Der rechte Liebhaber des Schicksals.
Zeitung lesen." Dann gab ich kurz die Richtung an.
Er folgte mir schweigend auf dem schmalen Wege nach.
Plötzlich stieß er einen Schrei auch bückte sich und
zeigte mir ein Staudchen mit purpurnen Tropfen be-
hangen. Dann warf er sich in das Erdbeerplätzchen
dahin.
Er war noch ganz ein Kind. Seltene Pflanzen und
Steine, merkwürdige Baumrinden, solches fiel ihm auf.
Es war ein beständiges Staunen in ihm. Wir kamen
seit jenem Tage öfters zusammen. Auch von mir er-
wartete er Dinge, worüber er sich begeistern konnte.
Erst heute wird mir klar, wie er eigentlich beschaffen
gewesen ist. Damals gab ich mir gar keine Mühe, etwas
von seinem Jnneren zu erfahren. Meine eigenen An-
gelegenheiten beschäftigten mich so sehr, daß ich ihn sofort
vergaß, nachdem er weggegangen war, während er,
das weiß ich jetzt, unaufhörlich an mich dachte. Alles,
was ich tat und sagte, flößte ihm ein brennendes Jnteresse
ein. Jch erinnere mich noch gut des Blickes, womit er
das Teegeschirr, die Bilder, die alltaglichsten Gegen-
stände in nieinem Aimmer betrachtete, er sog sie förmlich
ein mit seinen großen Augen.
Jch war immer in Verlegenheit, weil er so wenig
redete. Jch wußte einfach nichts mit ihm anzufangen.
Er wurde mir beinahe lästig, besonders, wenn wir lange
zusammen waren.
Einmal gingen wir zusammen durch die Stadt,
beide schweigend, ich hatte fast vergessen, daß er an
meiner Seite schritt. Die Öde des Lebens hatte mich
mehr als je befallen. Wir traten in ein Restaurant.
Als ich niedersaß, war eine solche Freudlosigkeit in mir,
daß ich auf dem Sessel zurücksinkend unwillkürlich rief:
„Wär ich tot!" Sofort aber griff ich nach der Wein-
karte und rief: „Eine Flasche Macon." Jch rieb mir die
Hände, schaute ihn an und sagte: „So muß man es
machen."
Er bewunderte auch das. Und ich eitler Mensch
faßte, dadurch angeregt, meine Selbstmordstimmung
in frivole Worte und lebte dabei wieder auf.
„Es gibt noch bessere Gegenmittel," sagte ich und
sprach mit ihm gewissenlos wie mit den andern Freunden.
Erst jetzt kommt mir zum Bewußtsein, wie unge-
heuer meine Reden auf ihn wirken mußten, schon durch
den Ton, worin sie gehalten wurden.
Er hörte schweigend, mit gesenkten Augen zu.
Unterdessen waren die Menschen, mit denen ich in
diesem Restaurant verkehrte, angekommen. Jch will
nur das Nötigste über sie sagen, da ihre Art zu gut be-
kannt sein mag. Es waren junge Herren, die aus Ge-
wöhnlichkeit, Leichtsinn und Unverstand ähnlich dachten
wie ich aus vermeintlicher Erkenntnis. Die meisten von
ihnen hatten gescheitelte, rotwangige, glattrasierte Stu-
dentengesichter. Alle waren erfüllt von einem naiven
Selbstbewußtsein, obwohl kein einziger irgendwie be-
deutend war. Jm Grunde waren sie gutherzig, aber
schwach und äußerst gedankenlos.
Jch war gerade das Gegenteil von ihnen. Mein
Wille war sehr stark ausgebildet. Jch war im Grunde
gleichgültig gegen alles, was ihnen Freude bereitete.
Und heute, nach meinem Gesprache über den Selbst-
mord, langweilten sie mich niehr alö je.
Jhr Hauptspaß bestand darin, Mädchen betrunken
zu machen und dann zu studieren, wie diese redeten,
lachten, kreischten, die Selbstbesinnung verloren und
herumtorkelten.
Als der Abend vorrückte und sie mit Frauenzimmern,
die hereintraten, Blicke zu tauschen begannen, ging ich
ohne Abschied fort, obwohl ich wußte, was geschehen
würde. Wie hätte ich sonst zu mir sagen können:
„Soll ich meines Bruders Hüter sein?"
Jn mir war absolute Lieblosigkeit.
Meine Bekannten machten den Freund betrunken
und nahmen ihn zu ihren niedern Freuden mit.
