Drci GlaubenLbüchcr unserer Zeit.
klar durch ihn zu erkennen ist. Nur sein leises Knistern
und Krachen hören wir bei manchem Tritt, und dann
und wann geistet an einer freien Stelle etwas herauf:
groß, dunkelhell, in verzitternden Umrissen — von dem
wir nicht sicher wissen, ist es gestaltete Form aus dem
Wesen der Dinge, oder ist's nur unser eigenes Spiegelbild.
Wer einmal dieses Knistern vernommen hat, der
wird die Traurigkeit nicht los, daß unsere logische Analyse
gleich der chemischen am Geheimnis angelangt sei, aber
den Schlüssel der praktischen Chemie verloren habe. Die
Weisheitsliebe ist eine peinliche Denkordnung geworden,
aus der die Weisheit verzweifclt ausbricht, wie es bei
Fripdrich Nietzsche geschah — den die Fachphilosophen
deshalb auch verachtlich den Künstlern zuschoben — und
wie es, weniger leidenschaftlich, in diesem kleinen Buch
von Georg Stammler geschieht. Seine stillen Worte
verniögen sich nicht mit dem vulkanischen Ausbruch des
pathetischen Umwerters zu messen, sie sind neben seinen
Lavablöcken nur Kiesel, die irgendwo am Bach in der
Sonne lagen und aus Freude an ihrer Farbe aufgehoben
wurden. Aber seltsam, die Weisheitsliebe vermag fast
mehr mit ihnen anzufangen als mit den Trümmern
seines Bergsturzes: ihr sind der Ubermensch und die
ewige Wiederkunft zu sehr niit der Qual der Stunde
behaftet, da sie hinausgeschleudert wurden, Scheinwerfer
einer Verzweiflung, die den selben Himmel vergeblich
nach Erlösung absuchten, der sich auf dem blassen Glanz
der Stammlerschen Kiesel ein wenig zu spiegeln scheint.
Damit ist schon gesagt, daß der Sinn und Wert dieser
kleinen Schrift cine glaubige Versenkung von fast evan-
gelischer Einfalt ist; das „so ihr nicht werdet wie die
Kinder" scheint bewußt darin geübt, so sicher halten sich
die Worte auf der Grenze, wo das Denken noch nicht
vom Dichten entfernt ist, wo das Gcfühl und die Ahnung
dem Verstand ihre Meldung bringen. Fast möchte man
sagen, hier sei ein hügeliges Gelande mit Blumen uni
den Quell, seitwarts der Kulturflache strenger Denk-
arbeit gelegen, die im System ihrer gezirkelten Straßen
unendlich die Ebene erfüllt. Auch wer keine Gartner-
karte hat, darf hinein und sich auf dem bunten Rasen-
boden ergehen, den keine Kieswege zerschneiden. Viel-
leicht, daß er ein paar grämliche Gesichter sieht, die aus
den strengen Fächern ihrer Kulturen herüberblicken und
sich an deni sonnigen Himmelsblau zwischen knallweißen
Wolken ärgern, indessen über ihnen noch endlos das
Grau der Ebene hängt.
„Auf das Stille und Unbewegliche in unserer Brust
komnit es an, ob wir wie Ertrinkende im Strom der
Begierden und Geschäftc treiben, oder ob wir gelassen
wie zum täglichen Spiel unsere Hände in sein Wasser
tauchen." Jn diesem schönen Wort Stammlers ist die
idyllische Seite der Weisheit gefaßt und zugleich eine
Kritik der Philosophie als Fachwissenschaft gegeben;
denn wer wagt zu sagen, daß sie in unsere Kultur einen
spürbaren Hauch dessen gebracht habe? Grund und
Iiel des kleinen Werkes aber langen weit über diese
Jdylle hinaus: nicht um idyllische Absonderung handelt
es sich, sondern um Befreiung der Weisheit aus der
Beschränkung des begrifslich sortierenden Jntellekts.
