Die arrne Elisabeth.
Mund, ehe sie einschliefen. Die Kälte, die dem Morgen
vorangeht, weckte sie. „Murner, Murner," flüsterte sie.
Er antwortete, indem er ihr mit den Fingern den Tau
von den goldenen, weichen Locken abstrählte. „Murner,"
fragte sie, „willst du jetzt noch nicht sagen, daß du es bist?"
„Ei wohl bin ich's, es müßte denn sein, daß duträumtest,
und ich auch." „Es ist so, wie ich gesagt habe, wie es
hat kommen müssen. Die Sterne werden bleich, aber der
Himmel ist sehr schön. Der Tag wird nicht lange warten,
dann steigt er über die Welt. Die Erde ist auch schön.
Mit Blumen hat sie sich schön gemacht, welche die ganze
Nacht durch duften, bis an den vollendeten Tag. Die
himmlische Frau ist wunderschön. Jhr Mantel hat keinen
Stern mehr, aber ihre weißen Hände schimmern, wie die
Lilien am Tag, und sie trägt den lieblichen Knaben. Sie
ist gewaltig groß geworden; mit dem Haupt ragt sie
wohl in den Himmel; denn ich kann ihre Augen und
ihre Stirn nicht mehr sehn, so hoch droben sind sie. Aber
ihre goldenen Haare sehe ich wohl. Bis zur Erde wallen
sie nieder. Mit den Füßen steht sie mitten über deni
Rhein. Siehst du, es sind Stufen in dem grünen Wasser
ausgehauen: wie Marmor leuchten sie. Es ist eine Treppe,
daß wir hinuntergehn können in unsern Palast. Die
Heilige hat den Fluß gesegnet, darum ist er so schön.
Wir werden mit Freude in den schimmerndenKammern
wohnen, und die Fische werden uns bedienen. Es ist
einmal ein Priester ertrunken, als er den Fischen predigte.
Der ist jetzt ein Geist; er wird uns die Hände zusammen-
geben. Wir sollen Hochzeit machen auf dem Boden des
Stroms, ehe der Tag uns überrascht. Siehst du, wie sie
uns zunickt? Sie will sagen, daß wir nicht säumen sollen.
Wenn uns die Sonne beieinander sähe, dann wäre wieder
alles aus. Komm, lieber Tod, denn du sollst mein
Bräutigam sein! Auf der Erde habe ich dich gefunden,
die heilige Frau hat dich mir gezeigt, weil du niich lieb-
haben sollst. Alle Menschen haben mich nicht geliebt, du
aber hast mich lieb, und ich liebe dich sehr. Jch will dir
den Arm geben und mit dir sterben im Strom. Lieber
Tod! Lieber Bräutigam! Lieber Murner!" Er hielt sie
fest, ohne sie zu küssen, so daß sie sich nicht rühren konnte.
„Elisabeth," rief er, „was träumst du so fürchterlich? Jch
bin nicht der Tod! Jch will dich nicht heiraten in dem
nassen Grab da im Fluß. Du sollst leben, Elisabeth!
Komm mit mir, komm in die Stadt!" Da stemmte sie
sich mit beiden Fäusten gegen ihn und suchte sich mit
aller Gewalt von ihm freizumachen. Aber er ließ sie
nicht los, sondern nahm sie auf seine Arme und wollte
sie heimtragen. Da weinte und wimmerte sie herz-
brechend und vergoß viele Tränen, wovon seine Kleider
naß wurden. Sie bat und flehte: „Laß mich doch auf den
Boden! Laß mich gehn, gib mir doch den Arm, geh doch
mit mir hinab. O du! Mein Bräutigam!" Er aber
küßte sie nur und ließ sie nicht los. Da verwandelten
sich ihre Gedanken, und sie rief ihn feindlich an: „Warum
hältst du mich denn, du schlechter Mann? Habe ich dir
etwas getan, daß du niich in die höllische Stadt schleifst,
damit sie mich quälen können, die wüsten Teufel, damit
sie mich auf die Schienen binden! Du bist ein höllisches
Straßenbahntier! O du Leviathan! Du willst mich über-
fahren, meine armen Knochen zerbrechen inwendig alle!"
