Ötto Stoessl.
Deutung und Lösung seines jugendlichen, schmerzlichen
Erlebnisses: daß die Freundschast unter allen Abenteuern
der Jugend das schönste, reinste und einzigste ist, das
ganz im Bezirke der Seele liegt und einen dauernden
Glanz auf alles weitere Leben des Menschen wirft.
Mit diesem wundervollen Schlusse dieser Jugendent-
wicklung rundet sich das Schicksal einer abenteuervollen
Jugend eines Durchschnittsmenschen zu einem geschlos-
senen Ringe, in dem das Paradore geschieht: daß ein
Abenteuer in der Seele eines Menschen dauernder
Besitz, Glück und Sinn eines Lebens wird.
Der Romantiker, der Schelm, der Afrikareisende und
die Negerkönigstochter, der Hochstapler und eine Jugend —
ein durchgehender Aug verbindet sie alle: die Lust am
Glanz des Abenteuers als dem einzigen Glück einer grauen
Gegenwart, und dieser Iug verbindet sie mit der letzten
Gestaltung von Stoessls Dichtersehnsucht: mit dem liebens-
würdigen Bohßme-Buche „Wasnützenmirdieschönen
Schuhe". Der Bohömien, der werdende Künstler und
die schöne Frau mit dem schwachen Willen tritt neben
die anderen abenteuernden Gestalten. Der Traum eines
Sommers treibt junge Menschen der verschiedensten
Geistes- und Seelenart als Hofstaat einer schönen
jungen Witwe zusammen. Viel Scherz und Heiterkeit
wird spielend verpufft und am Ende läuft alles ausein-
ander, wie es das zerstreuende Leben will: die Realisten
haben die Früchte gepflückt und den Phantasten ist das
schöne Gut, die Liebe einer schönen Frau, zwischen den
Fingern zerronnen, und so geht am Ende alles, was sich
treiben ließ, in einem grauen Alltag zugrunde, und nur
die festen Naturen finden ihr Ziel, während den Phan-
tasten der Traum eines wunderschönen Sommers als
das schmerzliche Glück ihres Lebens bleibt. Die über-
schäumende Jugend selber, die sich um ein schönes
junges Weib schart, ihr huldigt und sie feiert, ist hier das
Abenteuer, das blüht im Schatten der Gesellschaft, aber
nicht gedeihen und Frucht bringen kann und so verrinnt
wie eine Welle, nachdem sie im Sonnenlicht kurze Aeit
geglänzt hat.
4.
Das Lebenswerk des Dichters, seine Grundtriebe
und ihre Gestaltungen haben wir in dieser Skizze zu
zeichnen versucht. Jmmer wieder sahen wir den vernünf-
tigen Betrachter der Kühle der Vernunft entlaufen und
im Abenteuer einer übervernünftigen Freude am Dasein
ohne Iiel und Iweck nachjagen. Aber immer kehrte die
Vernunft, nach der Erfrischung des Abenteuers, gleichsam
zu sich selbst zurück. Und was hier als Grundtrieb des
Lebens bei dem Dichter zu beobachten ist, das läßt sich
auch in der Gestaltung aufzeigen. Durchgehends in
allen Werken ist die Komposition auf Kontraste an-
gelegt: der Erzähler steht Sonja und Roskowsky, Danitza
und Dieter stehen Egon, Dieter der Altere dem vr. Hesky
und der Negerin, Dieter der Jüngere dem Toni gegen-
über, wie die lebendig gewordene Vernünftigkeit dem
blinden Trieb, der mit sich selbst nichts anzufangen
weiß. Und wie reizend weiß da der Dichter seine Ver-
nunft gleichsam der Familie Dieter anzuvertrauen,
von denen Vater und Sohn in so manchem Schicksal
die ordnende Vernunft spielen und an ihrem Beispiel
zeigen, wieviel ein klarer, mutiger und verständiger
Mann in den verwirrten und verwirrenden Zuständen
des Lebens leisten kann. Jn die Figur des Dieter senior
und junior, die im wesentlichen eine einzige ist, hat sich
der Dichter so verliebt, wie etwa der alte Romantiker
Hoffmann in seinen Kapellmeister Kreisler. Und gerade
an diesem Vergleich zwischen Hoffmann und Stoessl,
zwischen Johannes Kreisler und der Familie Dieter
mag man ersehen, in welchem Abstand wir durch das
Erlebnis der Jahrzehnte von 1820 bis 1900 von der
Romantik geraten sind. Während Hoffmann seine Hel-
den noch als Titanen erschuf, obgleich sie Abenteurer
waren, vermag Stoessl im Abenteurer nur noch die
Arabeske der Ordnung zu sehen: der Rausch der Ro-
mantik hat sich in einen Katzenjammer der Verständig-
keit aufgelöst und selbst der Dichter kann nicht mehr
trunken taumeln und jauchzen, sondern er vermag nur
noch verständig zu wandeln und zu lächeln; er unter-
nimmt es nicht mehr, als himmelstürmender Titan der
Welt neue Gesetze vorzuschreiben, sondern er geht be-
trachtsam beiseite und wartet, ob die Welt ihn aufsuche,
um sich nach seinen Gestalten zu bilden.
