Eduard Reinacher.
während das Epos wie die große Dichtung überhaupt
sich auf die Grundgefühle stellen muß, nur sie bieten
sicheren Grund für einen monumentalen Aufbau. So
gering nun der Umfang der Reinacherschen Dichtung ist,
so seltsam ihre Art anmutet, so bestimmt ist ihr Dasein
aus diesen Grundgefühlen gebildet; im einzelnen flackert
sie noch, und im gedanklichen Schluß scheint sie überspitz
und dadurch töricht, aber im ganzen zeigt sie doch den
Trieb zur großen Vereinfachung, mit dem allein das
Menschliche zum Mythischen gesteigert und der Weg zum
Epos gefunden werden kann.
So ist mir der „Werwolf" einer der hoffnungsvollsten
Versuche unserer jungen Dichtung; hier macht nicht einer
die erpressionistische Mode mit, hier folgt einer dem
Jnstinkt zur großen Form im tollkühnen Vertrauen.
Und wenn ich noch zweifelhast wäre, so würde mich die
Sprache überzeugen, die den selben Jnstinkt der Verein-
fachung zeigt und namentlich in der ersten Hälfte Klar-
heit, Bedeutung und Größe mit der stärksten Anschaulich-
keit verbindet. Da ist in der Tat Luther am Werk, da
arbeitet seine Sprachkraft in einem jungen Munde, der
Großes sagen möchte. Wer dies in dem Bruchstück
empfindet, läßt fich vielleicht vom Dichter und Selbst-
verleger (Straßburg, Molsheimerstr. 36) die kleine Dich-
tung senden. Jch prophezeie, daß sie einmal eine be-
gehrte Seltenheit sein wird. S.
ie arme ElisabeLH.
Eine Straßburger Mariengeschichte.
Von Eduard Reinacher*).
Elisabeth Geitler war die Tochter einer nicht Verhei-
rateten. Die Mutter starb an der Geburt. Man erhielt
das armselige Wesen mit großem Auswand von ärztlicher
Kunst am Leben, um es fremden Menschen zur Erziehung
zu überlassen. Als Elisabeth achtzehn Jahre alt war,
diente sie bei einer Rentnerin namens Amendick, welche
ihr zum Frühstück eine Tasse Kaffee ohne Aucker und
ein Stück Brot von fünf Messerrücken Dicke, zu Mittag
Suppe, Gemüse und, wenn sie es ihr nicht zur Strafe
entzog, ein daumenballengroßes Stück Fleisch, und zum
Nachtessen Kaffee und ein Butterbrot gab. Die Rent-
nerin, ein fünfzigjähriges rippendürres Weib mit nervös-
fettem, gequollenem Gesicht, haßte alle Heimlichkeiten
und alles nachträgerische Wesen; deshalb verprügelte
sie das Mädchen sofort und mit lautem Gekreisch, so oft
sie mit ihm oder mit der Welt unzufrieden war. Jn
Stunden inneren Wohlseins suchte sie ihre Pflege-
befohlene auf den Wegen des Himmelreiches zu fördern,
indem sie ihr immer wieder aufdeckte und klarmachte,
auf welch sündigem Wege sie als ein gänzlich verworfenes
Wesen zur Welt gekommen sei, wie der Iweck ihres
Lebens sei, durch Demut, Arbeitsamkeit und Frömmig-
keit die Strafen einigermaßen zu mildern, die sie für
soviel Verderbtheit im Jenseits erwarteten. Sie schickte
sie sehr oft zur Beichte und überwachte sie bei der Ab-
leistung der aufgelegten Bußen, die sie manchmal zweck-
*) Aus„Die arme Elisabeth". CrzLhlungen von Eduard Reinacher.
(Verlag der Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt vorm.
R. Schultz sc Co., Strnßburg 1917.)
dienlich verschärfte, wenn der Priester ibrer Ansicht nacb
zu milde sein Urteil gefällt hatte.