Jch sah ihn dann lange Ieit nicht mehr. Er sonderte
sich von mir und allen andern ab. Jch aber kümmerte
mich nicht darum, was in seinem Jnnern vorgehen
mußte. Ganz sicher wäre er auch jetzt noch zu retten
gewesen, vielleicht schon durch einen gemeinschaftlichen
Spaziergang oder nur durch ein einziges Wort.
Das gütige Schicksal wollte mir auch dazu noch die
Gelegenheit geben. Jch sah ihn eines Tages unver-
mutet am Waldrand auf einerBank sitzen und hinunter-
schauen auf die Stadt. Er war weiß gekleidet. Die
Wangen waren eingefallen, die großen Augen traten
starr hervor, ich mußte unwillkürlich an das fleischlose
Gesicht eines edlen Araberpferdes denken. Jn seinem
Blick war etwas Hoheitsvolles, Fürchterliches. Jch
wich ihm aus.
Etwas später fragten mich die Bekannten nach ihm.
Einer nahm eine Postkarte und zeichnete ein Weib
darauf. Die andern unterschrieben. Jch hinderte eS
nicht.
Drei Tage später hörte ich, daß er sich erschossen
hatte.
Jch bin schuld.
Jch wußte es bis heute nicht.
Und es ist nicht die einzige Schuld. Von meinen
lieblosen Worten ging Verödung, Wahnsinn und Tod
auf andere über.
Jch kannte nicht die Sphäre des Verbrechens, die
mein Wesen umfloß. Jetzt aber drängt sie auf mich ein,
Erinnerung mit Todesluft gefüllt, quält, ätzt und rich-
tet mich.
Mörder! rief die Stimme der Nacht.
Oionardo.
(Betrachtungen im Louvre.)
Lionardo ist der tiefste Mensch der italienstchen
Nenaissance; in ihm ist zum erstenmal voll das Geheim-
nis des nach-antiken Menschen aufgegangen, wie, aller-
dings dichterisch-psychologisch und so hinsichtlich der
Menschenseele in umfassenderer Weise später in Shake-
speare. Das Unergründliche seiner Frauen und wie
hermaphroditischen Jünglingsköpfe ist gewissermaßen
die südliche Parallele zu Hamlet.
-X-
Was Faust sucht, hier ist's begriffen und erfaßt und
blickt aus tiefem Auge auf uns nieder: die Welt als das
Ewigweibliche, und lockt und gibt sie als Erfüllung:
St. Baptiste.
Zeitung lesen." Dann gab ich kurz die Richtung an.
Er folgte mir schweigend auf dem schmalen Wege nach.
Plötzlich stieß er einen Schrei auch bückte sich und
zeigte mir ein Staudchen mit purpurnen Tropfen be-
hangen. Dann warf er sich in das Erdbeerplätzchen
dahin.
Er war noch ganz ein Kind. Seltene Pflanzen und
Steine, merkwürdige Baumrinden, solches fiel ihm auf.
Es war ein beständiges Staunen in ihm. Wir kamen
seit jenem Tage öfters zusammen. Auch von mir er-
wartete er Dinge, worüber er sich begeistern konnte.
Erst heute wird mir klar, wie er eigentlich beschaffen
gewesen ist. Damals gab ich mir gar keine Mühe, etwas
von seinem Jnneren zu erfahren. Meine eigenen An-
gelegenheiten beschäftigten mich so sehr, daß ich ihn sofort
vergaß, nachdem er weggegangen war, während er,
das weiß ich jetzt, unaufhörlich an mich dachte. Alles,
was ich tat und sagte, flößte ihm ein brennendes Jnteresse
ein. Jch erinnere mich noch gut des Blickes, womit er
das Teegeschirr, die Bilder, die alltaglichsten Gegen-
stände in nieinem Aimmer betrachtete, er sog sie förmlich
ein mit seinen großen Augen.
Jch war immer in Verlegenheit, weil er so wenig
redete. Jch wußte einfach nichts mit ihm anzufangen.
Er wurde mir beinahe lästig, besonders, wenn wir lange
zusammen waren.
Einmal gingen wir zusammen durch die Stadt,
beide schweigend, ich hatte fast vergessen, daß er an
meiner Seite schritt. Die Öde des Lebens hatte mich
mehr als je befallen. Wir traten in ein Restaurant.
Als ich niedersaß, war eine solche Freudlosigkeit in mir,
daß ich auf dem Sessel zurücksinkend unwillkürlich rief:
„Wär ich tot!" Sofort aber griff ich nach der Wein-
karte und rief: „Eine Flasche Macon." Jch rieb mir die
Hände, schaute ihn an und sagte: „So muß man es
machen."
