Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

DOI issue:
Heft 10/11
DOI article:
Ziegler, Leopold: Deutsche Reformation
DOI article:
Mahrholz, Werner: Benno Rüttenauer: Bemerkungen über einen modernen Romantiker
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0280

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deutsche Äefon»atwn.

setzungen des lutherischen Programmes vom gesundenden
Reich. Damit ist aber ein Anstoß gegeben, der wieder in
der ursprünglichen Richtung der allgemeinen Bestrc-
bungen der Reformation fort und fort wirken muß.
Denn ob agrarisch, ob merkantil verstanden, kann die
Freiheit eines wirtschaftlich restlos selbständigen Staats-
wesens immer nrw dort zu ihrer stärksten Betätigung
drängen müssen, wo diese Freiheit selbst nach Maßgabe
der Umstände am ehesten gesichert und verbürgt er-
scheint. Allen erdenklichen und notwendigen Einwänden
zum Trotz bleibt mithin Luther uns doch im größten
Sinne der Auslöser, Entbinder, Befreier, Entfeßler,
der sich in den hoffnungsvollsten, hellsten, männlichsten
und lebendigsten Jahren seines überbürdeten Erden-
wandels brieflich mit Vorliebe als Bruder Martinus
Eleutherius zu unterschreiben pflegt; — in einer vielleicht
doch nicht völlig durchschauten Anspielung auf die Götter
und Helden des alten Griechenland, die man durch den
erhabenen Anruf „LXo-Mssw?" mit größerer Ehre zu be-
denken gewohnt war. f749) Leopold Aiegler.

enno Rüttenauer.

Bemerkungen über einen modernen
Romantiker.

Von vr. Werner Mahrholz.

I.

Romantik in jeder Form entspringt tiefer Unzu-
friedenheit mit einer gegebenen Wirklichkeit und zu-
gleich der Einsicht in die Unmöglichkeit der Anderung
dieser Wirklichkeit. Die verschiedenen Arten der Romantik
sind in nichts anderem gegründet als in der verschiedenen
Weise, wie sich der romantische Mensch mit der quälenden
Wirklichkeit abfindet. Der tiefste Wesenszug des Roman-
tikers ist neben der Unzufriedenheit und Sehnsucht seine
Skepsis in Hinsicht auf die Veränderung und Verbesse-
rung der Wirklichkeit durch die Macht des menschlichen
Geistes. Leicht mag ein dichterischerMensch unsererTage
zu dieser Skepsis kommen, wie denn überhaupt keine
Wirklichkeit mehr zur Romantik reizt als die Wirklichkeit
der bürgerlichen Welt. Jn dieser bürgerlichen Welt mit
ihrer Ode und poetischen Nichtigkeit und Fruchtlosigkeit
gibt es für die Dichter eigentlich nur zwei innerliche
Haltungen: als Klassiker an der Verbesserung der Iu-
stände durch sittliches Pathos und übermächtigen Seelen-
drang zu arbeiten oder als Romantiker der Wirklichkeit
zu entfliehen. Von den Klassikern in diesem Sinne sei
hier weiter nicht die Rede: sie stehen, wie die Dinge
heute liegen, im heftigsten Kampf gegen die bürgerliche
Welt und hoffen auf deren Umgestaltung durch die Macht
des menschlichen Geistes, für den die Bürgerlichkeit nur
eine Verhüllung und oft eine Trübung ist und keine
gültige Form. Die Romantiker aber suchen sich aus
dieser bürgerlichen Welt Auswege, indem sie entweder
durch die Lücken in dem Aaune festgefügter bürgerlicher
Ordnung ihre Helden zu munteren Streifzügen der
Phantasie entlassen (wie dies etwa Otto Stoessl oder
RudolfHuch tut), oder aber sie versetzen sich in eine ferne,
geschichtliche oder erträumte Welt voll Größe der Mensch-
lichkeit und Schönheit der Form und verspotten und