Trotz solcher Bemühungen wurde das Aussehn der
Elisabeth immer sündiger. Jhre Haut wurde immer
blasser und durchsichtiger. Die Knochen, alles Jnwendige
schien durch die dünne Hülle nach außen drängen zu
wollen, jedem, der Lust oder Gold hätte, in die Hände:
so schalt Frau Amendick einmal. Die Adern zeichneten
sich grünlich aus den schmalen Schläfen heraus. Auf den
Wangen brannten rote Flecke. Lustrosen nannte sie Frau
Amendick. Die Aähne bargen sich nicht stets mit der
vorgeschriebenen Keuschheit hinter den dünnen Schwellen
der Lippen. Die Augen flackerten vor ungeheurem Be-
gehren: Nach Lust, sagte Frau Amendick, nach Brot,
weinte Elisabeth in ihr Kissen hinein, wenn sie nachts
hungerte. Aus den schwarzen Augen flackerte ihr das
Licht der Not, das Kerzlein am einsamen Strande, die
Bitte der Verlassenen, die kein Helfer erhören will. Frau
Amendick schalt sie oft, weil blonde weiche Haare, zu
schwarzen Augen gesellt, einen unregelmäßigen, Männer
reizenden Eindruck machen. Alle die schwarze Augen
und blonde Haare haben, die tragen den Keim zu großen
Sünden in sich. Will man sie zu Heiligen oder auch nur
zu fegfeuerfähigen Begnadigten machen, so muß man sie
hungern lassen und schlagen. Frau Amendick hatte sehr
oft ein Bedürfnis, jemand zu schlagen, seitdem ihr Mann
gelähmt war.
Elisabeth durfte nicht anders ausgehn als zur Kirche.
DieMinuten waren gezählt, die sie aufBesorgungsgängen
brauchen durfte. Wenn sie Kohlen oder Kartoffeln aus
dem Keller heraufschleppte, durfte sie nicht auf derTreppe
stehen bleiben, um mit den andern Mädchen zu schwatzen.
Elisabeth hatte keine Freundin. Sie sprach nur, wenn
man sie fragte. Dann gab sie halblaut, undeutlich und
hastig Antwort. Einmal, als sie im Beisein ihrer Herrin
eine Frage des Gemüsehändlers zu hastig und nicht laut
genug beantwortete, erhielt sie eine Ohrfeige. Frau
Amendick war stolz auf ihre frommen und erzieherischen
Absichten. Sie verheimlichte sie nicht vor der Welt. Ünd
die Welt ergötzte sich mit halblauten Auseinandersetzungen
über die erbärmliche Grausame und vergaß, dem armen
Mädchen im Geringsten zu Hilse zu kommen.
Elisabeth hatte ein handgroßes Spieglein von un-
ebenem Glas. Darin betrachtete sie jeden Morgen, wenn
sie sich kämmte, ihre flackernden schwarzen Augen und
die Erdbeerflecken auf ihren bleichen Backen. Sie weinte
einmal, als ihr der blaßrote Mund aus dem Spieglein
entgegenzulächeln versuchte. Sie dachte an eine Andere,
die am Arme eines Soldaten an ihr vorbeigegangen war.
Das war ein starkes, rotbackiges Mädchen gewesen. Der
Soldat hatte ihr die breiten Hüften getätschelt. Sie,
Elisabeth, würde niemals einem jungen Mann einhängen
dürfen.
