schen Ballade im gedehnten Tremolando weich ver-
hauchen. Aber dieses Heimwehs, und das ist vielleicht
das Schwerste, müssen wir auch noch Herr zu werden
lernen. Denn auch die letzte Hoch-Aeit der deutschen
Bildung und Gesittung gehört einer Vergangenheit an,
die endgültig und unwiderruflich dahin ist, weil die Ver-
gangenheit von einem ganzen Volk so wenig nochmals
zu durchleben gewünscht werden kann wie von einem
einzelnen. Noch für die schönsten Augenblicke unseres
Lebens hatten wir ja einen Preiö zu zahlen, viel zu teuer,
um ihn wirklich noch einmal hinzugeben. Danken wirs
deshalb der unaufhaltsamen Aeit, daß es für uns vielleicht
mehr noch wie für alle gewesenen Geschlechter nur ein
,Vorwärts^ gibt und daß eben heute alle Schiffe hinter
uns verbrannt sind. Ob dieses Losungswort Vorwärts
demnächst zum Lösungsworte, Erlösungsworte werden
will, hangt von uns allein und niemand sonsten ab.
Ertüchtigt uns der Untergang einer schlechten Welt end-
lich zum Erstreben lebenswerter Dinge, so werden wir
den Kampf um eine der Vorfahren würdige Bildung
damit eröffnen, daß wir uns wieder das höchste Gut
zurückerobern, dessen gebenedeiten Namen unser Mund
auszusprechen je und je verlernt hat. Während dreier
Jahre hat es jetzt ohne Unterbrechung geschmolzenen
Schwefel auf uns herabgeregnet, bis uns das Mark
verdorrte; während dreier Jahre haben wir gebüßt in
Sack und Asche, was wahrlich nicht wir allein verbrochen
hatten; während dreier Jahre haben wir Kot gegessen,
Blut getrunken und höllischen Brodem in Schwaden
geatmet; während dreier Jahre war ein Würgengel wie
unser eigener Strahlenleib aus uns gefahren, um im
verruchten Amoklauf des Mordes nicht einzuhalten.
Nun lockt ein neuer Morgen eine neue Sonne ins Gefild.
Denn in denselben Jahren ist eine Sehnsucht in uns
wach geworden, so vielfach aller vorigen Sehnsüchte
Glut und Jnbrunst übertreffend, wie vielfach unsere
Pein und Qual alle vormalige Pein und Qual übertraf.
Diese Sehnsucht, hoff ich, soll später wieder unser Ant-
litz formen. Gibt es nach dem Erlebnis des Weltgerichtes
nichtS mehr, was uns Furcht einflößen könnte, so gibt
es auch nichts mehr, was uns die Auversicht der Rettung
schmälern dürfte. Unermeßlich wie die Seelenmarter
dieser Jahre wird die Herzensfröhlichkeit der Aukunft
sein müssen, wenn anders wir diesem Elend einen Sinn
verbürgen wollen. Was wird uns also hindern, noch ein-
mal in der Menschheit Namen der Bildner unserer selbst
zu sein und endlich, endlich den Menschen zu erschaffen,
da der Natur bisher nur das Tier gelungen scheint? Jst
es nicht so, daß wir der Welt und uns in diesem Sinne ein
neu Gesicht, will sagen eine neue Bildung schuldig sind?
Der jüngere Gelehrte: Wie innig gerne ich mit
Jhnen hoffe! O Hoffnung! O uneigennützige Vorweg-
nahme belebendster Gewißheit! Aber genug, genug jetzt
dieser aufwühlenden Gespräche, sonst kann ich länger
nicht mehr mit. Jch fühle mich gestärkt, getröstet, und
meine vorige Trübsal ist bereits verflogen. Gehen wir,
wenn's Ihnen recht ist, ein Stündchen noch ins Freie,
teurer Freund. Im Laubgehölz vor Jhrem Fenster
seh ich die Lichter lieblich spielen. Nach meiner Schätzung
sind wir nicht mehr weit vom Abend, und die Fontäne
im Nachbargarten pläschert geschwätzig ihre melodische
Romanze. Auf, gehen wir!
er Wahnsmn des Dichters.
Von Karl Nöttger (Düsseldorf).
Dies ist eins der größten Geheimnisse, wie ein tiefer
Geist ungeheuer, groß und reich leben könne und wie er
doch gleichzeitig vom All-Leben ausgeschlossen erscheinen
könne. Ob hier ein Gedanke eine Lösung des Rätsels
sei, weiß ich nicht, aber ich setze ihn hierher: der tiefe,
umfassende Geist, und das ist immer der Dichtergeist, ist
selbst ungeheure Welt; und es gibt der Welten viele;
darum aber bleibt doch das Sehnen und Rufen von ihm
zu anderen hinüber, herüber. Und so fahren die Sterne
im Raum aneinander vorbei und winken einander zu —
aber die Allheit, die alle umschließt, ist noch frierend,
grausam und kalt, zum Aufheulen.
