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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 12
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Röttger, Karl: Die Gesichte des Meisters Eccehart
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Houben, Heinrich Hubert: Immermann und Adele Schopenhauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0313

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Die Gestchte des Meisters Cccehnrt.

er sah: eS blieben die Ieilen schwarz in der Luft hangen
und das graue Pergament entsank darunter, und der
Abgrund war da, und aus dem Dunkel rief es empor:
Jch bin's, wer fürchtet sich nicht, daß er in die Nacht
gehe und mich mitreiße ins Licht? Da erschauerte es
ihn, und er griff hinein ins Leere: Jch kenne die Furcht
nicht. Doch aber zog er weder die Stimme, noch ein
Haupt, noch eine Gefialt herauf, die da Hilfe schrie,
sondern es zog ihn hinab . . . Und danach ward er ent-
rückt und ging einen schmalen Pfad mit einem Aaun
zu beiden Seiten und dachte im Gehn: das sind die
Ieilen, die ich schrieb, ich muß mich so hindurch winden
— wo doch so viel freier Raum ist--!

Jn Gottes Armut und Verfremdung, sprach es
wie eine Stimme außer ihnr. Und er ging und ging
durch die Nacht, einen schlechten nassen Weg und kam
danach an eine Hütte und sah durch ein Fenster eine
Kerze brennen neben einem Bett, sah ein Weib auf denr
Stroh und ein nacktes kleines Kind. Da mußte er lächeln:
Sieh da, der Christ . . .!

Hier weckte ihn eine Stimme: Bruder Eccehart
schlaft! Da hob er sich auf und sprach: Nein! Sondern
ich schaute nur einem fernen Bilde nach. Und stand auf
und begrüßte den Bruder, dessen Besuch er den Abend
erwartet hatte.

* *

*

Jn der Nacht hatte er einen Trauni ... Er stand
in der Ewigkeit und Gott war wie ein unnennbares
Licht über allem. Wie eine ungeheure Stille . . . Und
er wandelte umher in großer Seligkeit und redete mit
den Bäumen, nüt dem Licht der Blüten und mit den
Augen der Tiere ... Da fiel ihm auf einmal das Wort
des Fremden ein: Du sitzefl in deiner Unerschüttertheit,
abgeschieden der Welt und hörst nicht das Klopfen der
Leidenden draußen . . . Und indeni ihm das einfiel,
hörte er nun auch das Klopfen der Vielen, Vielen,
die da litten in der Welt... Und deß kam ihn eine Angst
und ein Suchen an, daß er auf einmal rief, wessen er
sich nie fähig gehalten: Gott, hörst du? —

Gott aber schwieg. Denn er wußte wohl, Gott antwor-
tet so nicht. Aber das Klopfen blieb. Und er wußte, fern,
fern irgendwo, sind die Bastionen und Mauern der
Ewigkeit, und die wir uns unerschütterlich und sicher
wähnten, vor aller Weltbedrängnis, wir in der lauteren
Abgeschiedenheit, wir müssen nun gleichwohl hier noch
das hören! — Und das Klopfen war ihm, als geschähe es
auf seinem Herzen, so schmerzhaft war es ... Bis Christ
ihm entgegentrat und er ihn gleich erkannte. Der sprach
und lächelte: Eccehart, wie magst du nur so träumen?
Eccehart sprach: Herr, hörst du das Klopfen nicht?

Christus sprach: Jch höre es wohl: in deinem Traum!
Nur in deinem Traum! Aber Eccehart wachte noch
nicht auf. Christ sprach weiter: Siehe, meinetwillen
war all das: Blut und Verfolgung; weißt du nicht, wie
ich sprach: Selig seid ihr —?

Jch weiß, Herr.

So komm. Und da führte er ihn und siehe, er sah:
alle Leiber aller Getöteten kamen schon heilig und
schön durchs Tor der Ewigkeit herein . . .

So hört ich doch das Klopfen recht? sprach Eccehart.
Wie das Leiden klopft und die Angst, das Hilfesuchen?

Nein, sprach Christ, — es war das nur in deinem
Traum. Es ist kein Klopfen not, — ihr habt auch dort
alles schon, was ihr braucht. Jch habe es euch zuvor ge-
geben und mein hinimlischer Vater und der Geist.
Laß nicht die Angst dich anfallen. Deine Stärke ist
dein Schönstes. Das Klopfen war nur dein Herz,
sänftige es und wache auf vom Traum . . .

Da endlich wachte Eccehart auf, lag ivach im Dunkel
und hörte sein Herz klopfen.

-jr

Eccehart, der Meister von Köln, erlebte das LETZTE
nicht. Er war Gott nachgegangen in seine Armut und
Verfremdung; er hatte wie ein osfenes Haus gestanden,
Sommers und Winters, Gott zu empfangen. Er war
entrückt gewesen in Tiefen und Fernen und Höhen,
da noch nieniand gewesen war, unerschütterlich, stark,
groß und schön. Das LETITE, die große Verlassen-
heit Christi und der Heiligen, die Vereinsamung aller
Gotteskinder erlebte er nicht. Er stand in seiner ganzen
Kraft, leuchtend und groß, sieghaft, ernst lächelnd,
sein selber sicher und gewiß: sein Gottbewußtsein, gegen
die Welt und gegen die Kirche gestellt (wenn die Kirche
fnicht er^ es so wollte —) werde siegen. Er war noch
geliebt, noch nicht verfemt, noch bewundert — und
doch auch einsam in seiner Weisheit, daß Abgeschieden-
heit das größte Glück sei. Die Tiefe der Gottheit war
ihm aufgetan.

Und dann auf einmal war er nicht mehr. Ehe daS
Letzte kam. (Das auch ihm gekommen ware, wäre
er nicht zuvor in Gott heimgesunken.) War nicht mehr,
war verschwunden. Und dann war eine große Stille
im Land. Ein leises Kräuseln der Wellen der Zeit
und dann nichts mehr. Nur manchmal heimlich ein
Raunen in den Klöstern. Und bei flackernder Kerze
heimlich nachts ein Lauschen und ein Sinnen einsamer
Seelen über Ecceharts Aeilen, zwischen die sie dann
hinabsanken ins Unergründliche — wie er selber da
hineingesunken war. . .

Und so durch die Jahrhunderte das einsame Lauschen
und Sinnen der Einsamen über seinen Ieilen und Ge-
sichten — bis auf den heutigen Tag. —

O^mmermann

und Adele Schopenhauer.

Von Prof. vr. H. H. Houben, Leipzig.

Jn eineni Brief an Goethe vom 14. Juli 1828 bittet
Adele Schopenhauer, ihr Auftrage nach Düsseldorf für
Schadow, Jmmermann und den Maler Kolbe zu geben.
Seit Mai 1827 hielt sich Adele ihrer Gesundheit wegen
im westlichen Deutschland auf; bis zuni September
wohnte sie auf Sommerfrische in Nödelheim bei Frank-
furt; dann ließ sie sich in Köln nieder, und nachdem sie
hier im Januar 1828 Sibylle Mertens-Schaaffhausen
kennen gelernt hatte, zog sie im März nach Godesberg,
um ihrer neuen Freundin, die den größten Teil des
Jahres auf ihrem vaterländischen Gute Auerhof bei
Plittersdorf zubrachte, möglichst nahe zu sein. Jm Mai
kam auch ihre Mutter, Johanna Schopenhauer, dorthin,
und die unruhige alte Danie verlebte hier zwei Monate
 
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