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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 10/11
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Mahrholz, Werner: Benno Rüttenauer: Bemerkungen über einen modernen Romantiker
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Ernst, Paul: Episch und dramatisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0290

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B enno Rüttenauer.

Da überfiel es auch Wendelin. Und sein Kopf sank
ihm nieder ins Moos, in den duftenden Thymian. Seine
Augenlider wurden schwerer und schwerer . . . aber,
siehe, was war das?

Das war das erhosfte Wunder. Aus dem Wasser
stieg der grüne Vogel. Dann saß er auf einem Iweig
des Holunders in funkelnder Pracht. Und mit mensch-
licher Stimme redete er zu Wendelin. „Du begehrst
meine Königin zu schauen," sprach er, „dein Wunsch
soll dir erfüllt werden, die Königin schickt dir Gruß und
Pferd."

Der grüne Vogel hatte kaum also gesprochen, da
schwang sich ein Heupferd auf die Brücke, ein gewaltig
großes, mit zwei himmelblauen und zwei hochroten
Flügeln, ein wundersames Tier. Wendelin erzitterte.
Das Flügeltier sah ihn an mit großen, kugelrunden
Augen. Und in seiner Ungeduld rieb es die langen
stachelichten Bcine aneinander, und ein seltsames Tönen
ging davon aus wie von Glas.

Wendelin wußte selber nicht, wie es geschah, er saß
auf einmal dem Ungeheuer auf dem Rücken, zwischen
den himmelblauen und den hochroten Flügeln. Als
Aügel dienten ihm die Fühler. Das Pferd rieb seine
stacheligen Beine aneinander, ein wundersames Tönen
und Klingen zitterte durch die Luft, und fort ging's in
sausendem Flug.

Jn den Weiden kamen sie an eine Höhle. Awei
blaue Ottern bewachten den Eingang. Dann ging die
Reise im Finstern. Nur hier und da flackerte ein Jrr-
lichtlein am Wege und leuchtete ein runder Klumpen
von Glühwürmern. Jn der Ferne sahen sie sieben
Karfunkel wie rote Sterne schimmern.

Awei Torflügel öffneten sich. Wendelin mußte die
Augen schließen. Der Glanz blendete ihn. Die Wände
waren von Kristall und alles funkelte und blitzte. Durch
die Wände hörte man die Wasser rauschen und singen.
So ging es fort durch weite Hallen. Endlich kamen sie
in einen runden Saal. Hier saßen im Kreis die Wasser-
fräulein. Jhre Leiber, weiß wie Schlehenblust, schimmer-
ten durch goldene Schleier. Auf dem Haupte trugen
sie goldene Kronen. Sie spannen goldenen Flachs von
goldenen Rocken. Den Faden drehten sie auf goldene
Spindeln.

Jn der Mitte saß die Königin. Sie winkte Wendelin
zu sich her, sie nahm ihn auf ihr weißes Knie. Sie faßte
sein Gesicht mit ihren kühlen, lilienweißen Händen. Sie
bog ihren roten Mund zu seinem Mund. Ein süßer
Schauer durchrieselte ihn ... da ... was war das? Das
war ein dumpfes Aufplumpsen . . .

Und verschwunden war alle Herrlichkeit.

Und Wendelin lag mitten im Bach. Die Gänse
fuhren erschrocken aus dem Schlaf und reckten die Hälse.
Frau Welte war auch erwacht. Sie erhob ein lautes
Geschrei. Sie ballte die Faust. „Der Taugenichts, der
Tagedieb," schrie sie. Und Veit kam herzu, der treue
Knappe, und sah, was geschehen. Er zog den Wendelin
aus dem Bach.

Der arme Wendel bot einen jämmerlichen Anblick
dar. Er hatte keinen trockenen Faden am Leib. Er
triefte wie eine ersäuste Maus. Frau Welte zerrte ihn so-
fort in die Stube. Sie schalt: „Dich lachen die Gänse aus."

Jn der Tat erhoben die Gänse ein lautes Geschnatter.
Auch die Enten kamen herbei und alle Hühner. Denn
so was ereignete sich nicht alle Tage. Und das Geschnatter
und Gegacker wollte kein Ende nehmen.

Nur der Hahn hielt sich fern, in stolzer Vornehmheit.
Er verließ seine hohe Stätte nicht, nämlich seine Dünger-
stätte, und unermüdlich forschte er und grübelte und
grub nach des Düngers tief verborgenem Kern. Er fand
auch eben wieder ein Körnlein, das trotz Wiederkäuens
ein Ochs oder Esel nicht verdaut hatte. Und er ließ
einen lauten Ruf ertönen. Aber seine Hühner hörten
ihn diesmal nicht. Kein einziges sah sich nach ihm
um. Jhr Gegacker war ihnen im Augenblick wichtiger.
Da ärgerte sich der Hahn gar sehr über den dummen
Wendel. .

„O, Onkel Heinzelmann," rief hier die kleine Olga,
„das ist ja gar kein richtiges Märchen, das ist nichts als
die Geschichte mit dem Alerander, wie der drüben von
der Brücke gefallen ist, weil er eingeschlafen war. Jch
war damals noch ein ganz kleines Ding, aber ich weiß
noch sehr gut, wie die Here vom kleinen Dörfle, die
Hanne Strohmelker ihn herausgezogen hat, weil sie
grad' vom Steinklopfen heimging."

„So so, das weißt du noch," sprach scheinbar mit
großer Verwunderung der Herr Steuerperäquator,
indem sein Mund eine mächtige Rauchwolke ausstieß,
„ja, ja, du bist eben auch ein allzugescheit's Frauen-
zimmerchen. Du hast amend gar mitgeschnattert mit
den andern Gänsen."

So der Herr Steuerperäquator. Jch aber, ganz
stumm geblieben, wurde nun rot vor Verlegenheit,
denn wahrlich, ich hatte es gar nicht bemerkt, daß das
Märchen meine eigene Geschichte war.

pisch und dramatisch.

Von Paul Ernst, Neustadt (Südharz).

Ein alter Historiker, Sara Grammaticus, crzählt,
daß ein Unterkönig von Jütland, namens Horwendill,
durch seinen Bruder Fingo ermordet wird. Fingo weiß
die Witwe Geruthe sür sich zu gewinnen, indem er ihr
vorredet, Horwendill habe ihr nach dem Leben getrachtet,
und beredet sie, ihn zum Mann zu nehmen. Der erwach-
sene Sohn Horwendills, Amleth, sieht ein, daß Fingo
seine Rache fürchten muß, und stellt sich daher wahn-
sinnig. Fingo macht eine Probe auf seinen Wahnsinn,
indem er ihn mit einem schönen Mädchen zusammen-
bringt; die Probe mißglückt; dann läßt er ihn allein
mit der Königin sprechen und das Gespräch belauschen;
Amleth ermordet den Lauscher und macht dann seiner
Mutter Vorwürfe, welche sie das Unrecht ihrer Hand-
lungsweise einsehen lassen. Endlich schickt ihn Fingo
mit zwei Gefährten an den König von England mit
der schristlichen Weisung, ihn zu ermorden; Amleth
öffnet die Briefe und ändert sie so, daß die Begleiter
ermordet werden. Am englischen Hofe erweckt er eine
große Achtung durch seine außerordentliche Klugheit
und gewinnt die Tochter des Königs zur Frau. Nach
einem Jahre kehrt er allein und in Bettlertracht nach
Jütland zurück; er kommt zur Feier seines Todes im
 
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