Der Wahnsinn des Dichters.
holder Name war ihm zu eigen, fast möcht ich sagen wie ein
Kleid: Friedrich Hölderlin war schlank, das Haupt stand
ein wenig vor, fast daß es schien, er gehe ein wenig ge-
bückt, das Antlitz war lieblich, die Stirn weiß und schön.
Aber er war blaß und die Augen hatten Versunkenes.
Hatten den Blick der Tiefe. Als er den Neckar hinunter-
reiste und noch Frankreich hinein, hatte die Kälte schon
begonnen. Die Höhen, die Bäume in Rauhreifduft und
die Fenster des Wagens überhaucht. Karg, scheu gegen
die Mitreisenden saß er und sann vor sich hin. Niemand
konnte wissen, was innen ihm sang. Das war die Stimme:
mutterlieds süß, aufschluchzend wie Negentropfen zur
Nacht, wie im brausenden Herbstwind steht und bleibt
und schwebt ein Frühlingslied ... So war's. Herbe und
Süße gemischt. Das Weinen saß ihm innen wie eine
Kugel, die wollte nicht zu spritzender Feuchte zer-
platzen. Sie schmerzte nur.
So hatte er in Einsamkeit des Reisens Aeit, sein
Leben zu überdenken — und er tat das. So >daß des
öfteren seine Hände zuckten, daß seine Lippen sich wohl
bewegten und Mitreisende von ihm scheu abrückten,
wenn ihnen der Mann einmal nicht ganz geheuer
vorkam.
Es waren aber meist bloß Verse, die er flüsternd mit
den Lippen bebte, wenn er etwa der Heimkehr gen
Nürtingen gedachte, der schmerzlichen, die er vordem so
anders gedacht:
Froh kehrt der Schiffer heim cm den stillen Strom,
von Jnseln fernher, wenn er geerntet hat;
so käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele wie Leid geerntet.
Noch aber war er dem eigenen gewesenen Leben
nicht so fern, daß es hätte bildhast, klar und wie eine
Geschichte vor seinem innern Blick stehen können. Dazu
war er noch — zu leidend. Und der Leidende fühlt alles
Leiden als Kranksein. So war es denn so, daß sein
Leben vor seinem Auge lag wie ein Trümmerhaufe,
und daß bald auf dem, bald auf jenem Trümmerstück
sein Blick ruhte. Da, die ungefügtesten Trümmerstücke:
der Verrat aller Freunde . . . aller, außer dem einen,
Sinclair. Das tödliche Schweigen aller zu seiner Bitte,
mitzuarbeiten an dem Blatte, daü ein Verleger ihm
drucken wollte und das solchermaßen ihm sein Leben
sichern und ihn bewahren sollte vor der Schmach, in
einen Beruf gehen zu müssen, darin er nur „Göttliches
wie ein Gewerbe" hätte treiben müssen. Und daö un-
gefüge Trümmerstück, das am meisten geschmerzt, das
in ihn geschnitten hatte, das Schweigen des Mannes
seiner Verehrung: Schiller, dessen „liebster Schwabe"
er einst in Jena gewesen sein sollte. Was war all das?
Er fand nichts anderes, denn „Liebeleerheit und das
Herz von Stein" — die furchtbare Trägheit des Herzens
der Menschen, wo es galt, eine Schönheit vor dem
Aertretenwerden zu bewahren.
Jn allem war aber noch eine Verachtung für sich
selber, daß er, der in der Reinheit seines Herzens immer
nur sich verneint hatte, daß er vom Leben immer nur
gebeten, nie gefordert hatte. Flüsternd sprach er vor
sich hin: „Nur in ganzer Kraft ist ganze Liebe — ich habe
mich zu lange mit Täuschungen getragen, die andern
und mir zur Last und vor dem Herrn meines Lebens
und vor meinem Sckutzgeist eine Schande gewesen
sind . . ."