belächeln liebend die enge Älltäglichkeit ihrer kleinbürger-
lichen Umgebung. Resignation und Weltflucht, Jronie
und Liebe, Skepsis und Verachtung des Gegenwärtigen
lagert in der Seele dieser romantischen Dichter eng bei-
einander, und ihr Leiden an der Wirklichkeit löst sich
in den Spielen mit großen heroischen Gegenständen und
in der liebevollen Versenkung in kleinbürgerliche Au-
ständlichkeiten, die, zugleich geliebt und belächelt, deutlich
dargestellt und durch Jronie in ihrer Wichtigkeit auf-
gehoben werden. Auf beide Weisen: durch die Hingabe
an heldisches Geschehen in ferner Vergangenheit und
durch Jronie der Kleinbürgerlichkeit wird im Dichter die
Freiheit des Gemüts als seiner wesentlichsten Seelen-
grundlage wiederhergestellt, wenn sie ja durch das Leiden
der Alltäglichkeit getrübt und gestört wurde.

Ein Nomantiker der eben beschriebenen Art ist nun
Benno Rüttenauer*), dessen feine und zarte Künstler-
natur durch die Problematik der bürgerlichen Austände
gequält und geängstigt wurde und der sich als Künstler
durch Flucht vor der Wirklichkeit oder durch ironisierte
Hingabe an die Wirklichkeit von diesem Leiden befreit.
Tiefe Gegensätze sind in diesem Romantiker von Geblüt
vereinigt: Pietismus und Sinnenfreude, Freude am
Nahen und Höchsten und Weitblick, Uberschau, Gefühl
für Entfernung und Würde, Bedrängnis des HerzenS
und Freiheit des Geistes. Ein sehr deutscher Mensch
nach Gehalt und Menschlichkeit, nach vergrübeltem Ein-
gesponnensein in sich und Tiefe der Erlebniskraft — und
dabei mit einer sehr romanischen Freude an Form und
Rhythmus, Klang und Sinnlichkeit begabt, voll Grazie,
Heiterkeit, Sinnenfreude und Helligkeit des Tempera-
mentes. Seine Bücher sind wie wenige in der gegen-
wärtigen Literatur zugleich erlebt und gestaltet, zugleich
als Bücher geformt und als seelische Jnhalte reif und
durchgefühlt. Es ist nicht ganz einfach, die Wirkung im
Grundwesen dieses Künstlers aufzuzeigen, der wie
wenige die Vorzüge zweier Nationaltemperamente in
sich zu einen weiß, vom deutschen Wesen die Schwere
und Tiefe,vom romanischen aber die Grazie und Leichtig-
keit der Handschrift hat.

Dieser merkwürdige Dichter hat einen wunder-
schönen, echt deutschen Entwicklungsroman und eine
Anzahl geschichtlicher Romane aus dem französischen
Barock und Rokoko geschrieben — so die beiden Seiten
seines romantischen Temperamentes ausstrahlend in
dialektisch gegeneinanderstehende Gestaltungen, deren
Wurzel eben seine Romantik ist.

II.

Jean Paul war kein großer Künstler, aber einer der
Künder deutscher verzwickter und verwickelter Einsiedelei
und Kleinbürgerlichkeit, die er freilich immer eine Wenig-
keit zu ernsthaft und nie ganz ironisch behandelt hat.
Durch seine Verliebtheit ins Objekt ist er denn auch nie
zu ganz reinen Kunstgestaltungen gekommen, ihm fehlte

Die Darstellung stüht sich im wesentlichen auf die Werke
aus Rüttenauers späterer Zeit, etwa von 1907 ab, soweit diese
im Verlag Georg Müller vereinigt sind, also vor allem auf: Lehr-
jahre eines Hinterwinklers, Der Kardinal, Prinzessin Jungftau,
Die Cnkelin der Liselotte, Tankred, Graf Roger Rabutin. Die
ftüheren Schriften Rüttenauers sind nicht berücksichtigt, so reizvoll
die Darstellung seiner Entwicklung wäre.
 
Annotationen