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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 1
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Hauptmann, Gerhart: Der Narr in Christo
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0031

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„Jch glaube doch recht berichtet zu sein," sagte er:
„nicht wahr, Sie sind derselbe Emanuel Quint, der sich
vor einiger Aeit veranlaßt fand, auf dem Markte unsrer
Kreisstadt eine öffentliche Predigt zu halten? Nun gut!
wir leben in einem Staat, innerhalb dessen alles dahin
geordnet ist, daß es nur gewissen, dazu berufenen
Männern, wie mir zum Beispiel, erlaubt ist, das Wort
Gottes zu predigen. Aber ebenfalls keineswegs etwa
auf dem Markt, sondern in den eigens dafür errichteten
Gotteshausern. Nun, ich habe ferner in Erfahrung
gebracht, Sie haben sich gedrungcn gefühlt, Emanuel

— Emanuel ist ein schöner Name und will soviel sagen
als „Gott mit uns!" — also Sie haben sich gedrungen
gefühlt, an verschiedenen Plätzen der böhmisch-preußi-
schen Grenze in unserem Schlesien, sagen wir, wie eine
Anzahl Jhrer Freunde sagen, ein Bekenner zu sein. Jch
stehe nicht ganz auf dem gleichen Standpunkt, den mein
Herr Amtsbruder drüben bei Jhrer ersten Predigt ein-
genommen hat. Jch will den Standpunkt der Polizei-
behörde ebensowenig kritisieren, die für Aufrechterhal-
tung der ösfentlichen Ordnung sorgen muß. Jch weiß
ferner nicht, inwieweit die Behörde Grund hat, Jhnen
kurpfuscherische Tendenzen und Verfehlungen vorzu-
werfen. Man hat Sie vorübergehend in die Kreisirren-
anstalt gebracht und beobachtet. Jch bin ferne davon,
et>va gleich anzunehmen, es sei ein Aeichen von Jrrsinn,
wenn jemand in seiner Deutung des Bibelbuches nicht
gleich durchaus das Rechte zu trefsen vermag. Sie
hatten gewiß die reinsten Absichten.

Jch will Jhnen nun nichts weiter verbergen: Es ist
hier ein Brief an mich gelangt. Sie haben eine hohe
Protektorin. Es ist eine Dame, eine hochgestellte Frau

— hochgestellt insofern, als sie von Adel ist und iin
Besitze von großen Reichtümern, hauptsächlich aber durch
die allgemeinste Verehrung, die sie ihres echt christlichen
Wandels wegen genießt! — Was sagte ich doch? Ja,
diese hochgestellte, sehr einflußreiche Danie, sagte ich,
wünscht Näheres über Sie zu wissen.

Jst Jhnen ein Laienprediger Nathanael Schwarz
bekannt?"

Quint sagte: „Ja!" wahrend sein blasses Antlitz noch
blässer wurde.

„Also dieser Bruder Nathanael," fuhr der Geistliche
fort, indeni er Tabak aus einem Beutel nahm und die
Pfeife stopfte. „... Dieser Bruder Nathanael hat Jhnen
einen gar nicht zu unterschätzenden Dienst geleistet; ihn
wieder haben, wie es scheint, zwei andere Manner dazu
bewegt. Warten Sie mal, hier stehen die Nanien": und
er las mit einiger Mühe die Namen Martin und Anton
Scharf von den Blättern des neben ihm liegenden
Briefes ab.

„So liegen die Dinge also," fuhr der Pastor in seiner
Rede fort, „und ich bin also nun gebeten ivorden, wie
die Danie schreibt, „weil besagter Emanuel doch ein
Schäflein Jhrer Gemeinde ist," in Erfahrung zu bringen,
wie es mit Jhnen beschaffen sei. Jch setze hinzu, daß
mein fernerer Auftrag ist, Sie mit einigem Reisegeld
auszustatten und Sie auf das Gut der Dame zu laden,
was in der Nahe von Freiburg gelegen ist, wenn näm-
lich unsre Besprechung beiderseits befriedigend ausfiele.

