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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 12
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Houben, Heinrich Hubert: Immermann und Adele Schopenhauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0314

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Jm'.nsrmann und Adsls Schopcnhauer.

„in ländlicher Stille — und im Geräusch der sehr ge-
mischten Gesellschaft", in der ihr nur ein Element ver-
haßt war, das der zahlreichen Engländer, über deren
Anmaßung und Flegelhaftigkeit hier am Rhein ebenso
wie in ihrer thüringischen Heimat Weimar sie in einen
erbitterten Aorn zu geraten pflegte. Zu den Besuchern
Godesbergs gehörte in eben dieser Aeit auch die damals
noch unberühmte Annette von Droste-Hülshoff, die seit
zwei Jahren ebenfalls mit Sibylle Mertens befreundet
war; 1828 hatte sie ihren Sommersitz von dem einsamen
Rüschhaus nach Bonn zu ihren dortigen Verwandten
verlegt und lernte in Godesberg oder in Plittersdorf bei
Sibylle Adele Schopenhauer kennen.

Am 1. August 1828 reisten die Damen Schopen-
hauer über Köln und Aachen nach Belgien. Die Ein-
drücke dieser Reise hat Johanna in ihrem 1830 erschiene-
nen „Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien
im Jahre 1828" mit Sinn und Geschmack wiedergegeben;
besonders die zahlreichen Kapitel über die Kunstschätze
der Kirchen und Museen BelgienS geben diesem Buche
jetzt, wo Deutschland seine geistige Organisation auch
auf dieses heimtückische Land ausdehnen mußte, ein
besonderes Jnteresse.

Die Reise sollte auch über Düsseldorf gehen, wo sich
die beiden Weimarer Damen mit Goethes Empfehlungen
bei den dortigen Notabilitäten einzuführen gedachten.
Aber dcr Herr Geheime Rat, der sich sonst gern Adelens
als Geschaftsträgerin bediente, hatte diesmal nichts zu
bestellen, am wenigsten wohl an Jmmermann, dessen
bescheiden ergebenen Brief vom 14. Mai 1822 bei Über-
sendung der ihm gewidmeten „Trauerspiele" er gar nicht
beantwortet hatte. Adele ging daher nicht nach Düssel-
dorf, und auch als sie im nächsten Jahre mit ihrer Mutter
ganz an den Nhein übersiedelte, ist sie Jmmermann nie
begegnet, obgleich sie bis 1837, also acht Jahre, in seiner
Nähe, zuerst in dem Dörfchen Unkel und dann in Bonn,
lebte und den Verkehr mit allen erreichbaren bedeutenden
Persönlichkeiten als Pflicht und Recht ihres durch Goethes
Freundschaft geweihten Vorlebens betrachtete.

Die persönliche Bekanntschaft mit dem Dichter des
„Münchhausen" ergab sich erst 1837, als Adele mit
ihrer Mutter wieder nach Thüringen zurückkehrte, Jo-
hanna, durch eine ihr vom Großherzog ausgesetzte Pension
bewogen, sich in Jena zur Ruhe setzte und Jmmermann
seine „Fränkische Reise" bis Weimar und Jena aus-
dehnte. Am 29. September 1837 traf er in Jena ein
und wurde von dem mit ihm befreundeten Professor
und Jmprovisator O. L. B. Wolff sogleich zu Johanna
Schopenhauer geführt, die, wie es in Wolffs Erinnerun-
gen heißt, „es interessierte, ihn in Jena kennen zu lernen,
da er es in Bonn, so oft er auch dort gewesen, jedesmal
aus einer poetischen Grille versäumt hatte". Die leb-
hafte alte Dame, die im persönlichen Verkehr durch
Munterkeit und Witz und durch die Fülle ihrer bedeut-
samen Erinnerungen, von denen sie gern erzählte, jeden
Unbefangenen für sich gewann und trotz ihrer vierund-
zwanzig Bände „gesammelter Werke" so gar nichtö von
Blaustrumpf an sich hatte, gefiel Jmmermann ungemein;
er folgte gern ihrer Einladung auf denselben Abend und
las in einem kleinen Kreise der Schopenhauerschen Haus-
freunde sein Drama „Die Opfer des Schweigens" vor.

