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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 3
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Röttger, Karl: Das Herz des Clemens
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0083

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as Herz des Clemens.

Von Karl Röttger (Düsseldorf).

Später, wenn Clemens sich besann, wenn er noch
einmal sich selber zu sammeln trachtete, in all dem
Schmerzgefühl, dessen er immer weniger Herr werden
konnte, wenn er sich auf sich selbst besann, um zu er-
sorschen, was es denn nun eigentlich sei, das sein
Leben so bitter, so verlassen gemacht habe, was fein
Herz so frieren lasse (wiewohl er sich in dic Arme Gottes
zu legen trachtete), immer wurden ihm doch nur Bilder
lebendig; Bilder der Kindheit, des Traums und der
Sehnsucht. Und so wurde ihm doch auch dies Besinnen
und Nachdenken wieder bitter; denn seinem Leben hatte
von allem jungen Anfang an die Erfüllung gefehlt.

Denn Clemens wußte nicht (bis in die Auflösung des
Geistes hinein, bis in die Auflösung des Körpers hinein
— die wir Tod nennen —), daß es Menschen gibt, die
dazu bestimmt sind, nie etwas anderes, denn Kinder zu
sein, und daß er selber zu diesen Menschen gehörte.
Daß diese Kind-Menschen aber eben das Menschtum
am einfachsten und einfältigsten, am wahrsten und rein-
sten darstellen und daß sie darum eben tiefer leiden
müssen als andere Menschen, da ja die Welt noch nicht
gut ist. Da sie ja in die Welt wie in etwas Fremdes ge-
stellt sind. Daß sie darum auch vorherbestimmt sind, der
Welt und des Doseins innerste Schwermut zu wissen,
des Daseins bitterste Weisheit: wir sind allein. Und daß
sie etwas leben, das durch die Jahrtausende geht von
Mose bis auf Christ, von Buddah bis auf namenlose
Weise des Heute . . . Nur daß bei all diesen, die das
Kennzeichen des Traums und Jenseits tragen, auch noch
ein Unterschied ist: zwischen denen, die im Leid die
Wahrheit finden, und denen, die vom Leid erstickt werden.
Die Wahrheit ist aber diese (eines uralten Menschen
Weisheit): daß alles sein Gegengift in sich trage; auch
das Leid. Lao Tse wußte es, und Christ lebte es —
und überwand ... Das Herz des Clemens aber ist daran
erstickt wie viele andere, weil er das Gegengift auf vielen
Wegen suchte, außer sich — anstatt in sich. Des darf
ihm niemand zürnen; wissen wir doch nach Jahrtausenden
nicht, warum die Herzen in die Jrre gehen und warum
sie frieren müssen im Wind der Welt. Das Herz des
Clemens erstickte. Wer fragt, warum?

Wenn Clemens sich besann und sein Herz fragte,
warum er leide, da er doch so viel Schönheit gesehen habe
und so viel gewollt habe, so war diese Frage ein Ruf in
die Stille. Was konnte antworten? Keines Menschen
Mund. Und so antwortete das Herz des Clemens selber,
uicht mit Worten, sondern mit Bildern, und es stand da
die Jugend, und sie war seltsam bewegt von Bildern,
Schatten, Klängen der Lieder, wispernden Rebenranken
um Fenster in Abenddämmerung und Mondschein; von
Mädchen, die hinglitten, als gingen sie nicht; von Wan-
eerern, die^in der Mondnacht gingen mit einem Marsch-
ued; von Schlössern, die in den Strom schauen; Garten
uut einsam frierenden Marmorbildern; Nachten, da er
nur wach lag und seine Kinderhände in das Mondlicht
Wgte; Abenden, da er aufschauend in den Himmel ertrank,
Zwischen all den goldnen Sternen in samtblauer Tiefe;

von Tagen, die auch hell und lustig waren, im Gespiele
nrit andern Kindern und den Geschwistern ....

Und dann wußte er schon lang nicht mehr, was in all
dem Wahrheit sei und was Traum. Nicht mehr bedenkend,
daß ja dort alles gleich ist — Wahrheit und Traum.
Denn der Traum ist in solchen Kinderherzen, die ein
Ahnen von der höchsten Schönheit und Wahrheit mit-
bringen aus Gottes schweigender Urgrundsnacht, eben
das, was Wahrheit werden möchte zu ihrem Heile
und anderer Heil. Clemens wußte es einst. Einst.
Und so hatte er gesungen, den Traum, immer den Traum,
der da Wahrheit werden möchte. Und war glücklich ge-
wesen, die kleine Weile (oder die Ewigkeit lang — denn
das Glück mißt nicht nach lang und kurz). Nun aber,
da er sich schon verloren hatte, wußte er es kaum noch
— manchmal nur wie ein fernes Erinnern, das er aber
schon für Lüge hielt. Und dies ist das Lied:

O Kindheit, lächelnd in die großen Bogen

der Himmej und der Horizonte, da

das Wunder thronte und das Glück geschah.

O Kindheit, lächelnd, der die Träume logen.

Und doch ein Freuen nah, so liebend nah.

O Traum der Kindheit und des Wachsens Mühe,
und Spiel in Gärten zwischen Beet und Strauch,
und schräge Sonne und cin Abendrauch
in alten Straßen; kühle Abendfrühe,

in Bäumen rasches Wehn und Blütenhauch.

O Not der Trauer: Schauern vor dem Sollen.

Vor ungemäßem Tun, das jäh verdarb,
was innen keimend um die Liebe warb
der nahen Welt, . . . Träncn, die heimlich quollen

um eine Liebe, die schon frühe starb.

O Glück des Fragens aus den Wirklichkeiten
ins Jenseits hin, zu Traum und Jdeal —
das Glück der Wünsche und des Suchens Qual,
und nrüde dann ein schweres Heimwärtsschreiten —

und Abendlied im grünen Frühlingstal . . .

Und doch das Werden, da bedrücktes Jnnen
doch wuchs, wie Pflänzlein durch den harten Stein,
durch Nichtverstehn und lastendes Cinsamsein —
und in den Adern zarter Ströme Rinnen

und Aufwärtsmühn — und ganz zuleHt allein

das stumme Weggehn aus den alten Gleisen
der Heimat und der Märchen, die verblaßt
wie schwebend stehn — aus aller Spiele Hast
in Dämmcrung und aus dem fließend leisen

Kommen und Gehn vergangner Tage — fast

ist alles schon nicht wahr und nie gewesen. —

O Weg der Kindheit, der verworren fand
wohin — wohin? An dessen Ende stand
ein anderer, der jenes nie gewesen —

du sanftes Bild an des Erinnerns Rand.

Das war das Lied. Aber Clemens hatte sich schon
verloren an der Phantome Übermacht, daß er eS nicht
mehr sang.

* *

Er wußte aber nicht, daß es der Phantome Über-
macht war; noch daß es überhaupt Phantome waren;
noch daß die Phantome schon gezeugt waren in seiner
Jugend, eben da und zu jener Aeit, da törichte Welt-
hände in ihn die Angst säten; die hernach groß wuchs
und an seinem Blut sog, wie Tiere, die groß werden

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