Kunstwissenschastliche Betrachtungen über bäuerliche Bauformen
an darf wohl sagen, daß unsere bäuerliche
Kunst der Geschichte angehört. Es gibt hier
kein Weiterbilden der Bauformen, wie wir
es heute in den Städten verfolgen, denn der über-
wiegende Teil der heute entstehenden Bauernhäuser
ist in den Formen meist von städtischen Bauarten beein-
flußt und nur ein kleiner Teil entsteht nach künst-
lerischen Gesichtspunkten. Weil aber hierbei das Re-
konstruieren vorherrscht, so haben wir keine lebendige
Bauernkunst mehr. Jener überwiegende Teil aber,
der nach städtischen Einflüssen zustande kommt, ist
geradezu seelenlos zu nennen, weil er nicht etwa in
erster Linie die verstadtlichten ehemaligen Bauernhaus-
formen aufnimmt, sondern durch die technischen Bedingt-
heiten von heute veranlaßt, mehr die Formen des
Jndustriebaues auf das Land verpflanzt. Natürlich
erklärt sich dies alles nur aus den wirtschaftlichen Grund-
lagen des heutigen Bauerntums heraus. Es gibt kein
freies Bauerntum mehr und sei der einzelne Hof oder
das einzelne Gut noch so groß; die wirtschaftlichen
Quellen liegen heute sämtlich in der Stadt, und das
selbständige, unabhängige Bauerntum hat aufgehört zu
bestehen. Da verloren auch die bäuerlichen Bauformen
ihre Selbständigkeit und an ihre Stelle traten verwässerte
Formen aus der Stadt. Wohl war ehemals das gleiche
umgekehrt geschehen, indem die städtischen Formen,
wenigstens was den Wohnhausbau anbelangt, sich aus
den bäuerlichen Formen entwickelten, aber das war in
einer Aeit ruhiger, reiner Kunstübung, während der
neuere Vorgang sich
in einer Ieit ab-
spielte, die künstle-
risch sehr tief stand.
Der ganze Jammer
unserer überstürzten
volkswirtschaftlichen
Entwicklung faßt uns
an, wenn wir breite
Striche des schönen
deutschen Landes,
ganz besonders des
norddeutschen Lan-
des, mit verbäuer-
lichten Jndustriebau-
ten überladen sehen,
wo man bis vor hun-
dert Jahren noch auf
den ehrbaren Wegen
des Kunstgerechten
zu wandeln bestrebt
war. Wie in der
städtischen Baukunst, so reißt auch in der Bauernkunst
um diese Zeit der Faden ab. Die lange Kriegszeit hatte
die schöpferischen Köpfe und die gestaltenden Seelen
vernichtet, so daß es an ernsten Kunstausübenden fehlen
mußte. Leider wird auch nach dieser Kriegszeit die
Gefahr sehr groß sein, daß der zwar wach gebliebene
künstlerische Geist nicht genügend Gestalter findet und
HX, r»,
daß.wieder ein kunstloses Bauen einsetzt, wie nach 1870.
Um so mehr ist es unsere Pflicht, auf die möglichen Ge-
fahren hinzuweisen. Der Krieg hat die große Bedeutung
der Landwirtschaft wieder an erste Stelle gerückt; es
erscheint uns als ein Gebot des Selbsterhaltens, die noch
ruhenden landwirtschaftlichen Kräfte zu wecken und
Hand in Hand damit ein Verbessern des WohnenS zu
vollziehen. Ganz besonders sind es die Kriegsbeschä-
digten, welche nach Möglichkeit wieder dem Lande zu-
geführt werden sollen, und eine umfassende Bewegung
ist im Gange, dieses neue Ansiedeln auch in gesunde
wirtschaftliche Formen zu leiten. Es darf somit mit
einem vermehrten bäuerlichen Bauwesen gerechnet
werden, und in der Art des Durchführens werden spätere
Geschlechter erkennen, wie wir nach dem größten bis-
herigen Krieg bäuerliche Kunst aufgefaßt und gestaltet
haben.