Eines aber war in allen diesen Bildern, die sich gegen-
seitig schmerzhaft drängten, war in dieser zuckenden, zer-
rissenen Vergangenheit ein Trost: der Glanz des Fühlens,
der Glanz eines Leuchtens, das auf jedem Fetzen einer
Stunde, eines Geschehens, eines Bildes lag. Bis in die
bitterste Bitterkeit und Aerschlagenheit hinein ging dieses
Leuchten — und es kam ihm nicht einmal in diesen
Stunden zum Bewußtsein, daß sein Herz, sein Blut,
sein trunkenes Sehnen es war, das einem jeden
Bruchstück des Gewesenen solchen Glanz gab. Bis in die
Bitterkeit war der da. Wie hatte er der Mutter geschrie-
ben, als sie ihm (zum wievielten Male?) eine Pfarr-
stelle — oder war's eine Lehrerstelle, anbot: „Wenn wir
einmal auf dem Sprunge sind, Holz zu spalten oder mit
Stiefelwachs und Pomade zu handeln, dann laßt uns
fragen, ob es nicht etwa noch besser wäre, Repetent in
Tübingen zu werden. Das Stipendium riecht durch
ganz Württemberg und die Pfalz herunter mich an,
wie eine Bahre, worin schon allerlei Gewürm sich regt."
Ha! die Schönheit! Ha, der Mensch, der über sein
Menschentum hinaus gelangt! Ha, das begeisterte,
trunkene Herz! Ha, die göttliche Natur, in der nur
— wie lange schon? — eins noch fehlt, nämlich der Mensch,
der wieder ganz Natur und ganz schön ist; „schenkender
Tugend" voll wie Sonne und Himmel, heroisch wie das
Meer und trunken wie die Frühlings- und Sommer-
nächte. Und in skurriler — wie er meinte — Gedanken-
verbindung fiel ihm hier das Wort des Christ ein: Wer
sind meine Brüder und Schwestern, wer ist meine
Mutter? Die den Willen tun meines Vaters im Himmel.
Den Stolz, den Stolz wollte er von nun an nie mehr
verlieren: daß er verpflichtet sei seiner Sendung, dem
Genius der Schönheit — und wenn er selbst leibhaftig
dabei in Splitter ging: nie ein Amt, nie ein gewerbs-
mäßiger Frommer! Die Liebe zur Mutter und ihrem
engen Denken konnte bleiben; wenn er auch in beginnen-
der Weisheit die unüberbrückbare Kluft zwischen ihr
und sich fühlte.
Mit solchen Stimmungen, solchem Denken Tag an
Tag im Reisewagen, abends im Posthaus, morgens beim
Kaffee — war er schon tief nach Frankreich hineinge-
kommen und hatte es kaum beachtet. Es hatten aber die
Fröste schon stärker begonnen, dazwischen waren graue,
schwere, kurze Tage, an denen der Schnee fiel. Danach
reiste er auf den gefürchteten überschneiten Höhen der
Auvergne im Sturm, in der Wildnis; in eiskalten Tagen,
manchmal auch in eiskalten Nächten. Ein Gefühl war da:
nur weiter, nur weiter! Nur ganz untertauchen in der
Ferne, im Grau des Westens. Nur diese Verbannung
schnell vollenden. Auf daß nicht, auf daß nicht — wie
das Herz auch zucke: das Äuge länger folge, das Auge
aus Heimat und Freundschaft, das Auge einer Liebe,
das Auge seines Traums und seiner Schönheit — Er
fühlte es im Nacken, im Rücken; nur dem entrinnen und
das Herz beschwichtigen. Jn den Wochen dieser kalten
Reise lernte der Dichter mit der sanften Herzenshaut,
lernte der Träumer von Adeltum des Menschen, von Be-
geisterung und Schönheit, der Träumer von großer Liebe,
ein neues Gebet, ein Gebet der Gegenwart: wenn er
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holder Name war ihm zu eigen, fast möcht ich sagen wie ein
Kleid: Friedrich Hölderlin war schlank, das Haupt stand
ein wenig vor, fast daß es schien, er gehe ein wenig ge-
bückt, das Antlitz war lieblich, die Stirn weiß und schön.