Darauf weinte sie einc Zeitlang weiter, ohne zu reden.
Dann flehte sie wieder: „Laß mich doch gehn, du!
Siehst du nicht, daß die heilige Frau mit dem Kopfe
nickt? Sie befiehlt es dir, du mußt ihr gehorchen!"
„Elisabeth! Erwache doch! Sieh mich doch an!" „Jch
sehe dich wohl, Mann, du bist sehr, sehr böse. O Tod,
lieber Tod! Warte nur, du! Der Tod ist mein Bräuti-
gam. Murner heißt er, im Rhein wartet er auf mich in
einer gläsernen Kammer. Es ist hohe Aeit, daß ich komme.
Hüte dich, wenn er ungeduldig wird! Jch will dich ver-
klagen bei ihm." Murner setzte sich mit ihr auf einen
Meilenstein und streichelte ihr die Schläfen. Da tat sie
mit schlauem Lächeln, als würde sie ruhig und verständig,
wie er sie haben wollte. Sie wartete eine Viertelstunde
lang, ehe sie sagte: „Wollen wir weitergehn, Murner?"
Er ließ sich betören, setzte sie von seinem Schoß auf den
Boden und bot ihr den Arm, um mit ihm heimzukehren.
Sie aber rettete sich durch einen Sprung unter das
schützende Gewand der Jungfrau in den tiefen Rhein....
as Haus.
Von Eduard Reinacher*).
Jch ließ mein haus mit strömen von wassern reinigen.
Dann öffnete ich fenster und türen, daß die sonne hinein-
schien und der wind hindurchfuhr. Jch ließ den bildhauer
kommen, daß er die wege des gartens mit herrlichen
bildern schmückte. Und er schmückte sie mit dem herr-
lichsten, was er wußte. Er schmückte sie mit frauen und
männern. Er schmückte sie mit jünglingen und jung-
frauen. Er schmückte sie mit mädchen und blühenden
knaben. Er schmückte sie niit löwen, hunden und schön-
gebautem getier. Er schmückte die wiesen mit blumen
und die schattigen plätze mit bänken. Er schuf die brunnen,
daß ihre wasser in der sonne leuchteten. Er schuf die
brunnen, daß das licht ihrer wasser die augen meiner
liebsten erfreute. Er schuf die menschen und götter, die
die wege hüteten, meiner liebsten zu einem bild ihrer
herrlichkeit. Er schuf die bänke unter schattigen bäumen
meiner liebsten zur stille. Und ich bat meinen freund, die
wände nieines hauses zu schmücken. Und er malte den
eingang meines hauses wie einen sternensaal. Da war
der himmel blau und glänzend dunkel, und die sterne
leuchteten jeder an seiner stelle. Und die erde war in
dunkelheit, und die büsche waren wie schatten. Ein zug
glücklicher aber kam aus dem schattigen lande, und wo sie
waren, da war nicht die nacht, sondern tag. Es waren
viele der glücklichen, mit fackeln zogen sie hin. fKnaben,
die lichter mutwillig schwangen, mädchen, die ihre mit
achtsamkeit vor sich trugen. Es waren zwei leuchtend
schöne fern von den andern, die gingen zusammen allein.
Die trugen nur eine einzige fackel, deren glut wie die
pracht einer dunklen rose war. Sie gingen mit umge-
schlungenen armen miteinander, sie, jüngling und jung-
frau. Und er hatte seinen rechten arm um ihren nacken
gelegt, und seine rechte hand ruhte zwischen ihren brüsten.
Sie aber umfaßte seine schlanken lenden mit ihrer linken
hand. Und sie liebten einander so sehr, daß sie von allen
andern nichts sahcn. Doch folgten sie ihnen von ferne
*) Aus „Werwolf, eine Dichtunq, vcrleqt bci mir selbst".
(Straßburg, 1917.)