Jetzt also bitte ich, sagen Sie mir doch mal, wenn
auch nicht in zwei Worten, aber doch möglichst kurz,

Der Rarr m Christo.

wenn ich bitten darf, worauf Sie eigentlich und im
Grunde hinauswollen."

Lange saß Quint hierauf mit einem leisen, grüble-
rischen Lächeln da und sagte nichts, wobei ihn der Geist-
liche scharf beobachtcte. Er nahm das Aögern für Schüch-
ternheit. „Es ist", begann er Quint zu ermutigen, „be-
greiflicherweise nicht leicht, so aus dem Stegreif gleich
auf die tiefsten Dinge zu kommen. Am Ende wird es
das beste sein, Sie betrachten mich als einen, der anderer
Ansicht ist und den Sie zu sich bekehren wollen."

Es hatte aber um das Haupt des armen Toren in
Christo allbereits wieder wie Flügelrauschen aus reineren
Regionen angehoben, und es strahlte cin innerer Glanz
aus ihm heraus, als er langsam und ruhig den Blick erhob.

„Wenn die Dame, die hochgestellte Dame, von der
Sie zu nnr gesprochen haben, Herr Pastor, Christuni
sucht, so werde ich zu jeder Stunde des Tags und der
Nacht, falls sie danach Verlangen trägt, zu ihr komnien.
Sucht sie mich, so sage ich: sie bedarf meiner nicht, und
ebensowenig bedarf ich ihrer."

Der Pastor, auf den das plötzlich veränderte Wesen
des Menschen, sowie die Gravität seiner Worte unheimlich
wirkte, glaubte im ersten Augenblick, daß Emanuel sich
für Christus hielte und daniit das Urteil ohne weiteres
über ihn schon entschieden sei. Aber Enianuel nahm die
Rede von neuem auf.

„Jch bedarf ihrer nicht," sagte er, „denn ich bin an
Mangel gewöhnt und bedürfnislos. Wessen ich aber
allein bedarf, das ist unser Heiland Jesus Christus. Sie
aber bedarf meiner nicht, denn Ihr seht selbst, was an
mir ist. Jch habe niemals einen Vater gehabt, außer
dem Vater Jesu Christi. Jch bin mit Recht verachtet
gewesen Aeit meines Lebens. Wenn ich es manchmal
bitter empfand, so war es, weil ich mir eitle Dinge an-
gemaßt, mich über den Heiland erhoben habe. Jch sage
dies alles schon ungern aus, kommt es mir doch beinahe
vor wie Ruhmredigkeit. Falls es auch Jhnen so er-
scheint, Herr Pastor, so wird mein Bruder, mein Vater
und meine Mutter ein besseres Bild dessen entwickeln,
was ich eigentlich bin. Also mich braucht die Dame,
von der Sie reden, nicht. Sucht sie Christuni dagegen,
ich suche ihn auch! und die Gemeinschaft des Geistes ist
die Gemeinschaft in Jesu Christo."

„Wenn du aber, niein Sohn," der Pastor duzte
Emanuel plötzlich, „eine so bescheidene Meinung von dir
hast, was durchaus im christlichen Sinne ist, so begreife
ich nicht, wieso du dazu gelangen konntest, aufzutreten
und in einem Lande, das voll von berufenen Dienern
ani Worte ist, als ob es von Gott und Christo verlassen
wäre, gerade das Heil an deine eigene, schwache Person
zu knüpfen. Wer wirklich bescheiden ist, der, scheint niir,
richtet doch nicht auf solche Weise öffentliches Argernis an."

Emanuel sprach: „Herr Pastor, das Kreuz ist leider
in dieser Welt noch immer und überall, wie der Apostel
sagt, ein Argernis. Außerdem bin ich nur bescheiden ini
Hinblick auf mich, nicht aber auf den, der in mir ist."

„Erklare mir, wer ist in dir, mein Sohn?" fragte
hierauf mit Nachdruck der Pastor.

„Der Vater, der mich gezeugt hat," antwortete Quint.

Der Pastor versuchte ruhig zu bleiben. „Du redest
da," sagte er, „etwas außerst Sonderbares, man könnte
fast sagen, Ungeheuerliches, mein lieber Emanuel.

ri
 
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