Wenn wir solchermaßen in die kunstwissenschaft-
lichen Betrachtungen über bäuerliche Bauformen ein-
treten, so wird unsere erste und letzte Frage die nach dem
tieferen Sinne sein. Und hier wird es sich darum han-
deln, ob ein Weiterbilden oder Neubilden bäuerlicher
Bauformen stattzufinden hätte. Bei den Betrachtungen
über städtische Bauformen glaubte ich feststellen zu
müssen, daß ihre Entwicklung die Wege des Erpressio-
nistischen in der Malerei geht, ja sie vielleicht mit ge-
wiesen hat, daß die städtischen Bauformen somit in
ihrer reinen Einfachheit ein Schwingen von Linien und
Flächen zeigen. Das entspricht sehr schön dem Schweben-
den, das im Stadt-
werden heute mehr
denn je ausgedrückt
ist und auch wohl in
absehbarer Zeit nicht
erstarren wird. Ganz
anders die bäuer-
lichen Bauformen.
Das Dorf, der Hof,
das Einzelhaus, alle
erklären ihr Vor-
handensein aus dem
Seienden der Natur-
schätze heraus. Wer-
den^die Städte mehr
nach verkehrlichen
Rücksichten ins Land
gesetzt, so hängt das
Bauernhaus immer
von der Beschaffen-
heit des Erdbodens
fürden Früchteertrag
ab. Cs ist also mit der Erde, mit der Landschaft wahr-
haft und innig verwachsen, und eine bauliche Form, die
hier erpressionieren wollte, wäre von Grund auf ver-
fehlt. Nein, hier ist es das Jmpressionistische, das
im baulichen Gestalten zum Ausdruck kommt, der
Baukünstler muß den Gehalt der Natur in sich auf-
nehmen, um ihn in der Eigenart der Bauform wieder
Abb. 1. Haui in Mtte m Pvmmern,
r
an darf wohl sagen, daß unsere bäuerliche
Kunst der Geschichte angehört. Es gibt hier
kein Weiterbilden der Bauformen, wie wir
es heute in den Städten verfolgen, denn der über-
wiegende Teil der heute entstehenden Bauernhäuser
ist in den Formen meist von städtischen Bauarten beein-
flußt und nur ein kleiner Teil entsteht nach künst-
lerischen Gesichtspunkten. Weil aber hierbei das Re-
konstruieren vorherrscht, so haben wir keine lebendige
Bauernkunst mehr. Jener überwiegende Teil aber,
der nach städtischen Einflüssen zustande kommt, ist
geradezu seelenlos zu nennen, weil er nicht etwa in
erster Linie die verstadtlichten ehemaligen Bauernhaus-
formen aufnimmt, sondern durch die technischen Bedingt-
heiten von heute veranlaßt, mehr die Formen des
Jndustriebaues auf das Land verpflanzt. Natürlich
erklärt sich dies alles nur aus den wirtschaftlichen Grund-
lagen des heutigen Bauerntums heraus. Es gibt kein
freies Bauerntum mehr und sei der einzelne Hof oder
das einzelne Gut noch so groß; die wirtschaftlichen
Quellen liegen heute sämtlich in der Stadt, und das
selbständige, unabhängige Bauerntum hat aufgehört zu
bestehen. Da verloren auch die bäuerlichen Bauformen
ihre Selbständigkeit und an ihre Stelle traten verwässerte
Formen aus der Stadt. Wohl war ehemals das gleiche
umgekehrt geschehen, indem die städtischen Formen,
wenigstens was den Wohnhausbau anbelangt, sich aus
den bäuerlichen Formen entwickelten, aber das war in
einer Aeit ruhiger, reiner Kunstübung, während der
neuere Vorgang sich
in einer Ieit ab-
spielte, die künstle-
risch sehr tief stand.
