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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft7/8
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Ziegler, Leopold: Bildung: ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0210

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Bildung

,GoetheheiU, ,LessingheiU noch in Jahrhundertcn in
ihrer wundervollen Abgerundetheit höher verehren
werden wie Kant, Goethe, Lessing in eigener Person.
Daran lassen Sie uns festhalten und in Aukunft nur den-
jenigen wahrhaft gebildet nennen, der sich in der erwähn-
ten Mannigfaltigkeit als Bildner der Welt, will sagen als
Bildner seiner selbst betatigt: indem er als Stoff zu
seinem menschlichen Aufbau nur verwertet, was er
erstens als Träger allgemeinster Erkenntnisbedingungen
vor der Wahrheit verantworten kann; was er zweitens
als Glied einer Bluts- und Sprachgemeinschaft unwill-
kürlich vor andern bevorzugen muß; und was er endlich
als einzelne Persönlichkeit zu seiner Selbstvollendung un-
bedingt benötigt. Kann er dann ernstlich eines Tages
von sich sagen: ich habe meine Wahrheit, die die Wahrheit
meines Volkes ist und dennoch vor der Vernunft bestehen
kann, so werden wir ihn ohne Iögern den edlen Gestalten
unserer Vorwelt zuzählen, die durch die drei goldenen
Tore in die innere Tempelstadt Sarastros eingezogen
sind, um dort als Menschen, Deutsche und Persönlich-
keiten Bürgerrechte zu genießen.

Der jüngere Gelehrte: So sei es! Fast völlig
haben Sie mich beruhigt, fast völlig zufriedengestellt.
Lachen Sie nicht über mein anmaßliches ,fasV! Es war
nicht schulmeisterlich gemeint. Aber in einem Punkte
möchte ich wirklich etwas aufgeklärter sein. Sie nennen
die Bildung unserer Klassiker — ich hasse dieses alberne
und doch unentbehrliche Wort! — im Gegensatz zur
Bildung der Romantiker allgemeingültig auch vor der
Vernunst, die überalldieselbe ist, und folgern daraus wenn
nicht die Notwendigkeit so doch die Möglichkeit einer
kosmopolitischen AuSwirkung ihrer Bildung. Stoßen
wir aber damit nicht wieder auf eine ähnliche Erscheinung,
wie wir sie beim mittelalterlichen Menschen wahrzu-
nehmen glaubten? Jch möchte dies so ausdrücken . . .
aber nein, es fällt mir einigermaßen schwer zu sagen,
was ich meine, denn es beleidigt eigentlich meinen ein-
gesleischten Protestantismus . . . und dennoch!

Der Schriftsteller: Ah so! Jetzt glaube ich Sie zu
verstehen. Das ist ein sehr glücklicher Einfall, lieber
Freund! Damit helfen Sie einer Wahrheit auf die
Beine, die vielleicht bisher noch nie recht gehen gelernt
hat. Jrre ich nicht, so wollen Sie darauf hinweisen, daß
die kosmopolitische Bedeutsamkeit der damaligen deut-
schen Bildung, mithin jeder erdenklichen Bildung, im
Grunde auf einer ähnlichen Katholizität der Gesinnung
beruht, welche die europäischen Kulturnationen in den
Jahrhunderten des Mittelalters, freilich mit besserem Er-
folg, zur Christenheit geeinigt hatte. Die Bildung der
deutschen Klassiker, wie antikisch sich von fern ihr Falten-
wurf auch ausnehme oder wie protestantisch ihre Hal-
tung sei, — sie stellt sich doch noch einmal in das allum-
spannende ,Katholor/ eines gemeinschaftlichen Geistes,
einer gemeinschaftlichen ,WahrheiU ein. Gerade sie
mit ihrem aufwallenden Enthusiasmus für die Mensch-
heit jauchzt noch einmal auf in der hingerissenen Um-
armung: Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der
ganzen Welt! Und wie seltsam, oder nein, wie tief ver-
traut muß es uns da nicht anmuten, wenn wir eben die-
selben Jünglinge und Männer, die so feurig um die
Freundschaft, um die Freundschast aller Geister werben,
wenn wir sie zum letzten Male in Europa um den Besitz