Bei all dieser Verständigkeit aber wird der Humorist
Stoessl nie eng und kleinlich, weil sich ihm jenseits aller
Verständigkeit im Reich der Vernunft die Solidarität
und Einheit alles Menschenwesens und Menschentreibens
auftut und weil so, von dem innersten Aentrum des
Lebens her geleitet und getrieben, Spießbürger und
Abenteurer, Realist und Phantast, Dieter und Toni
zu einem Reigen des Menschentums sich verbinden und
unter dem gütigen Lächeln des leidvollen Dichters sich
bewegen, lächelnd und tanzend. Und so weift es sich,
daß nach dem tiefsten Leide die höchste Freiheit, die Frei-
heit der Seele durch die Kraft des Geistes, Bitterkeit
und Welthaß in liebende Heiterkeit verwandelt. f684)
eschwister.
Von Otto Stoessl*).
Die beiden wurden getrennt, als sie noch wie zwei
Tiere aus einem Wurf miteinander balgten. Kinder
bleiben ja viel länger unmündig, als Katzen oder Hunde.
Der Bub war taubstumm und langsam von Verstand,
zwar wehrhaft gebaut, aber um so schwerfälliger und
täppischer. Er begriff nur, was er gespürt hatte, am
eindringlichsten nach Schmerzen. Was er aber einmal,
und sei es falsch, erfaßt hatte, behauptete er gegen alle
Teufel und seine Hartnäckigkeit zog ihm erst recht neues
Ungemach zu. Er war so, daß er zum Beispiel ein Ge-
wehr mühselig als Wafse hätte brauchen lernen können,
dann aber den Kolben als Prügel, den Lauf als Griff
verstanden und um eine Welt nicht anders als den
Kolben zum Schlagen gebraucht und etwa von der zu-
fälligen Entladung des Schusses getroffen, dies Selbst-
verschulden als gemeines Unrecht empfunden hätte.
Alles was über seinen willkürlichen und unzulänglichen
Begriff einer Sache hinausging, konnte er nur feindselig
einschätzen.
") Aus „Unterwelt". Novellen von Dtto Stoessl (Verlag
Georg Müller, München).
Deutung und Lösung seines jugendlichen, schmerzlichen
Erlebnisses: daß die Freundschast unter allen Abenteuern
der Jugend das schönste, reinste und einzigste ist, das
ganz im Bezirke der Seele liegt und einen dauernden
Glanz auf alles weitere Leben des Menschen wirft.
Mit diesem wundervollen Schlusse dieser Jugendent-
wicklung rundet sich das Schicksal einer abenteuervollen
Jugend eines Durchschnittsmenschen zu einem geschlos-
senen Ringe, in dem das Paradore geschieht: daß ein
Abenteuer in der Seele eines Menschen dauernder
Besitz, Glück und Sinn eines Lebens wird.
Der Romantiker, der Schelm, der Afrikareisende und
die Negerkönigstochter, der Hochstapler und eine Jugend —
ein durchgehender Aug verbindet sie alle: die Lust am
Glanz des Abenteuers als dem einzigen Glück einer grauen
Gegenwart, und dieser Iug verbindet sie mit der letzten
Gestaltung von Stoessls Dichtersehnsucht: mit dem liebens-
würdigen Bohßme-Buche „Wasnützenmirdieschönen
Schuhe". Der Bohömien, der werdende Künstler und
die schöne Frau mit dem schwachen Willen tritt neben
die anderen abenteuernden Gestalten. Der Traum eines
Sommers treibt junge Menschen der verschiedensten
Geistes- und Seelenart als Hofstaat einer schönen
jungen Witwe zusammen. Viel Scherz und Heiterkeit
wird spielend verpufft und am Ende läuft alles ausein-
ander, wie es das zerstreuende Leben will: die Realisten
haben die Früchte gepflückt und den Phantasten ist das
schöne Gut, die Liebe einer schönen Frau, zwischen den
Fingern zerronnen, und so geht am Ende alles, was sich
treiben ließ, in einem grauen Alltag zugrunde, und nur
die festen Naturen finden ihr Ziel, während den Phan-
tasten der Traum eines wunderschönen Sommers als
das schmerzliche Glück ihres Lebens bleibt. Die über-
schäumende Jugend selber, die sich um ein schönes
junges Weib schart, ihr huldigt und sie feiert, ist hier das
Abenteuer, das blüht im Schatten der Gesellschaft, aber
nicht gedeihen und Frucht bringen kann und so verrinnt
wie eine Welle, nachdem sie im Sonnenlicht kurze Aeit
geglänzt hat.