Wer nicht frieren will, muß in die Behausungen der
Menschen gehn; muß immer suchen, den Stall beizeiten
zu erreichen — den Stall, darin alle Menschenseelen
sich haben einpferchen lassen, seit dem Beginn; immer;
und wie sie es wohl ewig tun werden.
Verständigkeit verlacht oder bemitleidet die Aben-
teurer des Geistes, die draußen der Schönheit der Nächte,
den funkelnden Wundern der Welt nachgehn oder den
Tiefen des Geistes, der zwischen Sternen wie ein leiser
Odem weht. . . Und wenn von einsamen Höhen eine
Seele mit zerbrochenen Schwingen tot niederfällt,
haben sie's alle ja „gewußt", und nicht einer wird sein,
der das halsbrecherische Ende nicht vorausgesehen hätte.
Dies ist das Lied vom Wahnsinn des Dichters.
Eine Geschichte, die recht klingen soll, wird wohl immer
ein Lied sein. Lied oder Ballade. Und es beginnt so:
Die Krähcn schrein,
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
bald wird es schnein;
wohl dcm, der jetzt noch Heimat hat.
Nun stehst du siarr,
schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du, Narr,
vor Winters in die Welt entflohn?
Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dcm Rauche gleich,
der siets nach kältern Himmeln sucht.
Flicg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüsienvogelton!
Dersteck, du Narr,
dcin blutend Herz in Cis und Hohn . . .*)
* *
*
Der Mann, der so im Jahre 1801 in den Winter hin-
auswanderte, in die Fremde, kam sich fast zeitlos schon
vor, und war eben dreißig alt. So hatte er das Leben
schon durchforscht, nicht in Abgeschiedenheit, sondern mit
und in den Menschen, in eigenstem Schicksal, das jeweils
ihm aus jeder Verbindung mit Menschen erwuchs. Ein
*) Das ersie Gedicht ist von Friedrich Niehsche; es wurde ge-
wählt, weil es völlig die Stimmung wiedergibt, auf die es dem
Verfasser ankam. Die andern Verse sind sämtlich von Friedrich
Hölderlin. Soweit Hölderlin wörtlich zitiert wird, stehen An-
führungsstriche; die Ausführungen über die Sprache schließen sich
eng an das an, was Bettine Brentano nach der Erzählung Sin> lairs
übcr dessen Gespräch cnit Hölderlin nicdcrgeschrieben hat (vgl.
Bettines Buch „Die Günderode"); einige Unklarheiten dort fühlte
ich mich nicht berufen, aufzuhellen. K. Röttger.
hauchen. Aber dieses Heimwehs, und das ist vielleicht
das Schwerste, müssen wir auch noch Herr zu werden
lernen. Denn auch die letzte Hoch-Aeit der deutschen
Bildung und Gesittung gehört einer Vergangenheit an,
die endgültig und unwiderruflich dahin ist, weil die Ver-
gangenheit von einem ganzen Volk so wenig nochmals
zu durchleben gewünscht werden kann wie von einem
einzelnen. Noch für die schönsten Augenblicke unseres
Lebens hatten wir ja einen Preiö zu zahlen, viel zu teuer,
um ihn wirklich noch einmal hinzugeben. Danken wirs
deshalb der unaufhaltsamen Aeit, daß es für uns vielleicht
mehr noch wie für alle gewesenen Geschlechter nur ein
,Vorwärts^ gibt und daß eben heute alle Schiffe hinter
uns verbrannt sind. Ob dieses Losungswort Vorwärts
demnächst zum Lösungsworte, Erlösungsworte werden
will, hangt von uns allein und niemand sonsten ab.
Ertüchtigt uns der Untergang einer schlechten Welt end-
lich zum Erstreben lebenswerter Dinge, so werden wir
den Kampf um eine der Vorfahren würdige Bildung
damit eröffnen, daß wir uns wieder das höchste Gut
zurückerobern, dessen gebenedeiten Namen unser Mund
auszusprechen je und je verlernt hat. Während dreier
Jahre hat es jetzt ohne Unterbrechung geschmolzenen
Schwefel auf uns herabgeregnet, bis uns das Mark
verdorrte; während dreier Jahre haben wir gebüßt in
Sack und Asche, was wahrlich nicht wir allein verbrochen
hatten; während dreier Jahre haben wir Kot gegessen,
Blut getrunken und höllischen Brodem in Schwaden
geatmet; während dreier Jahre war ein Würgengel wie
unser eigener Strahlenleib aus uns gefahren, um im
verruchten Amoklauf des Mordes nicht einzuhalten.
Nun lockt ein neuer Morgen eine neue Sonne ins Gefild.
Denn in denselben Jahren ist eine Sehnsucht in uns
wach geworden, so vielfach aller vorigen Sehnsüchte
Glut und Jnbrunst übertreffend, wie vielfach unsere
Pein und Qual alle vormalige Pein und Qual übertraf.