Aber er war blaß und die Augen hatten Versunkenes.
Hatten den Blick der Tiefe. Als er den Neckar hinunter-
reiste und noch Frankreich hinein, hatte die Kälte schon
begonnen. Die Höhen, die Bäume in Rauhreifduft und
die Fenster des Wagens überhaucht. Karg, scheu gegen
die Mitreisenden saß er und sann vor sich hin. Niemand
konnte wissen, was innen ihm sang. Das war die Stimme:
mutterlieds süß, aufschluchzend wie Negentropfen zur
Nacht, wie im brausenden Herbstwind steht und bleibt
und schwebt ein Frühlingslied ... So war's. Herbe und
Süße gemischt. Das Weinen saß ihm innen wie eine
Kugel, die wollte nicht zu spritzender Feuchte zer-
platzen. Sie schmerzte nur.
So hatte er in Einsamkeit des Reisens Aeit, sein
Leben zu überdenken — und er tat das. So >daß des
öfteren seine Hände zuckten, daß seine Lippen sich wohl
bewegten und Mitreisende von ihm scheu abrückten,
wenn ihnen der Mann einmal nicht ganz geheuer
vorkam.
Es waren aber meist bloß Verse, die er flüsternd mit
den Lippen bebte, wenn er etwa der Heimkehr gen
Nürtingen gedachte, der schmerzlichen, die er vordem so
anders gedacht:
Froh kehrt der Schiffer heim cm den stillen Strom,
von Jnseln fernher, wenn er geerntet hat;
so käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele wie Leid geerntet.
Noch aber war er dem eigenen gewesenen Leben
nicht so fern, daß es hätte bildhast, klar und wie eine
Geschichte vor seinem innern Blick stehen können. Dazu
war er noch — zu leidend. Und der Leidende fühlt alles
Leiden als Kranksein. So war es denn so, daß sein
Leben vor seinem Auge lag wie ein Trümmerhaufe,
und daß bald auf dem, bald auf jenem Trümmerstück
sein Blick ruhte. Da, die ungefügtesten Trümmerstücke:
der Verrat aller Freunde . . . aller, außer dem einen,
Sinclair. Das tödliche Schweigen aller zu seiner Bitte,
mitzuarbeiten an dem Blatte, daü ein Verleger ihm
drucken wollte und das solchermaßen ihm sein Leben
sichern und ihn bewahren sollte vor der Schmach, in
einen Beruf gehen zu müssen, darin er nur „Göttliches
wie ein Gewerbe" hätte treiben müssen. Und daö un-
gefüge Trümmerstück, das am meisten geschmerzt, das
in ihn geschnitten hatte, das Schweigen des Mannes
seiner Verehrung: Schiller, dessen „liebster Schwabe"
er einst in Jena gewesen sein sollte. Was war all das?
Er fand nichts anderes, denn „Liebeleerheit und das
Herz von Stein" — die furchtbare Trägheit des Herzens
der Menschen, wo es galt, eine Schönheit vor dem
Aertretenwerden zu bewahren.
Jn allem war aber noch eine Verachtung für sich
selber, daß er, der in der Reinheit seines Herzens immer
nur sich verneint hatte, daß er vom Leben immer nur
gebeten, nie gefordert hatte. Flüsternd sprach er vor
sich hin: „Nur in ganzer Kraft ist ganze Liebe — ich habe
mich zu lange mit Täuschungen getragen, die andern
und mir zur Last und vor dem Herrn meines Lebens
und vor meinem Sckutzgeist eine Schande gewesen
sind . . ."