Denn so erbittert die Fachwissenschaft sich wehren mag,
ihre Unzulänglichkeit vor der Weisheit ist eine Ursache
der tiefen Hoffnungslosigkeit, an der wir die moderne
Menschheit trotz ihren babylonischen Türnien der Geistes-
wissenschaften bitter verzweifelt sehen. Nach dem Aber-
glauben fühlt sie sich vom Aberwissen betrogen, sie will
und muß auf einen Lebensboden kommen, wo Glauben
und Wissen in Weisheit einig geworden sind, wo der
„Philosoph zum Seher" und mit dem Gläubigen eins
ini Vertrauen geworden ist.
-I-
*
Es sind nur Andeutungen, die ich von dem Jnhalt
dieser drei Glaubensbücher geben konnte; für ihre Art
müssen die nachstehenden Proben zeugen. Wer meine
Worte als „literarische Empfehlung" auffaßt, der nehme
die Bücher gar nicht zur Hand, denn Genuß im Sinn
der bloßen Literatur bieten sie kaum: Wer aber mit
mir traurig ist an der Verflachung und tiefen Ver-
zweiflung unseres geistigen Lebens, dem werden, des
bin ich sicher, Quellen der Hoffnung daraus rinnen.
Nicht die der reuigen Rückkehr erschütterter Seelen, son-
dern des kühnen Mutes in eine schönere Zukunft, als eü
die Vergangenheit unserer zerrütteten Gegenwart war.
W. Schäfer.
er Narr in Christo*).
Von Gerhart Hauptmann.
Es war gegen vier Uhr nachmittags, als Emanuel
sich nach dem Pastorhaus auf den Weg machte. Die
Mutter hatte ihn, so gut es ging, mit den Stiefeln des
Vaters und einem alten Rock herausgestutzt, den ihr vor
vielen Jahren einmal ein Gastwirt für ihren Mann ge-
schenkt und den sie heimlich aufbewahrt hatte.
Der Pastor empfing Emanuel freundlich. Er sagte,
nachdem die Köchin an die Tür des Studierzimmers mit
den Fingerknöcheln geschlagen hatte, mit lauter gemüt-
licher Stimme: „Nur immer herein" und hieß den Be-
sucher freundlich Platz nehmen. Freilich hatte die Köchin
für diesen Aweck einen besonderen Stuhl bereit gehalten
und schob ihn eilig Emanuel unter. Hierauf stellte der
Pastor, dem eine lange Tabakspfeife aus dem Munde
bis fast zur Erde hing, die Frage an ihn, ob er zu rauchen
gewohnt wäre? Als dies Emanuel dann verneint hatte,
sagte er, daß er diesem Laster leider ergeben sei. Es
stand unter Stößen von Büchern eine Kaffeemaschine
auf dem Tisch, mit der der geistliche Herr höchst persön-
lich sich seinen Kaffee bereitete. Er meinte, er lebe hier
gleichsam als Junggeselle, weil ihni das Konimen und
Gehen der Frauenzimmer während der Arbeit störend sei.
Mit solchcn und ahnlichen allgemeinen Bemerkungen
niachte der stattliche, etwa dreißigjährige Mann seine
Einleitung, drehte dabei die Kaffeemaschine um, achtete
auf das Durchsickern des Getränks in die bunte Porzellan-
kanne und goß die dampfende Brühe schließlich in zwei
bereit gestellte Tasscn ein. Er bot Zucker und Sahne
an, trank, wartete, bis Emanuel einige Schlucke getrunken
hatte, zog alsdann die Schnüre seines grauen Schlaf-
rocks fest, kundigen Griffs eine Schleife knüpfend, und
legte sich mit einem „nun also!" behaglich in seinen Lehn-
stuhl zurück und begann eine längere Ansprache.
*) Aus „Der Narr in Christo Emanuel Quint". Roman von
Gerhart Hauptmann. Verlag S. Fisclier, Bcrlin. Volksausgabe,
geh. 3 M„ geb. 3,75 M.