Diese Sehnsucht, hoff ich, soll später wieder unser Ant-
litz formen. Gibt es nach dem Erlebnis des Weltgerichtes
nichtS mehr, was uns Furcht einflößen könnte, so gibt
es auch nichts mehr, was uns die Auversicht der Rettung
schmälern dürfte. Unermeßlich wie die Seelenmarter
dieser Jahre wird die Herzensfröhlichkeit der Aukunft
sein müssen, wenn anders wir diesem Elend einen Sinn
verbürgen wollen. Was wird uns also hindern, noch ein-
mal in der Menschheit Namen der Bildner unserer selbst
zu sein und endlich, endlich den Menschen zu erschaffen,
da der Natur bisher nur das Tier gelungen scheint? Jst
es nicht so, daß wir der Welt und uns in diesem Sinne ein
neu Gesicht, will sagen eine neue Bildung schuldig sind?
Der jüngere Gelehrte: Wie innig gerne ich mit
Jhnen hoffe! O Hoffnung! O uneigennützige Vorweg-
nahme belebendster Gewißheit! Aber genug, genug jetzt
dieser aufwühlenden Gespräche, sonst kann ich länger
nicht mehr mit. Jch fühle mich gestärkt, getröstet, und
meine vorige Trübsal ist bereits verflogen. Gehen wir,
wenn's Ihnen recht ist, ein Stündchen noch ins Freie,
teurer Freund. Im Laubgehölz vor Jhrem Fenster
seh ich die Lichter lieblich spielen. Nach meiner Schätzung
sind wir nicht mehr weit vom Abend, und die Fontäne
im Nachbargarten pläschert geschwätzig ihre melodische
Romanze. Auf, gehen wir!
er Wahnsmn des Dichters.
Von Karl Nöttger (Düsseldorf).
Dies ist eins der größten Geheimnisse, wie ein tiefer
Geist ungeheuer, groß und reich leben könne und wie er
doch gleichzeitig vom All-Leben ausgeschlossen erscheinen
könne. Ob hier ein Gedanke eine Lösung des Rätsels
sei, weiß ich nicht, aber ich setze ihn hierher: der tiefe,
umfassende Geist, und das ist immer der Dichtergeist, ist
selbst ungeheure Welt; und es gibt der Welten viele;
darum aber bleibt doch das Sehnen und Rufen von ihm
zu anderen hinüber, herüber. Und so fahren die Sterne
im Raum aneinander vorbei und winken einander zu —
aber die Allheit, die alle umschließt, ist noch frierend,
grausam und kalt, zum Aufheulen.
Wer nicht frieren will, muß in die Behausungen der
Menschen gehn; muß immer suchen, den Stall beizeiten
zu erreichen — den Stall, darin alle Menschenseelen
sich haben einpferchen lassen, seit dem Beginn; immer;
und wie sie es wohl ewig tun werden.
Verständigkeit verlacht oder bemitleidet die Aben-
teurer des Geistes, die draußen der Schönheit der Nächte,
den funkelnden Wundern der Welt nachgehn oder den
Tiefen des Geistes, der zwischen Sternen wie ein leiser
Odem weht. . . Und wenn von einsamen Höhen eine
Seele mit zerbrochenen Schwingen tot niederfällt,
haben sie's alle ja „gewußt", und nicht einer wird sein,
der das halsbrecherische Ende nicht vorausgesehen hätte.
Dies ist das Lied vom Wahnsinn des Dichters.
Eine Geschichte, die recht klingen soll, wird wohl immer
ein Lied sein. Lied oder Ballade. Und es beginnt so:
Die Krähcn schrein,
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
bald wird es schnein;
wohl dcm, der jetzt noch Heimat hat.
Nun stehst du siarr,
schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du, Narr,
vor Winters in die Welt entflohn?
Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dcm Rauche gleich,
der siets nach kältern Himmeln sucht.
Flicg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüsienvogelton!
Dersteck, du Narr,
dcin blutend Herz in Cis und Hohn . . .*)
* *
*
Der Mann, der so im Jahre 1801 in den Winter hin-
auswanderte, in die Fremde, kam sich fast zeitlos schon
vor, und war eben dreißig alt. So hatte er das Leben
schon durchforscht, nicht in Abgeschiedenheit, sondern mit
und in den Menschen, in eigenstem Schicksal, das jeweils
ihm aus jeder Verbindung mit Menschen erwuchs. Ein
*) Das ersie Gedicht ist von Friedrich Niehsche; es wurde ge-
wählt, weil es völlig die Stimmung wiedergibt, auf die es dem
Verfasser ankam. Die andern Verse sind sämtlich von Friedrich
Hölderlin. Soweit Hölderlin wörtlich zitiert wird, stehen An-
führungsstriche; die Ausführungen über die Sprache schließen sich
eng an das an, was Bettine Brentano nach der Erzählung Sin> lairs
übcr dessen Gespräch cnit Hölderlin nicdcrgeschrieben hat (vgl.
Bettines Buch „Die Günderode"); einige Unklarheiten dort fühlte
ich mich nicht berufen, aufzuhellen. K. Röttger.