Das wußte die arme, hungrige Elisabeth. Sie war
zu mager, zu bleich und zu häßlich, um einem S«ldaten
zu gefallen. Aber ihre Augen brannten doch. O, sie
hätte zu lieben verstanden! Aber sie war verachtet, jeder-
mann wußte, daß sie mit Schlägen und Tritten behandelt
wurde. Wie verachtet nmßte sie sein! Sie wagte nicht,
den Blick vom Boden zu erheben, wenn sie über die
Straße hastete. Sprach sie jemand an, klingelte ein Rad-
während das Epos wie die große Dichtung überhaupt
sich auf die Grundgefühle stellen muß, nur sie bieten
sicheren Grund für einen monumentalen Aufbau. So
gering nun der Umfang der Reinacherschen Dichtung ist,
so seltsam ihre Art anmutet, so bestimmt ist ihr Dasein
aus diesen Grundgefühlen gebildet; im einzelnen flackert
sie noch, und im gedanklichen Schluß scheint sie überspitz
und dadurch töricht, aber im ganzen zeigt sie doch den
Trieb zur großen Vereinfachung, mit dem allein das
Menschliche zum Mythischen gesteigert und der Weg zum
Epos gefunden werden kann.
So ist mir der „Werwolf" einer der hoffnungsvollsten
Versuche unserer jungen Dichtung; hier macht nicht einer
die erpressionistische Mode mit, hier folgt einer dem
Jnstinkt zur großen Form im tollkühnen Vertrauen.
Und wenn ich noch zweifelhast wäre, so würde mich die
Sprache überzeugen, die den selben Jnstinkt der Verein-
fachung zeigt und namentlich in der ersten Hälfte Klar-
heit, Bedeutung und Größe mit der stärksten Anschaulich-
keit verbindet. Da ist in der Tat Luther am Werk, da
arbeitet seine Sprachkraft in einem jungen Munde, der
Großes sagen möchte. Wer dies in dem Bruchstück
empfindet, läßt fich vielleicht vom Dichter und Selbst-
verleger (Straßburg, Molsheimerstr. 36) die kleine Dich-
tung senden. Jch prophezeie, daß sie einmal eine be-
gehrte Seltenheit sein wird. S.
ie arme ElisabeLH.
Eine Straßburger Mariengeschichte.
Von Eduard Reinacher*).
Elisabeth Geitler war die Tochter einer nicht Verhei-
rateten. Die Mutter starb an der Geburt. Man erhielt
das armselige Wesen mit großem Auswand von ärztlicher
Kunst am Leben, um es fremden Menschen zur Erziehung
zu überlassen. Als Elisabeth achtzehn Jahre alt war,
diente sie bei einer Rentnerin namens Amendick, welche
ihr zum Frühstück eine Tasse Kaffee ohne Aucker und
ein Stück Brot von fünf Messerrücken Dicke, zu Mittag
Suppe, Gemüse und, wenn sie es ihr nicht zur Strafe
entzog, ein daumenballengroßes Stück Fleisch, und zum
Nachtessen Kaffee und ein Butterbrot gab. Die Rent-
nerin, ein fünfzigjähriges rippendürres Weib mit nervös-
fettem, gequollenem Gesicht, haßte alle Heimlichkeiten
und alles nachträgerische Wesen; deshalb verprügelte
sie das Mädchen sofort und mit lautem Gekreisch, so oft
sie mit ihm oder mit der Welt unzufrieden war. Jn
Stunden inneren Wohlseins suchte sie ihre Pflege-
befohlene auf den Wegen des Himmelreiches zu fördern,
indem sie ihr immer wieder aufdeckte und klarmachte,
auf welch sündigem Wege sie als ein gänzlich verworfenes
Wesen zur Welt gekommen sei, wie der Iweck ihres
Lebens sei, durch Demut, Arbeitsamkeit und Frömmig-
keit die Strafen einigermaßen zu mildern, die sie für
soviel Verderbtheit im Jenseits erwarteten. Sie schickte
sie sehr oft zur Beichte und überwachte sie bei der Ab-
leistung der aufgelegten Bußen, die sie manchmal zweck-
*) Aus„Die arme Elisabeth". CrzLhlungen von Eduard Reinacher.
(Verlag der Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt vorm.
R. Schultz sc Co., Strnßburg 1917.)
dienlich verschärfte, wenn der Priester ibrer Ansicht nacb
zu milde sein Urteil gefällt hatte.