20
klar durch ihn zu erkennen ist. Nur sein leises Knistern
und Krachen hören wir bei manchem Tritt, und dann
und wann geistet an einer freien Stelle etwas herauf:
groß, dunkelhell, in verzitternden Umrissen — von dem
wir nicht sicher wissen, ist es gestaltete Form aus dem
Wesen der Dinge, oder ist's nur unser eigenes Spiegelbild.
Wer einmal dieses Knistern vernommen hat, der
wird die Traurigkeit nicht los, daß unsere logische Analyse
gleich der chemischen am Geheimnis angelangt sei, aber
den Schlüssel der praktischen Chemie verloren habe. Die
Weisheitsliebe ist eine peinliche Denkordnung geworden,
aus der die Weisheit verzweifclt ausbricht, wie es bei
Fripdrich Nietzsche geschah — den die Fachphilosophen
deshalb auch verachtlich den Künstlern zuschoben — und
wie es, weniger leidenschaftlich, in diesem kleinen Buch
von Georg Stammler geschieht. Seine stillen Worte
verniögen sich nicht mit dem vulkanischen Ausbruch des
pathetischen Umwerters zu messen, sie sind neben seinen
Lavablöcken nur Kiesel, die irgendwo am Bach in der
Sonne lagen und aus Freude an ihrer Farbe aufgehoben
wurden. Aber seltsam, die Weisheitsliebe vermag fast
mehr mit ihnen anzufangen als mit den Trümmern
seines Bergsturzes: ihr sind der Ubermensch und die
ewige Wiederkunft zu sehr niit der Qual der Stunde
behaftet, da sie hinausgeschleudert wurden, Scheinwerfer
einer Verzweiflung, die den selben Himmel vergeblich
nach Erlösung absuchten, der sich auf dem blassen Glanz
der Stammlerschen Kiesel ein wenig zu spiegeln scheint.
Damit ist schon gesagt, daß der Sinn und Wert dieser
kleinen Schrift cine glaubige Versenkung von fast evan-
gelischer Einfalt ist; das „so ihr nicht werdet wie die
Kinder" scheint bewußt darin geübt, so sicher halten sich
die Worte auf der Grenze, wo das Denken noch nicht
vom Dichten entfernt ist, wo das Gcfühl und die Ahnung
dem Verstand ihre Meldung bringen. Fast möchte man
sagen, hier sei ein hügeliges Gelande mit Blumen uni
den Quell, seitwarts der Kulturflache strenger Denk-
arbeit gelegen, die im System ihrer gezirkelten Straßen
unendlich die Ebene erfüllt. Auch wer keine Gartner-
karte hat, darf hinein und sich auf dem bunten Rasen-
boden ergehen, den keine Kieswege zerschneiden. Viel-
leicht, daß er ein paar grämliche Gesichter sieht, die aus
den strengen Fächern ihrer Kulturen herüberblicken und
sich an deni sonnigen Himmelsblau zwischen knallweißen
Wolken ärgern, indessen über ihnen noch endlos das
Grau der Ebene hängt.
„Auf das Stille und Unbewegliche in unserer Brust
komnit es an, ob wir wie Ertrinkende im Strom der
Begierden und Geschäftc treiben, oder ob wir gelassen
wie zum täglichen Spiel unsere Hände in sein Wasser
tauchen." Jn diesem schönen Wort Stammlers ist die
idyllische Seite der Weisheit gefaßt und zugleich eine
Kritik der Philosophie als Fachwissenschaft gegeben;
denn wer wagt zu sagen, daß sie in unsere Kultur einen
spürbaren Hauch dessen gebracht habe? Grund und
Iiel des kleinen Werkes aber langen weit über diese
Jdylle hinaus: nicht um idyllische Absonderung handelt
es sich, sondern um Befreiung der Weisheit aus der
Beschränkung des begrifslich sortierenden Jntellekts.
