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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 3
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Röttger, Karl: Das Herz des Clemens
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Schubring, Paul: Johanna Kinkel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0087

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Das Herz des Clernens.

und ihm den Weg von Tröstungen nannten, die ihn
nicht trösten konnten. Also, daß er ewig sein Herz
beschwichtigen wollte und das doch nicht vermochte.
Also, daß zuletzt doch nichts blieb als der Untergang.
Was konnte es ihm nützen, Sünden zu büßen, die
er nicht begangen hatte? Was kann es dem Menschen
nützen, dort Heil zu suchen, wo sein Herz frierend
bleiben muß?

Was füllet jeht die narbenvolle Brusi?

Verbrannt das Herz! Wie knirscht die tote Kohle!

Das habt ihr stillen Tränen wohl gewußt.

Sollten wir fragen, ob dieser Untergang dem Herzen
des Clemens notwendig war oder nicht? Nein! Nicht
fragen. Die Antwort würde lauten: Ja und Nein!
Und unser Aartestes würde leise beten: Nein! Nein!
Nur nicht!

Denn auch unser Iartestes fürchtet sich vor solchen
Untergängen. Denn wir wissen, daß es so einfach
gewesen wäre, solche Herzen zu retten, seines und des
adligen Kleist! Wie das? Wenn die Menschen ihres
Bürgerseins und Wohnens in der Enge vergessen hatten
und sich allein auf ihre reine, gute, schöne und freie
Menschlichkeit besonnen hätten. Wenn sie sich darauf
besonnen hätten: es ist nicht zu schade, ein Herz zu retten,
ihm den Weg zu weisen zum Glück. Denn nichts
anderes will das Herz und darf es wollen: als Glück.
Und wehe dem Herzen, das anderes will denn Glück.
Wehe ihm! Das aus Furcht vorm Fatum seinen Willen
umbiegt in eine halbe Frömmigkeit, die nicht seinem
innersten Willen gemäß. Das Herz des Clemens wollte
ganz fromm werden, war aber nicht sromm genug, rein
seinen innersten Willen zu erhorchen. Der aber ging
nach dem Glück, wie jedes Menschen innerster Wille.
Nur daß man das Glück auch tief genug verstehen muß
— im Einklang mit demWelt-Sinnen verstehen, im Ein-
klang mit dem „Geist".

Das Herz des Clemens war zart, auch reizbar,
scheu und ermangelte jener letzten Stärke, die wir vor
Gott haben sollen. Und viele sind ihm darin gleich.
Darum doch war keine Schuld bei ihm; und sein Unter-
gang lag ebenso in dem begründet, was andere ihm . . .
nicht taten, wie in dem, was er tat, was er falsch tat...
Denn wie einsam wir auch sind — so hat an unserm
Schicksal doch alles teil — meinetwegen auch alles
„schuld". Und wenn wir das einmal ganz tief und
rein erfühlen, kann es uns vielleicht fromm machen.
Derart, daß wir eine leise Scheu bekommen, anderen
Herzen sunrecht zu tun. Derart, daß wir so fromm
werden, daß wir wissen: die Liebe ist das Größte in der
Welt; alles, was teil hat an inbrünstiger Liebe, ist damit
auch gerechtfertigt. . .

Einmal aber wußte das Herz des Clemens auch
dieses. Als er jene ganz vollkommenen Aeilen schrieb,
die, wie zart und fein sie auch sind, nie verwehen im
Wind dieser Welt. Die immer wieder einmal wie ein
schmerzlich-süßer Duft vorüberwehn:

Was reif in diesen Zeilen steht,
was lächelnd winkt und sinnend fleht,
das soll kein Kind betrüben.

Die Einfalt hat es ausgesät,
die Schwermut hat hindurchgeweht,
die Sehnsucht hat's getrieben.

Und ist das Feld einst abgemäht,
die Armut durch die Stoppeln geht,
sucht Ahren, die geblieben;
sucht Liebe, die für sie untergeht,
sucht Liebe, die mit ihr aufersteht,
sucht Liebe, die sie kann lieben.

Und hat sie einsam und verschmäht
die Nacht durch, dankend im Gebet,
die KLrner ausgerieben,
liest sie, als früh der Hahn gekräht,
was Lieb erhielt, was Leid verweht,
ans Feldkreuz angeschrieben:

„O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit". s685j

Anmerkung zu dem Aufsatz „Das Herz des Clemens": Die
zwei ersten Gedichte sind nicht von Brentano, sie wurden her-
gesetzt, um die Stimmung genau zu kennzeichnen, auf die es
dem Verfasser ankam. Das erste Gedicht steht „Rheinlande" 1915,
Heft 3. (Erstes Gedicht des Iyklus „Kindheit, Gott und Wunder"
von Karl Röttger.) Das zweite Gedicht aus einem Brentano-
Zyklus von Otto zur Linde „Jn silberblauer Sehnsuchtsnacht",
Gesammelte Werke, Band I.

^ohanna Kinkel.

Jn Bonn findet man in derJosephstraßeNr.13
eine Jnschrifttafel: „Jn dieseni Haus wurde am 8. Juli
1810 Johanna Katharina Mockel geboren, die hier
mit ihrem Ehegatten G. Kinkel und andern rheinischen
Dichtern am 29. Juni 1840 den ,Maikäferbund/ stiftete."
Mit Recht hat mit solcher Tafel die Vaterstadt das An-
denken einer ihrer besten Töchter festgehalten, die im
Dienst der Musen wie der Freiheit, der Freude und der
Tapferkeit sich bewährt hat und deren Leben im Bunde
mit einem hochgemuten, reich veranlagten und kühn
vorwärts dringenden Gatten für Bonns geistige Physio-
nomie, für die Geisteskampfe des Rheinlands und für
die politischen Erfolge von 1848 eine historische Be-
deutung gewonnen hat, die sich zuletzt in der tragischen
Form der Verbannung heroisiert hat. Von ihrer
Begabung an künstlerischer Gestaltung mag das
nachfolgende Märchen Selbstzeugnis ablegen. Dies
„Verzellsche" ist längst vergriffen; ein Ausall brachte das
letzte Eremplar aus den Händen des VerlegerS in die
meiner Mutter. Es werden sich heute die Menschen
ebenso herzlich an ihm freuen wie vor 70 Jahren;
vielleicht ist sogar unsere Bereitschaft, im Spiel des
Märchens den tieferen Sinn, im Scherz der Dichtung
die Wucht der Wirklichkeit zu finden, größer als bei
den Altvorderen.

Johanna Mockel wurde als Tochter eines Gymnasial-
lehrers 1810 in Bonn geboren, als die Stadt unter
französischer Herrschaft stand. Aber ihre Seele hat stark
für Deutschlands Herrlichkeit und Befreiung geschlagen;
auch als Preußen sie verbannte, hat sich Johanna inner-
lich nicht von der Heimat getrennt. Jhre Jugend ging
in kleinen, engen, religiös sehr orthodoren Verhaltnissen
hin; es dauerte lange, bis sie sich — nicht zur Skepsis,
sondern — zur Freiheit und Heiterkeit herausgearbeitet
hatte. Das Philisterium suchte auch dies frohe Menschen-
kind einzufangen in einer ersten, ihm aufgenötigten Ehe
mit einem Musikverleger aus Cöln, der ein ganz raffinier-
ter Bruder gewesen sein muß; prachtvoll, wie die Ge-
qualte nach einem halbcn Jahre empörender Ver-
gewaltigung mit dem Hute in der Hand zu Fuß nach

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