Dcr Narr i,i Christv.
herr zur Antwort, „dieser stremerhaft aussehende Kerl
hat mich minutenlang auf eine mir noch nicht vorge-
kommene Art und Weise verwirrt gemacht. Fasse nur
mal meine beiden Hände!" „Aber Männchen," sagte
die Frau, „sie sind ja kalt und ganz feucht!" — „Ja,
denn dieser Mensch behauptet, er sei nichts Geringeres
als Jesus Christus von Nazareth."
almsonntag^).
Von Karl Nöttger.
Und es war noch immer Sonnenschein, wie beim
Einzug in Ierusalem, ivie auf den Gesichtern derer,
die ihn begleitet hatten, wie auf ihren Händen, ihren
Kleidern und auf dem Grün, das sie in Handen hatten.
Es war noch immer Sonnenschein auf den Straßen
und an den Häuserwänden und auf der Menge des Volks,
da er nun in den Tempel schritt, die Stufen hinan schritt,
daß er noch einmal das Haus seines Vaters sähe — so,
wie er es doch nicht träumte und auf daß er rede mit
den Pharisäern und Schriftgelehrten. . . .
Es war noch Tag und doch schon nahe vor dem Abend,
da er nun heraus trat, hoch, rot vom Aorn im Antlitz,
und nirgends war Glanz mehr, und die Sonne war
hinter dem Grau am Himmel, und es fröstelte über die
Straßen. Und mit einer brüllenden Wut stürzte er
über sie: die Wechsler und Kaufleute im Vorhof, schlug
auf sie in einer namcnlosen Wut, wie sie ein Mensch
hat, der bis in das innerste Wesen seiner Seele und
seines Bluts beleidigt ist, verwundet, beschimpst ist.
Meines Vaters Haus ist ein Bethaus, und ihr machtet
es zur Hölle!
So schrie er. So schlug er auf sie ein.
Und sie schrien und liefen davon. Und er stürzte alle
ihre Tische um. —
Das Volk sah es und wußte nichts zu sagen. Und
seine Jünger sahen es und hielten den Atem an. —
Und da er zuletzt nur noch in seiner Wut auf lcere
umgestürzte Tische schlug, merkte er, daß sie schon alle
nicht mehr da waren. Da stand cr einen Augcnblick still,
sah hinauö, sah auf das Volk, sah in den Himmel, besann
sich seiner selbst, wars die Peitsche aus der Hand und
stieg langsam die Stufen hinab. Er stand aber nicht still
auf der Straße beim Volk, das ein wenig zurück trat,
sondern er ging weiter, zwischen ihreni Schweigen hin-
durch, das wie eine Mauer zu beiden Seiten stand. Ging
immer weiter und kam in Gassen, da wenige Menschen
waren, ging weiter und kam an das Tor und trat hinaus
und war zuletzt allein draußen am Berg und ging noch
weiter und sah, daß es die Straße gen Bethanien war.
Und sah: es war nun Abend geworden. Und die
Dämmerung war da, plötzlich, wie sie zu kommen pflegt
in den Frühlingsabenden.
-k- 4-
Er ging aber dahin wie einer, der entrückt ist, wie
einer, der träumt.
Es ist aber verborgen, was sein entrückter Sinn
träumte. Vielleicht Schmerzliches, etwa, daß dies der
Beginn sei davon, daß die Welt ihn aus sich heraus
*) Aus „Der Einc und die Welt" von Karl Röttger. Derlag
Georg Müller, München.
drange — in die göttlicheEinsamkeit und Stille zurück.
Vielleicht Tröstliches, daß die Menschen, nachdem sie
ihn zurück gedrängt haben würden in die Einsamkeit und
Stille der Ewigkeit —, daß sie dann, einer zum andern,
einer dem andern solgend, ihn wieder herbei begehren
würden, versuchen würden, ihn zu erreichen, zu ihm zu
dringen, ihm nachzufolgen in ewige Einsamkeit und Stille.
Vielleicht träumte er solches; aber man weiß es nicht.
Und wenn er so träumte, so blieb wohl als Allerletztes
doch ein ganz Schmerzliches, nämlich, daß alles, was
danach solgen könne oder solgen werde, daß alle Liebe
der später Gebornen nicht dies hinweg wischen werde,
daß sie nach einem kurzen Jubeln über seinen Einzug
in die heilige Stadt ihn dennoch hinaus gedrängt haben
würden aus der Welt...
Es war die erste Schwermut der beginnenden Leidens-
woche, die er traumte.
Und sah nicht den ersten blassen Mondschein auf dem
Wege liegen, sah nicht die Sichel am Himmel, sah nicht
das Blühen am Weg hin (denn es war schon ganzer Früh-
ling); atmete wohl den Abend und die Düste aus Gras
und Blättern und Blüten — aber spürte es kaum.