Denn so erbittert die Fachwissenschaft sich wehren mag,
ihre Unzulänglichkeit vor der Weisheit ist eine Ursache
der tiefen Hoffnungslosigkeit, an der wir die moderne
Menschheit trotz ihren babylonischen Türnien der Geistes-
wissenschaften bitter verzweifelt sehen. Nach dem Aber-
glauben fühlt sie sich vom Aberwissen betrogen, sie will
und muß auf einen Lebensboden kommen, wo Glauben
und Wissen in Weisheit einig geworden sind, wo der
„Philosoph zum Seher" und mit dem Gläubigen eins
ini Vertrauen geworden ist.
-I-
*
Es sind nur Andeutungen, die ich von dem Jnhalt
dieser drei Glaubensbücher geben konnte; für ihre Art
müssen die nachstehenden Proben zeugen. Wer meine
Worte als „literarische Empfehlung" auffaßt, der nehme
die Bücher gar nicht zur Hand, denn Genuß im Sinn
der bloßen Literatur bieten sie kaum: Wer aber mit
mir traurig ist an der Verflachung und tiefen Ver-
zweiflung unseres geistigen Lebens, dem werden, des
bin ich sicher, Quellen der Hoffnung daraus rinnen.
Nicht die der reuigen Rückkehr erschütterter Seelen, son-
dern des kühnen Mutes in eine schönere Zukunft, als eü
die Vergangenheit unserer zerrütteten Gegenwart war.
W. Schäfer.
er Narr in Christo*).
Von Gerhart Hauptmann.
Es war gegen vier Uhr nachmittags, als Emanuel
sich nach dem Pastorhaus auf den Weg machte. Die
Mutter hatte ihn, so gut es ging, mit den Stiefeln des
Vaters und einem alten Rock herausgestutzt, den ihr vor
vielen Jahren einmal ein Gastwirt für ihren Mann ge-
schenkt und den sie heimlich aufbewahrt hatte.
Der Pastor empfing Emanuel freundlich. Er sagte,
nachdem die Köchin an die Tür des Studierzimmers mit
den Fingerknöcheln geschlagen hatte, mit lauter gemüt-
licher Stimme: „Nur immer herein" und hieß den Be-
sucher freundlich Platz nehmen. Freilich hatte die Köchin
für diesen Aweck einen besonderen Stuhl bereit gehalten
und schob ihn eilig Emanuel unter. Hierauf stellte der
Pastor, dem eine lange Tabakspfeife aus dem Munde
bis fast zur Erde hing, die Frage an ihn, ob er zu rauchen
gewohnt wäre? Als dies Emanuel dann verneint hatte,
sagte er, daß er diesem Laster leider ergeben sei. Es
stand unter Stößen von Büchern eine Kaffeemaschine
auf dem Tisch, mit der der geistliche Herr höchst persön-
lich sich seinen Kaffee bereitete. Er meinte, er lebe hier
gleichsam als Junggeselle, weil ihni das Konimen und
Gehen der Frauenzimmer während der Arbeit störend sei.
Mit solchcn und ahnlichen allgemeinen Bemerkungen
niachte der stattliche, etwa dreißigjährige Mann seine
Einleitung, drehte dabei die Kaffeemaschine um, achtete
auf das Durchsickern des Getränks in die bunte Porzellan-
kanne und goß die dampfende Brühe schließlich in zwei
bereit gestellte Tasscn ein. Er bot Zucker und Sahne
an, trank, wartete, bis Emanuel einige Schlucke getrunken
hatte, zog alsdann die Schnüre seines grauen Schlaf-
rocks fest, kundigen Griffs eine Schleife knüpfend, und
legte sich mit einem „nun also!" behaglich in seinen Lehn-
stuhl zurück und begann eine längere Ansprache.
*) Aus „Der Narr in Christo Emanuel Quint". Roman von
Gerhart Hauptmann. Verlag S. Fisclier, Bcrlin. Volksausgabe,
geh. 3 M„ geb. 3,75 M.
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