Der ganze Jammer
unserer überstürzten
volkswirtschaftlichen
Entwicklung faßt uns
an, wenn wir breite
Striche des schönen
deutschen Landes,
ganz besonders des
norddeutschen Lan-
des, mit verbäuer-
lichten Jndustriebau-
ten überladen sehen,
wo man bis vor hun-
dert Jahren noch auf
den ehrbaren Wegen
des Kunstgerechten
zu wandeln bestrebt
war. Wie in der
städtischen Baukunst, so reißt auch in der Bauernkunst
um diese Zeit der Faden ab. Die lange Kriegszeit hatte
die schöpferischen Köpfe und die gestaltenden Seelen
vernichtet, so daß es an ernsten Kunstausübenden fehlen
mußte. Leider wird auch nach dieser Kriegszeit die
Gefahr sehr groß sein, daß der zwar wach gebliebene
künstlerische Geist nicht genügend Gestalter findet und
HX, r»,
daß.wieder ein kunstloses Bauen einsetzt, wie nach 1870.
Um so mehr ist es unsere Pflicht, auf die möglichen Ge-
fahren hinzuweisen. Der Krieg hat die große Bedeutung
der Landwirtschaft wieder an erste Stelle gerückt; es
erscheint uns als ein Gebot des Selbsterhaltens, die noch
ruhenden landwirtschaftlichen Kräfte zu wecken und
Hand in Hand damit ein Verbessern des WohnenS zu
vollziehen. Ganz besonders sind es die Kriegsbeschä-
digten, welche nach Möglichkeit wieder dem Lande zu-
geführt werden sollen, und eine umfassende Bewegung
ist im Gange, dieses neue Ansiedeln auch in gesunde
wirtschaftliche Formen zu leiten. Es darf somit mit
einem vermehrten bäuerlichen Bauwesen gerechnet
werden, und in der Art des Durchführens werden spätere
Geschlechter erkennen, wie wir nach dem größten bis-
herigen Krieg bäuerliche Kunst aufgefaßt und gestaltet
haben.
Wenn wir solchermaßen in die kunstwissenschaft-
lichen Betrachtungen über bäuerliche Bauformen ein-
treten, so wird unsere erste und letzte Frage die nach dem
tieferen Sinne sein. Und hier wird es sich darum han-
deln, ob ein Weiterbilden oder Neubilden bäuerlicher
Bauformen stattzufinden hätte. Bei den Betrachtungen
über städtische Bauformen glaubte ich feststellen zu
müssen, daß ihre Entwicklung die Wege des Erpressio-
nistischen in der Malerei geht, ja sie vielleicht mit ge-
wiesen hat, daß die städtischen Bauformen somit in
ihrer reinen Einfachheit ein Schwingen von Linien und
Flächen zeigen. Das entspricht sehr schön dem Schweben-
den, das im Stadt-
werden heute mehr
denn je ausgedrückt
ist und auch wohl in
absehbarer Zeit nicht
erstarren wird. Ganz
anders die bäuer-
lichen Bauformen.
Das Dorf, der Hof,
das Einzelhaus, alle
erklären ihr Vor-
handensein aus dem
Seienden der Natur-
schätze heraus. Wer-
den^die Städte mehr
nach verkehrlichen
Rücksichten ins Land
gesetzt, so hängt das
Bauernhaus immer
von der Beschaffen-
heit des Erdbodens
fürden Früchteertrag
ab. Cs ist also mit der Erde, mit der Landschaft wahr-
haft und innig verwachsen, und eine bauliche Form, die
hier erpressionieren wollte, wäre von Grund auf ver-
fehlt. Nein, hier ist es das Jmpressionistische, das
im baulichen Gestalten zum Ausdruck kommt, der
Baukünstler muß den Gehalt der Natur in sich auf-
nehmen, um ihn in der Eigenart der Bauform wieder
Abb. 1. Haui in Mtte m Pvmmern,
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