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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 1
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Röttger, Karl: Palmsonntag
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Röttger, Karl: Die Mutter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0036

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chalinsonutag.

aller Qual, in allem Leid, in aller Unvollkommenheit der
Erde und deS Lebens eine Ahnung sich auftut von einer
Seligkeit, von einer Ewigkeit, die jenseit liegt, von einer
größern Liebe als die Menschen sie kennen, von dem
Reich Gottes ... bis sie das lernen — ist wohl weit...

Die beiden Frauen, da er so sprach und nun schwieg,
fühlten wohl, daß alles, was er sagte, wahr war; und
sie fühlten die Trauer aus seinen Worten, den Schmerz,
der aus der Reife bricht — wenn sie erkennt: der Sieg
d es guten Herzens -ist schwer, schwer . . .

Und in diesem Mitfühlen fingen die beiden Frauen
auf einmal an zu weinen, die eine zur Rechten, die
andere zur Linken.

Danach sprach Maria aus ihrem Weinen heraus
leise: Herr, kommt es dir auf die Aahl der Menschen an
— siehe, etliche sind doch da, die dich verstehen . . .

Jesus sprach, ebenso leise: Meinst du es?

Sie aber sprach weiter: — die dich erkennen und die
es wissen, daß du jene Weisheit sagst, die seit Anbeginn
war (in Gott) und die in alle Ewigkeit Weisheit und
Wahrheit sein wird.

Jesus sprach, wie im Traum, vor sich hin: Etliche
sind da . . . Aber wird nicht das Letzte fehlen — das
letzte Einverstehen? — Und warum ist meine Seele be-
trübt? Jst es, weil mein Werk auf dieser Erde dem
Ende zuschreitet? Da sprach Martha und faßte seinen
Arm: Herr, wir finden es wohl dicsen Abend nicht; und
wir zwei sind schwache Frauen, wie sollten wir dir ant-
worten können? So laß uns hinein gehen; Lazarus
sitzt und wartet, und es ist spät, und du sollst schlasen.
Bis an den Morgen. Da wird Gottes Sonne wieder
scheinen wie heute, und du wirst deine Betrübnis über-
wunden haben.

Da lächelte Jcsus ihr zu und sprach: Sieh da, Martha,
die immer klug ist und weiß, was im Leben not ist. Du
magst recht haben. Aber ihr zwei wisset nun, wie die
Schwermut auch dem kommt, der seine Tage gleichwohl
unbeirrt geht — wie die Trauer auch einmal den über-
schattet, der die Herrlichkeit des Vaters sah; und sie
wieder sehn wird, nach diesen Tagen. — Wohl, ich lasse
die Welt fiehn, wie sie steht und Gott sie hingestellt;
aber ich lasse euch mein Wort, das ich Gott vom Munde
nahm. Wird es verwehen im Wind oder sein in den
Herzen der Menschen?

Und wenn es verwehte im Wind, sprach Maria, so
werden immer wieder Seelen sein, die auf den Wind
lauschen und es hören.

Da sprach JesuS: Du hast recht. O Welt, ich liebte
dich, da ich sah, wie du leidest an dir selber; wie du im
Kampf liegst mit dir selber, Mensch zu Mensch; ich liebte
dich, da ich deine Armut sah, die eine Armut der Seele
ist. Jch lasse mein Wort dir zurück, daß ein Friede dir
möglich ist und ein Glück. Die Stille wird es dir sagen
und der namenlose Wind und das Herz der Wenigen,
die fromm sind . . .

So redete Jesus in die Nacht hinein, und die Frauen
an seiner Seite schwiegen.

Sie standen vorm Haus und wollten hinein gehen.
Da tat die Tür sich auf, und Lazarus trat hervor und
der Schein eines Lichtes war hinter ihm.

Sieh da, sprach er und grüßte ihn und Jesus grüßte
ihn wieder: Friede dem Haus und die darin wohnen;

die Nacht steht groß und feierlich über den Hügeln und
Garten. Wir wollen hinein gehen; süß ist die Stille und
der Frieden und der Schlaf der Nacht. Wir bedürfen
dessen, um Kraft zu haben in den Tagen, da das Schicksal
nun hereinbricht.

ie Mutter').

Von Karl Röttger.

Es geschah, daß eine Mutter, eine Witwe, die in
dem großen Morden ihren einzigen Sohn, den Letzten
des Hauses und Geschlechts, dem Vaterlande gegeben
hatte, — daß die Mutter in einer Nacht, da die Kämpfe
an den Fronten wieder schwer gingen, einen surcht-
baren Traum hatte: Sie ging durch schweigende deut-
sche Waldnacht einen Bergpfad hinan und kam zuletzt
auf eine hohe, kahle Kuppe, von der die Walder wie
schwarze Fluten abflossen. Und man sah von da weit-
hinaus >n das stille Land, das der Vollmond beleuchtete.
Als sie so stand, dachte sie, wenn dort hinten der Horizont
sich austäte, könnte man vielleicht in das Toben hinein-
sehen. Aber vielleicht sähe man auch nichts als einen
Feuerbrand, denn die Kämpser würden doch in den
Nächten wohl ein wenig schlafen.

Als sie das so gedacht hatte, begann es zu ihr herüber-
zuwehen wie von Stimmen, und dann tat sich, wie von
leichtem Luftzug bewegt, der graue Vorhang auseinander,
den man Horizont nennt, und sie sah ein furchtbares Bild.
Jm Schein brennender Häuser und Dörfer fluteten hin
über das Feld die Neihen der Krieger, der Geschütze,
der Neiter. Wie sie das so eine Weile betrachtet hatte,
stieg es in ihr auf, erwachte es in ihr wie eine Furcht,
die immer in ihr gelegen hatte, aber schlafend: mein
Sohn, mein Sohn wird bleiben in diesem Kampf! Und
sast meinte sie in einer der Gestalten, die da sern, schatten-
haft, klein durchs Helle strichen und dann verschwanden,
ihn zu erkennen. Danach senkte sich der Vorhang wieder.
Die Stimmen hörten auf; und es war wieder stille
deutsche Landschast um sie, vom Vollmond beschienen.
Da wgndte sie sich und schritt den Weg zurück, durch den
schwarzen Wald, an den hohen Tannen hin, in deren
Kronen es rauschte wie ein ewiges Schlaflied. Und hier
endete wohl derTraum, und sie verfiel in ruhigeren Schlaf.

Danach aber schrak s.e wieder zusammen im Schlaf
und kam danach aus dem Schlas ins Wachen empor;
denn es war ihr im Schlaf und Traum gewesen, ihr Sohn
habe wie aus der Ferne gerusen und sei danach dunkel
und schattenhaft vor sie hingetreten. Und im Aufwachen,
im Auftun der Augen war es ihr gewesen, als verfließe
eine Gestalt vor ihrem Lager in nichts. Als sie nun ganz
wach war, wußte sie wohl, das gehörte mit zum Traum,
Aber sie konnte doch nun nicht wieder einschlasen und lag
wach im Bett. Und da das Denken während des Nicht-
schlafens so sehr quälend ist, stand sie zuletzt auf und
machte ein Licht an und griff nach einem Buch, um zu
lesen — es war das Buch, das Evangelium, das sie ge-
grifsen hatte — und fing an, zu lesen von Jesus Christus.
Sie las im Evangelium von den Lehren und Taten Jesu;
legte aber wahrend des Lesens manchmal das Buch

*) AuS „Der Eine und die Wclt" von Karl Röttger. Verlag
Georg Müller, München.
 
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