Eines aber war in allen diesen Bildern, die sich gegen-
seitig schmerzhaft drängten, war in dieser zuckenden, zer-
rissenen Vergangenheit ein Trost: der Glanz des Fühlens,
der Glanz eines Leuchtens, das auf jedem Fetzen einer
Stunde, eines Geschehens, eines Bildes lag. Bis in die
bitterste Bitterkeit und Aerschlagenheit hinein ging dieses
Leuchten — und es kam ihm nicht einmal in diesen
Stunden zum Bewußtsein, daß sein Herz, sein Blut,
sein trunkenes Sehnen es war, das einem jeden
Bruchstück des Gewesenen solchen Glanz gab. Bis in die
Bitterkeit war der da. Wie hatte er der Mutter geschrie-
ben, als sie ihm (zum wievielten Male?) eine Pfarr-
stelle — oder war's eine Lehrerstelle, anbot: „Wenn wir
einmal auf dem Sprunge sind, Holz zu spalten oder mit
Stiefelwachs und Pomade zu handeln, dann laßt uns
fragen, ob es nicht etwa noch besser wäre, Repetent in
Tübingen zu werden. Das Stipendium riecht durch
ganz Württemberg und die Pfalz herunter mich an,
wie eine Bahre, worin schon allerlei Gewürm sich regt."
Ha! die Schönheit! Ha, der Mensch, der über sein
Menschentum hinaus gelangt! Ha, das begeisterte,
trunkene Herz! Ha, die göttliche Natur, in der nur
— wie lange schon? — eins noch fehlt, nämlich der Mensch,
der wieder ganz Natur und ganz schön ist; „schenkender
Tugend" voll wie Sonne und Himmel, heroisch wie das
Meer und trunken wie die Frühlings- und Sommer-
nächte. Und in skurriler — wie er meinte — Gedanken-
verbindung fiel ihm hier das Wort des Christ ein: Wer
sind meine Brüder und Schwestern, wer ist meine
Mutter? Die den Willen tun meines Vaters im Himmel.
Den Stolz, den Stolz wollte er von nun an nie mehr
verlieren: daß er verpflichtet sei seiner Sendung, dem
Genius der Schönheit — und wenn er selbst leibhaftig
dabei in Splitter ging: nie ein Amt, nie ein gewerbs-
mäßiger Frommer! Die Liebe zur Mutter und ihrem
engen Denken konnte bleiben; wenn er auch in beginnen-
der Weisheit die unüberbrückbare Kluft zwischen ihr
und sich fühlte.
Mit solchen Stimmungen, solchem Denken Tag an
Tag im Reisewagen, abends im Posthaus, morgens beim
Kaffee — war er schon tief nach Frankreich hineinge-
kommen und hatte es kaum beachtet. Es hatten aber die
Fröste schon stärker begonnen, dazwischen waren graue,
schwere, kurze Tage, an denen der Schnee fiel. Danach
reiste er auf den gefürchteten überschneiten Höhen der
Auvergne im Sturm, in der Wildnis; in eiskalten Tagen,
manchmal auch in eiskalten Nächten. Ein Gefühl war da:
nur weiter, nur weiter! Nur ganz untertauchen in der
Ferne, im Grau des Westens. Nur diese Verbannung
schnell vollenden. Auf daß nicht, auf daß nicht — wie
das Herz auch zucke: das Äuge länger folge, das Auge
aus Heimat und Freundschaft, das Auge einer Liebe,
das Auge seines Traums und seiner Schönheit — Er
fühlte es im Nacken, im Rücken; nur dem entrinnen und
das Herz beschwichtigen. Jn den Wochen dieser kalten
Reise lernte der Dichter mit der sanften Herzenshaut,
lernte der Träumer von Adeltum des Menschen, von Be-
geisterung und Schönheit, der Träumer von großer Liebe,
ein neues Gebet, ein Gebet der Gegenwart: wenn er
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