Jn seinen „Memorabilien" (3. Band) berichtet er
über diese Begegnung:

„Bei Schopenhauers verwunderten wir uns über
die Fügungen des Schicksals, die uns hier 40 Meilen
von Düsseldorf zusammenführten, nachdem wir sieben
Jahre sieben Meilen voneinander gewohnt hätten, ohne
uns kennen zu lernen. Jch bin ein rechter Tor gewesen,
ich hätte manchen angenehmen Tag mit ihnen in Bonn
haben können. Die Mutter ist gescheidt, redselig. Sie
schreibt jetzt an Weimarschen Erinnerungen und Memoi-
ren, wozu sie freilich Stoff genug hat, da sie in allen
Verhältnissen initiiert war. Adele sprach decidirt genug,
aber sie wußte auch, was sie sagte. Jn Weimar war sie
Goethes enlant cliöri und deshalb Mittelpunkt eines
dnrsan ä'esprit, das hatte sie verwöhnt, nun wurde sie
in Bonn auf die Hungerkur gesetzt. Der Rhein ist über-
haupt ein ganz herrliches Depressivmittel für alle lite-
rarifch-poetische Naturen.

Sie schneidet ü rnerveills in Papier aus, sind es
wahrhaftige Gedichte mit der Schere. Sie hat die
Awergenhochzeit von Goethe mit einer Laune aus-
geschnitten, die mich entzückte. Jch möchte gern, daß
darnach ein Blatt herauskäme, und ich denke, es soll
gelingen.

Wir heckten zusammen, wie vom Goetheschen Chaos
die Rede war, den Plan zu einem Privat-Journal aus,
welches nur für die Kontribuenten bestimmt sein soll.
Es sollen sich 30 bis 40 produktive Naturen dazu zu-
sammentun, und das Journal soll das Vehikel sein, sie
miteinander in fördernden Kontakt zu bringen, über-
haupt der Jsolierung entgegenzutreten, in welcher sich
jetzt so viele abhärmen. Die Kosten werden gemein-
schaftlich getragen, es wird aber auf Löschpapier mit
schlechten Lettern gedruckt, um sie möglichst zu sparen.
Gäa soll es heißen als Erinnerung an die Geburten
nährende Erde. Ob was daraus wird? weiß nur die
verhüllte Moira."

An diese Begegnung schloß sich ein Briefwechsel
zwischen Jmmermann und Adele, dessen erhaltene
Fragmente mit einigen Erläuterungen hier wieder-
gegeben seien. Von den nachfolgenden, aus dem Nach-
laß der Sibylle Mertens-Schaaffhaufen stammenden
drei Briefen Jmmermanns sind die beiden ersten in
meinem Besitz, der dritte ist Eigentum der Universitäts-
bibliothek Bonn. Die beiden Antworten Adelens ruhen
in Jmmermanns Nachlaß im Goethe-Schiller-Archiv zu
Weimar, dessen Direktion ich die genauen Abschriften
mit allen orthographischen Entgleisungen der Originale
verdanke.

Der erste Brief Jmmermanns knüpft unmittelbar
an den Besuch in Jena an:

Hiebei, meine Verehrteste, erhalten Sie endlich
die Schröttersche Flasche; mein Brief an Wolff besagt
die Gründe, weßhalb ich dieses Gefäß nicht früher
sandte. Leider war keine auf Chinesischem Papier
mehr vorhanden, sie muß daher unschuldig-weiß ihre
Aufwartung machen.

Noch schweben meiner Seele Jhre Poesien in
schwarzem Papier vor; denn Sie erweisen sich darin
als wahre Poetin, während Varnhagen nur seine
geschniegelten prosaischen Perioden ausschneidet. Einen
 
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