Bis daß er in Bethanien still stand, vorm Haus des
Lazarus; und da war es, als täten seine Augen sich aus,
und er wandte sich und sah den Weg zurück, den er ge-
kommen war und wußte nun, es war derselbe Weg,
den er am Tag geritten war aus der Eselin, der Weg,
da ihn die Menge begleitet hatte und seine Jünger ihn
begleitet hatten; der Weg, auf den sie Kleider gebreitet
und grüne Zweige gestreut hatten, auf dem der Sonnen-
schein so golden und warm gelegen hatte, daß es ihn
gefreut hatte wie nie zuvor, der Weg, auf dem ihr Singen
und ihr Schrei ihn umwogt hatte — der Weg, der Weg,
auf dem er gen die heilige Stadt geritten war...
Der Weg, auf deni ihm ganz langsam, wie Tropfen
Bluts zu Tropsen Bluts der Glaube entwichen war,
daß er cin Volk, ein ganzes Volk, könne zu seiner Höhe
erheben, von welcher er Gott schaute und die Erde im
Lichte der Augen Gottes schaute.
Der Weg war es. Bis daß er am Tor sein Tier an-
gehalten hatte, weil die Tränen in seine Augen ge-
kommen waren vor lauter Erkenntnis und Wissen.
Das aber war die Erkenntnis und das Wissen: das
Glück komnit den Menschen immer zu früh, wenn sie
es noch nicht zu erkennen vermögen; und ihre Erkenntnis
des Glücks und ihr Sehnen danach kommt immcr zu spät,
wenn es schon nicht mehr da ist. Und darum bleibt das
große, gütige Herz, das den Himmel hernieder bringt
aus die Erde, allein.
Als er dies allcs gedacht hatte, trat er zur Seite und
wollte durch das Gartentor hinein gehn.
-I- >i-
Er erschrak aber einen Augenblick, denn er sah zu
beiden Seiten der Pforte Gestalten stehn, da hielt er
den Schritt ein wenig an und sah hin. Aber da sprachen
auch schon zwei Stimmen gleichzeitig ihm entgegen, also
daß er lächelte vor Freude. Und sie sprachen: Herr, du bist
es; wir haben gewartet auf dich. Siehe, nun bist du da.
Ja, sprach er und reichte ihnen seine Hände hin.
Es waren aber Maria und Martha, die aus ihn ge-
wartet hatten und die nun schon am späten Abend fast
nicht mehr gehofft hatten, daß er zurück käme.
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herr zur Antwort, „dieser stremerhaft aussehende Kerl
hat mich minutenlang auf eine mir noch nicht vorge-
kommene Art und Weise verwirrt gemacht. Fasse nur
mal meine beiden Hände!" „Aber Männchen," sagte
die Frau, „sie sind ja kalt und ganz feucht!" — „Ja,
denn dieser Mensch behauptet, er sei nichts Geringeres
als Jesus Christus von Nazareth."
almsonntag^).
Von Karl Nöttger.
Und es war noch immer Sonnenschein, wie beim
Einzug in Ierusalem, ivie auf den Gesichtern derer,
die ihn begleitet hatten, wie auf ihren Händen, ihren
Kleidern und auf dem Grün, das sie in Handen hatten.
Es war noch immer Sonnenschein auf den Straßen
und an den Häuserwänden und auf der Menge des Volks,
da er nun in den Tempel schritt, die Stufen hinan schritt,
daß er noch einmal das Haus seines Vaters sähe — so,
wie er es doch nicht träumte und auf daß er rede mit
den Pharisäern und Schriftgelehrten. . . .
Es war noch Tag und doch schon nahe vor dem Abend,
da er nun heraus trat, hoch, rot vom Aorn im Antlitz,
und nirgends war Glanz mehr, und die Sonne war
hinter dem Grau am Himmel, und es fröstelte über die
Straßen. Und mit einer brüllenden Wut stürzte er
über sie: die Wechsler und Kaufleute im Vorhof, schlug
auf sie in einer namcnlosen Wut, wie sie ein Mensch
hat, der bis in das innerste Wesen seiner Seele und
seines Bluts beleidigt ist, verwundet, beschimpst ist.
Meines Vaters Haus ist ein Bethaus, und ihr machtet
es zur Hölle!
So schrie er. So schlug er auf sie ein.
Und sie schrien und liefen davon. Und er stürzte alle
ihre Tische um. —
Das Volk sah es und wußte nichts zu sagen. Und
seine Jünger sahen es und hielten den Atem an. —
Und da er zuletzt nur noch in seiner Wut auf lcere
umgestürzte Tische schlug, merkte er, daß sie schon alle
nicht mehr da waren. Da stand cr einen Augcnblick still,
sah hinauö, sah auf das Volk, sah in den Himmel, besann
sich seiner selbst, wars die Peitsche aus der Hand und
stieg langsam die Stufen hinab. Er stand aber nicht still
auf der Straße beim Volk, das ein wenig zurück trat,
sondern er ging weiter, zwischen ihreni Schweigen hin-
durch, das wie eine Mauer zu beiden Seiten stand. Ging
immer weiter und kam in Gassen, da wenige Menschen
waren, ging weiter und kam an das Tor und trat hinaus
und war zuletzt allein draußen am Berg und ging noch
weiter und sah, daß es die Straße gen Bethanien war.
