchten und ein reineres Glück
gewinnen als das geborgene Dasein, daraus uns der
Krieg aufgejagt hat: es ist die ärgere Hungersnot und
die brennendere Kälte, der unsere Seelen ausgesetzt sind
in einer Ieit, darin nur noch der Machtwille des Raubtiers
mit der sinnlosen Willkür der Elemente zu regieren schei-
nen. Jeden Morgen möchten die Augen das llndurch-
dringliche zerteilen und der Hoffnung näher sein. Dringt
da nicht wie ein Licht die Stimme eines Dichters herein,
der unserer Hoffnung Gewißheit bringt, daß wir uns selbst
besinnen und nun das Glück erkennen: Mitten unter
uns und mit uns lebte es, doch wir kannten sein Gesicht
und seine Stimme nicht, weil wir zu arm waren in
einem Dasein, das, einzig der Erhaltung des Lebens
dienstbar, taub und blind von einer Nacht zur andern
stürzte!

Die „Heimat des Todes" heißt ein kleines Buch,
das, nicht größer als die bekannten Kriegstagebücher der
Kriegsberichterstatter, aus dem Verlag Schmidkunz,
München, zu uns kommt. Sein Verfasser ist Waldemar
Bonsels, ein Dichter, der nicht mehr unbekannt nüt
diesem dünnen Bändchen rmseren betrübten Tagen ein
so schönes Licht entzündete, daß man an die Gleichnisse
und Seligpreisungen der Heiligen Schrift gemahnt wird,
deren wortgewordene Weisheit einer höheren Einsicht
als der deS Tages dient. Die „Heimat des Todes"
könnte wohl einmal zu den wenigen Schriften zählen,
die in späten Aeiten eine Spur von dem tieferen Wesen
unserer Kämpfe und Leiden zu tragen bestimmt sind.
Denn das Buch schrieb ein Dichter, dem die Gabe ver-
liehen ist, in das Awielicht unserer persönlichen Anteil-
nahme mit einem Strahl ewigen Lichts zu leuchten,
so daß wir den Ursprung der Geschehnisse furchtlos er-
kennen und die tröstende Gewißheit daraus schöpfen,
daß unserer Hoffnung eine Erfüllung über Erwarten
geschenkt sein wird. Es sind kurze Abschnitte, erzählt in
jener Ehrfurcht vor der deutschen Sprache, die den abge-
griffenen Worten neuen Glanz gibt; ihre jahrtausend-
alte Bildkraft wird darin sichtbar, den Gedanken, der
aus unserm Blut aufschäuint, in die gebundene Ordnung
des zu Begreifenden zu bringen. Es sind keine Schlacht-

bcrichte, gefüllt mit den merkwürdigen Einzelheiten per-
sönlicher Erlebnisse, die dcn Schreiber im Spiegel seines
eigenen Temperaments zeigen, so daß wir im besten Fall
die Bekanntschaft eines interessanten oder gar bedeuten-
den Menschen machen, sondern unendlich behutsam auf-
gereihte Worte, die der Dichter zu einem Bild fügt, ohne
an etwaS anderes zu denken, als wie er den wundersamen
Geschehnissen, die an ihm vorübertreiben, ihr ewiges
Leben geben könnte. Er ist wie ein Gärtner oder Hirte,
der weiß, daß es nur auf seine Wachsamkeit ankommt,
daß aber Gedeihen und Vollbringen in einer höheren
Macht beschlossen bleiben. So sind achtzehn Stücke ent-
standen, davon einige wie Legenden klingen, denen die
Kraft einer Predigt und der Trost eines Sakraments
innewohnt. Das „Huhn von Myta" ist, das spürt man,
vom Dichter aufgenommen worden als die Offenbarung
göttlicher Allmacht, man fühlt das ehrfürchtige Benn'chen,
sich auch das geringste eitle Wort, die einfachste Gebärde
der Bewunderung zu versagen, damit jene zuversicht-
liche Gewißheit, von der im Anfang die Rede war, in
Erscheinung treten kann.

Von allen Kriegsberichten, die ich gelesen habe, sind
dies die einzigen, die ich wagen möchte, einem der Männer
in die Hand zu geben, die da draußen in einer übermensch-
lichen Liebe ihr Leben einsetzen für ihre Brüder. Jn dem
Buche steht nichts vvn Lob, nichts von Bewunderung,
es ist nur alles in das ewige Licht gestellt; da fallen alle
kleinen Gründe ab und vor uns steht der Mensch mit dem
Stück göttlicher Natur in sich, das sich in diesen Kämpsen
bewährt wie Gold im Feuer. Oft sind es so kleine be-
scheidene Dinge wie eine Mundharmonika, die schließen
wie eine Aauberin in diesem wüsten Dasein zwischen
Rauch und Feuer ein Reich voll ungeahnter Schönheit
aus. Nirgend begegnen wir jener kümmerlichen Sym-
bvlik, die ein Jdyll vortäuscht, wo viel mehr ist: leise,
wie die Sonne Blumenblätter öffnet, ist hier heißeste
Liebe uin das Geringste bemüht, bis aus der Unschein-
barkeit ein Strahl von Licht hervorbricht, der das gött-
liche Wesen in allem Geschöpf und allem Geschehen
offenbart. Weil Bonsels seine Kriegsberichte selber
„empfindsam" nennt, soll gesagt werden, daß sie zwar
fern von allem Wirklichkeitsfanatismus sind, doch nichts
unklar verhüllen, weit eher liegt ihre Schönheit in der
Blöße, mit der alles vor uns steht, darin die Armselig-
keit jeglicher Verkleidung erst erkennbar wird. Die
„Empfindsamkeit" ist vielleicht nicht mehr als eine leicht
entschuldigende Geste gegen die Einwände solcher, die
in unserer Aeit die Tatsache vor dem Gedanken schätzen.

Eine Seligpreisung des Meertodes möchte man die
letzten Seiten eines Stückes nennen, das „Die eiserne
Heimat" heißt, daraus schlägt uns eine ganz neue Liebe
entgegen, darin ist Sterben Pslicht, die alles vergessen
läßt rmd nur einen Gehorsam, eine Liebe weiß, die den
Brüdern dient. Man möchte so Stück für Stück aufheben
und herzeigen, froh, daß wir es haben und daß es möglich
ist, den Bstrübten solche Helligkeit zu schenken.

Jst dieses Buch „Die Heimat des Todes" scheinbar
das letzte, auch wohl das reifste Buch des Dichters Walde-
mar Bonsels, so ist es fast wunderbar, wie sein Weg, der
durch seine früheren Bücher gezeichnet ist, ihn fast nur auf
dieses vorbereitet zu haben scheint.


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