eines ,höchsten Gutes^ kampfen, die Arme sehnsüchtig
geöffnet nach dem Absoluten ausrecken sehen. Sollte
dieses Ausammentreffen tatsächlich nur einem gedanken-
losen Aufall zu verdanken sein? Oder gedeiht wirkliche
Bildung höchsten Stiles immer nur dort, wo der Vorgang
des Wissens mystisch übersteigert wird zur Aufnahme
eines ontologisch akzentuierten Wahr-Seins? Vereinigt
sich Menschheit nur dann zur Menschlichkeit, wenn sich
ihr gleichzeitig auch die Welt zu einer unbedingten Ganz-
heit rundet? Oder rundet sich umgekehrt die Welt zur
Ganzheit nur für eine wesentlich in sich geeinigte Mensch-
lichkeit? Gewiß; — das erkenntnismäßig gefaßte Ab-
solute ist für die Häupter jener schönen Bildung vor
hundert Jahren kaum mehr dasselbe wie für den mittel-
alterlichen Mystiker oder Scholastiker, und Hegel stellt
sich unter ihm etwas anderes vor als Scotus Eriugena
oder Ruysbroek. Aus der unbeweglichen transzendenten
Substanz des allerwirklichsten Wesens ist das bewegliche
transzendentale Subjekt geworden. Absolut ist nicht mehr
die Dinglichkeit eines bestimmungslosen, weil unendlich
bestimmten Seins, sondern absolut ist die Gesamtheit
aller vom Bewußtsein der geschichtlichen Menschheit
durchlaufenen Erkenntnisphasen, in welcher nachein-
andpr die vorgesundene Gegenständlichkeit des Lebens
in immer neuen Formen der Verarbeitung unserem ge-
meinschaftlichen geistigcn und seelischen Austand ange-
glichen wird. Absolut, könnte man mit einer über-
raschenden, aber wahrheitsgemaßen Wendung sagen,
ist für dieses Aeitalter der höchsten Bildung — die Bildung
selber: nämlich der zeitliche Fortschritt der gegenseitigen
Durchdringung von Person und Sache, von Austand
und Gegenstand, von Jch und Nicht-Jch, von Selbst-
bewußtsein und Wirklichkeit, von Form und Stosf, von
Mensch und Welt, wie ihn die hegelsche Phänomenologie
in seine einzelnen Querschnitte zerlegt und gekennzeich-
net hat. Durch rückhaltlose Hingabe an diesen geschicht-
lichen Ablauf, dessen Aiel eine vollendete Durchdringung
der Subjektivität mit der Objektivität, eine vollendete
Gestaltswerdung des Weltalls in uns, eine Gestalt-
werdung von uns im All gewesen ist, — durch diese Hin-
gabe an die Wahrheit der Totalität war die Totalität
der Wahrheit zu gewinnen und mit ihr die gewünschte
Verbindung des Jch mit dem Absoluten. Jn solch einem
großen und einwandfreien Sinn metaphysischer Onto-
logie sind die Vertreter der damaligen deutschen Bildung
,katholisck/ gewesen. Katholisch freilich außerhalb und
überhalb der Kirche, aber katholisch doch in der fröhlichen
Gewißheit, durch die bewußte Teilnahme am erkenntnis-
mäßig geistigen Geschehen der Welt wiederum jener
Konkomitanz de's Absoluten zu genießen, von der wir
früher mehrmals gesprochen haben. Jm unermüdlichen
Fortschreiten in der Vermenschlichung aller Wirklich-
keiten fanden sie das hohe Glück der Seele noch einmal
wieder, welches das Mittelalter in der wechsellosen Ruhe
seines Gottes gefunden hatte. Und um dieses ihres
Glückes willen befällt uns ein zehrendes Heimweh, wenn
wir, die wir in einer zerbrochenen, in einer verwissen-
schaftlichten Welt ohne Mitte und ohne Aiel, ohne Ruhe
und ohne Bewegung haltlos umgetrieben werden, die
Bücher der Urväter anzublättern uns getrauen. Ein
Heimweh zu uns selbst zurück, unwiderstehlich, überwäl-
tigend, wie wenn die letzten Celloklänge einer schubert-
 
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