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Mund, ehe sie einschliefen. Die Kälte, die dem Morgen
vorangeht, weckte sie. „Murner, Murner," flüsterte sie.
Er antwortete, indem er ihr mit den Fingern den Tau
von den goldenen, weichen Locken abstrählte. „Murner,"
fragte sie, „willst du jetzt noch nicht sagen, daß du es bist?"
„Ei wohl bin ich's, es müßte denn sein, daß duträumtest,
und ich auch." „Es ist so, wie ich gesagt habe, wie es
hat kommen müssen. Die Sterne werden bleich, aber der
Himmel ist sehr schön. Der Tag wird nicht lange warten,
dann steigt er über die Welt. Die Erde ist auch schön.
Mit Blumen hat sie sich schön gemacht, welche die ganze
Nacht durch duften, bis an den vollendeten Tag. Die
himmlische Frau ist wunderschön. Jhr Mantel hat keinen
Stern mehr, aber ihre weißen Hände schimmern, wie die
Lilien am Tag, und sie trägt den lieblichen Knaben. Sie
ist gewaltig groß geworden; mit dem Haupt ragt sie
wohl in den Himmel; denn ich kann ihre Augen und
ihre Stirn nicht mehr sehn, so hoch droben sind sie. Aber
ihre goldenen Haare sehe ich wohl. Bis zur Erde wallen
sie nieder. Mit den Füßen steht sie mitten über deni
Rhein. Siehst du, es sind Stufen in dem grünen Wasser
ausgehauen: wie Marmor leuchten sie. Es ist eine Treppe,
daß wir hinuntergehn können in unsern Palast. Die
Heilige hat den Fluß gesegnet, darum ist er so schön.
Wir werden mit Freude in den schimmerndenKammern
wohnen, und die Fische werden uns bedienen. Es ist
einmal ein Priester ertrunken, als er den Fischen predigte.
Der ist jetzt ein Geist; er wird uns die Hände zusammen-
geben. Wir sollen Hochzeit machen auf dem Boden des
Stroms, ehe der Tag uns überrascht. Siehst du, wie sie
uns zunickt? Sie will sagen, daß wir nicht säumen sollen.
Wenn uns die Sonne beieinander sähe, dann wäre wieder
alles aus. Komm, lieber Tod, denn du sollst mein
Bräutigam sein! Auf der Erde habe ich dich gefunden,
die heilige Frau hat dich mir gezeigt, weil du niich lieb-
haben sollst. Alle Menschen haben mich nicht geliebt, du
aber hast mich lieb, und ich liebe dich sehr. Jch will dir
den Arm geben und mit dir sterben im Strom. Lieber
Tod! Lieber Bräutigam! Lieber Murner!" Er hielt sie
fest, ohne sie zu küssen, so daß sie sich nicht rühren konnte.
„Elisabeth," rief er, „was träumst du so fürchterlich? Jch
bin nicht der Tod! Jch will dich nicht heiraten in dem
nassen Grab da im Fluß. Du sollst leben, Elisabeth!
Komm mit mir, komm in die Stadt!" Da stemmte sie
sich mit beiden Fäusten gegen ihn und suchte sich mit
aller Gewalt von ihm freizumachen. Aber er ließ sie
nicht los, sondern nahm sie auf seine Arme und wollte
sie heimtragen. Da weinte und wimmerte sie herz-
brechend und vergoß viele Tränen, wovon seine Kleider
naß wurden. Sie bat und flehte: „Laß mich doch auf den
Boden! Laß mich gehn, gib mir doch den Arm, geh doch
mit mir hinab. O du! Mein Bräutigam!" Er aber
küßte sie nur und ließ sie nicht los. Da verwandelten
sich ihre Gedanken, und sie rief ihn feindlich an: „Warum
hältst du mich denn, du schlechter Mann? Habe ich dir
etwas getan, daß du niich in die höllische Stadt schleifst,
damit sie mich quälen können, die wüsten Teufel, damit
sie mich auf die Schienen binden! Du bist ein höllisches
Straßenbahntier! O du Leviathan! Du willst mich über-
fahren, meine armen Knochen zerbrechen inwendig alle!"