Und sah: es war nun Abend geworden. Und die
Dämmerung war da, plötzlich, wie sie zu kommen pflegt
in den Frühlingsabenden.
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Er ging aber dahin wie einer, der entrückt ist, wie
einer, der träumt.
Es ist aber verborgen, was sein entrückter Sinn
träumte. Vielleicht Schmerzliches, etwa, daß dies der
Beginn sei davon, daß die Welt ihn aus sich heraus
*) Aus „Der Einc und die Welt" von Karl Röttger. Derlag
Georg Müller, München.
drange — in die göttlicheEinsamkeit und Stille zurück.
Vielleicht Tröstliches, daß die Menschen, nachdem sie
ihn zurück gedrängt haben würden in die Einsamkeit und
Stille der Ewigkeit —, daß sie dann, einer zum andern,
einer dem andern solgend, ihn wieder herbei begehren
würden, versuchen würden, ihn zu erreichen, zu ihm zu
dringen, ihm nachzufolgen in ewige Einsamkeit und Stille.
Vielleicht träumte er solches; aber man weiß es nicht.
Und wenn er so träumte, so blieb wohl als Allerletztes
doch ein ganz Schmerzliches, nämlich, daß alles, was
danach solgen könne oder solgen werde, daß alle Liebe
der später Gebornen nicht dies hinweg wischen werde,
daß sie nach einem kurzen Jubeln über seinen Einzug
in die heilige Stadt ihn dennoch hinaus gedrängt haben
würden aus der Welt...
Es war die erste Schwermut der beginnenden Leidens-
woche, die er traumte.
Und sah nicht den ersten blassen Mondschein auf dem
Wege liegen, sah nicht die Sichel am Himmel, sah nicht
das Blühen am Weg hin (denn es war schon ganzer Früh-
ling); atmete wohl den Abend und die Düste aus Gras
und Blättern und Blüten — aber spürte es kaum.
Bis daß er in Bethanien still stand, vorm Haus des
Lazarus; und da war es, als täten seine Augen sich aus,
und er wandte sich und sah den Weg zurück, den er ge-
kommen war und wußte nun, es war derselbe Weg,
den er am Tag geritten war aus der Eselin, der Weg,
da ihn die Menge begleitet hatte und seine Jünger ihn
begleitet hatten; der Weg, auf den sie Kleider gebreitet
und grüne Zweige gestreut hatten, auf dem der Sonnen-
schein so golden und warm gelegen hatte, daß es ihn
gefreut hatte wie nie zuvor, der Weg, auf dem ihr Singen
und ihr Schrei ihn umwogt hatte — der Weg, der Weg,
auf dem er gen die heilige Stadt geritten war...
Der Weg, auf deni ihm ganz langsam, wie Tropfen
Bluts zu Tropsen Bluts der Glaube entwichen war,
daß er cin Volk, ein ganzes Volk, könne zu seiner Höhe
erheben, von welcher er Gott schaute und die Erde im
Lichte der Augen Gottes schaute.
Der Weg war es. Bis daß er am Tor sein Tier an-
gehalten hatte, weil die Tränen in seine Augen ge-
kommen waren vor lauter Erkenntnis und Wissen.
Das aber war die Erkenntnis und das Wissen: das
Glück komnit den Menschen immer zu früh, wenn sie
es noch nicht zu erkennen vermögen; und ihre Erkenntnis
des Glücks und ihr Sehnen danach kommt immcr zu spät,
wenn es schon nicht mehr da ist. Und darum bleibt das
große, gütige Herz, das den Himmel hernieder bringt
aus die Erde, allein.
Als er dies allcs gedacht hatte, trat er zur Seite und
wollte durch das Gartentor hinein gehn.
-I- >i-
Er erschrak aber einen Augenblick, denn er sah zu
beiden Seiten der Pforte Gestalten stehn, da hielt er
den Schritt ein wenig an und sah hin. Aber da sprachen
auch schon zwei Stimmen gleichzeitig ihm entgegen, also
daß er lächelte vor Freude. Und sie sprachen: Herr, du bist
es; wir haben gewartet auf dich. Siehe, nun bist du da.
Ja, sprach er und reichte ihnen seine Hände hin.
Es waren aber Maria und Martha, die aus ihn ge-
wartet hatten und die nun schon am späten Abend fast
nicht mehr gehofft hatten, daß er zurück käme.
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