Er bewunderte auch das. Und ich eitler Mensch
faßte, dadurch angeregt, meine Selbstmordstimmung
in frivole Worte und lebte dabei wieder auf.
„Es gibt noch bessere Gegenmittel," sagte ich und
sprach mit ihm gewissenlos wie mit den andern Freunden.
Erst jetzt kommt mir zum Bewußtsein, wie unge-
heuer meine Reden auf ihn wirken mußten, schon durch
den Ton, worin sie gehalten wurden.
Er hörte schweigend, mit gesenkten Augen zu.
Unterdessen waren die Menschen, mit denen ich in
diesem Restaurant verkehrte, angekommen. Jch will
nur das Nötigste über sie sagen, da ihre Art zu gut be-
kannt sein mag. Es waren junge Herren, die aus Ge-
wöhnlichkeit, Leichtsinn und Unverstand ähnlich dachten
wie ich aus vermeintlicher Erkenntnis. Die meisten von
ihnen hatten gescheitelte, rotwangige, glattrasierte Stu-
dentengesichter. Alle waren erfüllt von einem naiven
Selbstbewußtsein, obwohl kein einziger irgendwie be-
deutend war. Jm Grunde waren sie gutherzig, aber
schwach und äußerst gedankenlos.
Jch war gerade das Gegenteil von ihnen. Mein
Wille war sehr stark ausgebildet. Jch war im Grunde
gleichgültig gegen alles, was ihnen Freude bereitete.
Und heute, nach meinem Gesprache über den Selbst-
mord, langweilten sie mich niehr alö je.
Jhr Hauptspaß bestand darin, Mädchen betrunken
zu machen und dann zu studieren, wie diese redeten,
lachten, kreischten, die Selbstbesinnung verloren und
herumtorkelten.
Als der Abend vorrückte und sie mit Frauenzimmern,
die hereintraten, Blicke zu tauschen begannen, ging ich
ohne Abschied fort, obwohl ich wußte, was geschehen
würde. Wie hätte ich sonst zu mir sagen können:
„Soll ich meines Bruders Hüter sein?"
Jn mir war absolute Lieblosigkeit.
Meine Bekannten machten den Freund betrunken
und nahmen ihn zu ihren niedern Freuden mit.
Jch sah ihn dann lange Ieit nicht mehr. Er sonderte
sich von mir und allen andern ab. Jch aber kümmerte
mich nicht darum, was in seinem Jnnern vorgehen
mußte. Ganz sicher wäre er auch jetzt noch zu retten
gewesen, vielleicht schon durch einen gemeinschaftlichen
Spaziergang oder nur durch ein einziges Wort.
Das gütige Schicksal wollte mir auch dazu noch die
Gelegenheit geben. Jch sah ihn eines Tages unver-
mutet am Waldrand auf einerBank sitzen und hinunter-
schauen auf die Stadt. Er war weiß gekleidet. Die
Wangen waren eingefallen, die großen Augen traten
starr hervor, ich mußte unwillkürlich an das fleischlose
Gesicht eines edlen Araberpferdes denken. Jn seinem
Blick war etwas Hoheitsvolles, Fürchterliches. Jch
wich ihm aus.
Etwas später fragten mich die Bekannten nach ihm.
Einer nahm eine Postkarte und zeichnete ein Weib
darauf. Die andern unterschrieben. Jch hinderte eS
nicht.
Drei Tage später hörte ich, daß er sich erschossen
hatte.
Jch bin schuld.
Jch wußte es bis heute nicht.
Und es ist nicht die einzige Schuld. Von meinen
lieblosen Worten ging Verödung, Wahnsinn und Tod
auf andere über.
Jch kannte nicht die Sphäre des Verbrechens, die
mein Wesen umfloß. Jetzt aber drängt sie auf mich ein,
Erinnerung mit Todesluft gefüllt, quält, ätzt und rich-
tet mich.
Mörder! rief die Stimme der Nacht.
Oionardo.
(Betrachtungen im Louvre.)
Lionardo ist der tiefste Mensch der italienstchen
Nenaissance; in ihm ist zum erstenmal voll das Geheim-
nis des nach-antiken Menschen aufgegangen, wie, aller-
dings dichterisch-psychologisch und so hinsichtlich der
Menschenseele in umfassenderer Weise später in Shake-
speare. Das Unergründliche seiner Frauen und wie
hermaphroditischen Jünglingsköpfe ist gewissermaßen
die südliche Parallele zu Hamlet.
-X-
Was Faust sucht, hier ist's begriffen und erfaßt und
blickt aus tiefem Auge auf uns nieder: die Welt als das
Ewigweibliche, und lockt und gibt sie als Erfüllung:
St. Baptiste.