Trotz solcher Bemühungen wurde das Aussehn der
Elisabeth immer sündiger. Jhre Haut wurde immer
blasser und durchsichtiger. Die Knochen, alles Jnwendige
schien durch die dünne Hülle nach außen drängen zu
wollen, jedem, der Lust oder Gold hätte, in die Hände:
so schalt Frau Amendick einmal. Die Adern zeichneten
sich grünlich aus den schmalen Schläfen heraus. Auf den
Wangen brannten rote Flecke. Lustrosen nannte sie Frau
Amendick. Die Aähne bargen sich nicht stets mit der
vorgeschriebenen Keuschheit hinter den dünnen Schwellen
der Lippen. Die Augen flackerten vor ungeheurem Be-
gehren: Nach Lust, sagte Frau Amendick, nach Brot,
weinte Elisabeth in ihr Kissen hinein, wenn sie nachts
hungerte. Aus den schwarzen Augen flackerte ihr das
Licht der Not, das Kerzlein am einsamen Strande, die
Bitte der Verlassenen, die kein Helfer erhören will. Frau
Amendick schalt sie oft, weil blonde weiche Haare, zu
schwarzen Augen gesellt, einen unregelmäßigen, Männer
reizenden Eindruck machen. Alle die schwarze Augen
und blonde Haare haben, die tragen den Keim zu großen
Sünden in sich. Will man sie zu Heiligen oder auch nur
zu fegfeuerfähigen Begnadigten machen, so muß man sie
hungern lassen und schlagen. Frau Amendick hatte sehr
oft ein Bedürfnis, jemand zu schlagen, seitdem ihr Mann
gelähmt war.
Elisabeth durfte nicht anders ausgehn als zur Kirche.
DieMinuten waren gezählt, die sie aufBesorgungsgängen
brauchen durfte. Wenn sie Kohlen oder Kartoffeln aus
dem Keller heraufschleppte, durfte sie nicht auf derTreppe
stehen bleiben, um mit den andern Mädchen zu schwatzen.
Elisabeth hatte keine Freundin. Sie sprach nur, wenn
man sie fragte. Dann gab sie halblaut, undeutlich und
hastig Antwort. Einmal, als sie im Beisein ihrer Herrin
eine Frage des Gemüsehändlers zu hastig und nicht laut
genug beantwortete, erhielt sie eine Ohrfeige. Frau
Amendick war stolz auf ihre frommen und erzieherischen
Absichten. Sie verheimlichte sie nicht vor der Welt. Ünd
die Welt ergötzte sich mit halblauten Auseinandersetzungen
über die erbärmliche Grausame und vergaß, dem armen
Mädchen im Geringsten zu Hilse zu kommen.
Elisabeth hatte ein handgroßes Spieglein von un-
ebenem Glas. Darin betrachtete sie jeden Morgen, wenn
sie sich kämmte, ihre flackernden schwarzen Augen und
die Erdbeerflecken auf ihren bleichen Backen. Sie weinte
einmal, als ihr der blaßrote Mund aus dem Spieglein
entgegenzulächeln versuchte. Sie dachte an eine Andere,
die am Arme eines Soldaten an ihr vorbeigegangen war.
Das war ein starkes, rotbackiges Mädchen gewesen. Der
Soldat hatte ihr die breiten Hüften getätschelt. Sie,
Elisabeth, würde niemals einem jungen Mann einhängen
dürfen.
Das wußte die arme, hungrige Elisabeth. Sie war
zu mager, zu bleich und zu häßlich, um einem S«ldaten
zu gefallen. Aber ihre Augen brannten doch. O, sie
hätte zu lieben verstanden! Aber sie war verachtet, jeder-
mann wußte, daß sie mit Schlägen und Tritten behandelt
wurde. Wie verachtet nmßte sie sein! Sie wagte nicht,
den Blick vom Boden zu erheben, wenn sie über die
Straße hastete. Sprach sie jemand an, klingelte ein Rad-