Darauf weinte sie einc Zeitlang weiter, ohne zu reden.
Dann flehte sie wieder: „Laß mich doch gehn, du!
Siehst du nicht, daß die heilige Frau mit dem Kopfe
nickt? Sie befiehlt es dir, du mußt ihr gehorchen!"
„Elisabeth! Erwache doch! Sieh mich doch an!" „Jch
sehe dich wohl, Mann, du bist sehr, sehr böse. O Tod,
lieber Tod! Warte nur, du! Der Tod ist mein Bräuti-
gam. Murner heißt er, im Rhein wartet er auf mich in
einer gläsernen Kammer. Es ist hohe Aeit, daß ich komme.
Hüte dich, wenn er ungeduldig wird! Jch will dich ver-
klagen bei ihm." Murner setzte sich mit ihr auf einen
Meilenstein und streichelte ihr die Schläfen. Da tat sie
mit schlauem Lächeln, als würde sie ruhig und verständig,
wie er sie haben wollte. Sie wartete eine Viertelstunde
lang, ehe sie sagte: „Wollen wir weitergehn, Murner?"
Er ließ sich betören, setzte sie von seinem Schoß auf den
Boden und bot ihr den Arm, um mit ihm heimzukehren.
Sie aber rettete sich durch einen Sprung unter das
schützende Gewand der Jungfrau in den tiefen Rhein....
as Haus.
Von Eduard Reinacher*).
Jch ließ mein haus mit strömen von wassern reinigen.
Dann öffnete ich fenster und türen, daß die sonne hinein-
schien und der wind hindurchfuhr. Jch ließ den bildhauer
kommen, daß er die wege des gartens mit herrlichen
bildern schmückte. Und er schmückte sie mit dem herr-
lichsten, was er wußte. Er schmückte sie mit frauen und
männern. Er schmückte sie mit jünglingen und jung-
frauen. Er schmückte sie mit mädchen und blühenden
knaben. Er schmückte sie niit löwen, hunden und schön-
gebautem getier. Er schmückte die wiesen mit blumen
und die schattigen plätze mit bänken. Er schuf die brunnen,
daß ihre wasser in der sonne leuchteten. Er schuf die
brunnen, daß das licht ihrer wasser die augen meiner
liebsten erfreute. Er schuf die menschen und götter, die
die wege hüteten, meiner liebsten zu einem bild ihrer
herrlichkeit. Er schuf die bänke unter schattigen bäumen
meiner liebsten zur stille. Und ich bat meinen freund, die
wände nieines hauses zu schmücken. Und er malte den
eingang meines hauses wie einen sternensaal. Da war
der himmel blau und glänzend dunkel, und die sterne
leuchteten jeder an seiner stelle. Und die erde war in
dunkelheit, und die büsche waren wie schatten. Ein zug
glücklicher aber kam aus dem schattigen lande, und wo sie
waren, da war nicht die nacht, sondern tag. Es waren
viele der glücklichen, mit fackeln zogen sie hin. fKnaben,
die lichter mutwillig schwangen, mädchen, die ihre mit
achtsamkeit vor sich trugen. Es waren zwei leuchtend
schöne fern von den andern, die gingen zusammen allein.
Die trugen nur eine einzige fackel, deren glut wie die
pracht einer dunklen rose war. Sie gingen mit umge-
schlungenen armen miteinander, sie, jüngling und jung-
frau. Und er hatte seinen rechten arm um ihren nacken
gelegt, und seine rechte hand ruhte zwischen ihren brüsten.
Sie aber umfaßte seine schlanken lenden mit ihrer linken
hand. Und sie liebten einander so sehr, daß sie von allen
andern nichts sahcn. Doch folgten sie ihnen von ferne
*) Aus „Werwolf, eine Dichtunq, vcrleqt bci mir selbst".
(Straßburg, 1917.)
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