4.
Das Lebenswerk des Dichters, seine Grundtriebe
und ihre Gestaltungen haben wir in dieser Skizze zu
zeichnen versucht. Jmmer wieder sahen wir den vernünf-
tigen Betrachter der Kühle der Vernunft entlaufen und
im Abenteuer einer übervernünftigen Freude am Dasein
ohne Iiel und Iweck nachjagen. Aber immer kehrte die
Vernunft, nach der Erfrischung des Abenteuers, gleichsam
zu sich selbst zurück. Und was hier als Grundtrieb des
Lebens bei dem Dichter zu beobachten ist, das läßt sich
auch in der Gestaltung aufzeigen. Durchgehends in
allen Werken ist die Komposition auf Kontraste an-
gelegt: der Erzähler steht Sonja und Roskowsky, Danitza
und Dieter stehen Egon, Dieter der Altere dem vr. Hesky
und der Negerin, Dieter der Jüngere dem Toni gegen-
über, wie die lebendig gewordene Vernünftigkeit dem
blinden Trieb, der mit sich selbst nichts anzufangen
weiß. Und wie reizend weiß da der Dichter seine Ver-
nunft gleichsam der Familie Dieter anzuvertrauen,
von denen Vater und Sohn in so manchem Schicksal
die ordnende Vernunft spielen und an ihrem Beispiel
zeigen, wieviel ein klarer, mutiger und verständiger
Mann in den verwirrten und verwirrenden Zuständen
des Lebens leisten kann. Jn die Figur des Dieter senior
und junior, die im wesentlichen eine einzige ist, hat sich
der Dichter so verliebt, wie etwa der alte Romantiker
Hoffmann in seinen Kapellmeister Kreisler. Und gerade
an diesem Vergleich zwischen Hoffmann und Stoessl,
zwischen Johannes Kreisler und der Familie Dieter
mag man ersehen, in welchem Abstand wir durch das
Erlebnis der Jahrzehnte von 1820 bis 1900 von der
Romantik geraten sind. Während Hoffmann seine Hel-
den noch als Titanen erschuf, obgleich sie Abenteurer
waren, vermag Stoessl im Abenteurer nur noch die
Arabeske der Ordnung zu sehen: der Rausch der Ro-
mantik hat sich in einen Katzenjammer der Verständig-
keit aufgelöst und selbst der Dichter kann nicht mehr
trunken taumeln und jauchzen, sondern er vermag nur
noch verständig zu wandeln und zu lächeln; er unter-
nimmt es nicht mehr, als himmelstürmender Titan der
Welt neue Gesetze vorzuschreiben, sondern er geht be-
trachtsam beiseite und wartet, ob die Welt ihn aufsuche,
um sich nach seinen Gestalten zu bilden.
Bei all dieser Verständigkeit aber wird der Humorist
Stoessl nie eng und kleinlich, weil sich ihm jenseits aller
Verständigkeit im Reich der Vernunft die Solidarität
und Einheit alles Menschenwesens und Menschentreibens
auftut und weil so, von dem innersten Aentrum des
Lebens her geleitet und getrieben, Spießbürger und
Abenteurer, Realist und Phantast, Dieter und Toni
zu einem Reigen des Menschentums sich verbinden und
unter dem gütigen Lächeln des leidvollen Dichters sich
bewegen, lächelnd und tanzend. Und so weift es sich,
daß nach dem tiefsten Leide die höchste Freiheit, die Frei-
heit der Seele durch die Kraft des Geistes, Bitterkeit
und Welthaß in liebende Heiterkeit verwandelt. f684)
eschwister.
Von Otto Stoessl*).
Die beiden wurden getrennt, als sie noch wie zwei
Tiere aus einem Wurf miteinander balgten. Kinder
bleiben ja viel länger unmündig, als Katzen oder Hunde.
Der Bub war taubstumm und langsam von Verstand,
zwar wehrhaft gebaut, aber um so schwerfälliger und
täppischer. Er begriff nur, was er gespürt hatte, am
eindringlichsten nach Schmerzen. Was er aber einmal,
und sei es falsch, erfaßt hatte, behauptete er gegen alle
Teufel und seine Hartnäckigkeit zog ihm erst recht neues
Ungemach zu. Er war so, daß er zum Beispiel ein Ge-
wehr mühselig als Wafse hätte brauchen lernen können,
dann aber den Kolben als Prügel, den Lauf als Griff
verstanden und um eine Welt nicht anders als den
Kolben zum Schlagen gebraucht und etwa von der zu-
fälligen Entladung des Schusses getroffen, dies Selbst-
verschulden als gemeines Unrecht empfunden hätte.
Alles was über seinen willkürlichen und unzulänglichen
Begriff einer Sache hinausging, konnte er nur feindselig
einschätzen.
") Aus „Unterwelt". Novellen von Dtto Stoessl (Verlag
Georg Müller, München).