Das Ewige und der Mensch.
wie alle unperspektivische Stosslichkeit im letzten Grunde
wesenlos sind. Sie wollen die Wahrheit recht fest in
Händen haben; in diesem Bestreben zerdrücken sie den
Mythus zur Begebenheit, das Symbol zur Formel.
*
Die Welt ist unendlich, auch im dynamischen Sinne.
Das heißt nicht, sie ist gesetzlos, aber sie ist übergesetzlich.
Verstehs, wer ihr darinNen gleich ist! So wie wir die
„Gesetze" angreisen, werden sie immer einen Riß haben.
*
Die Wahrheit ist keine Sache des Verstandes, sondern
des Menschen; darum kann man sie nur mit dem Wcsen
ergreifen. Und darum ist auch der Weg zu ihr kein
logisches Beweisstück, sondern ein starkes, dunkelhelles
Spiel, das den ganzen Himmel umfaßt und das den
ganzen Menschen fordert. Je reiner er sich diesem
Spiele hingibt, desto tiefer reißt es ihn in die Klarheit fort.
*
Das Ganze des Lebens können wir uns nur seherisch
vorstellen — in den Augenblicken, da uns wieder die
Engel auf die Erde steigen und da uns alles Feste schwe-
bend und durchsichtig zu werden beginnt; in den Augen-
blicken unserer innersten Lösung. Darum sollen wir
auch in anderen Augenblicken nicht davon reden.
H^ber die Voraussetzungen des
Expressionismns.
Die Entstehung des Erpressionismus als einer Schul-
richtung in der modernen Kunst hat zur Voraussetzung
einige Geistes- und Seeleneigenschaften der modernen
Psyche, welche man sich einmal deutlich machen muß,
um zum Kerne des Erpressionismus vorzudringen.
Diese Voraussetzungen sind von verschiedener Art:
eine seelische Disposition verbindet sich mit einer geistigen
Haltung unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingun-
gen, um das merkwürdige Produkt „Erpressionismus" zu
bilden. Jede verfeinerte und differenzierte Kultur gelangt
einmal an den Punkt ihrer Entwicklung, wo der Gegensatz
zur Natur so stark gefühlt wird, daß die Naivitat des Na-
türlichen, stärker noch: die Primitivität als ein Wert
schlechthin und als solcher erstrebenswert erscheint. Diese
llbersteigerung der Sehnsucht des überfeinerten Kultur-
menschen nach einfachster Empfindung, nach Primttivität
ist die seelische Voraussetzung des Erpressionismus.
Jn den guten, kulturell gefestigten Aeiten hat die
Sehnsucht nach irgendeinem Wert nur soviel an Gel-
tung gewonnen, als sie sich in sichtbare Leistung umzu-
setzen wußte. Die bloße Sehnsucht ist gestaltlos und
vergeht deshalb, ohne eigentlich Spuren zurückzulassen.
Nachdem aber der Jndividualismus, d. h. die Wertung
des Jndividuums einfach uni seines Daseins, nicht um
der in ihm realisierten Werte willen entfessclt war,
wurde unterschiedslos jede Außerung des Jndividuums
als wertvoll empfunden. Man kann sich das Gesagte
verdeutlichen, wenn man daran denkt, daß Kant noch
das Genie definiert hatte als „die angeborene Gemüts-
anlage (inAenium), durch welche die Natur der Kunst
die Negel gibt". Schon die nächste Generation der Ro-
mantiker bog diesen Geniebegriff Kants individualistisch
um: im Begriffe der „romantischen Jronie" steckt die
Vorstellung, daß das schöpferische Jndividuum alle
Regeln und Schranken mit Füßen treten und verachten
darf. Da es nun aber immer und zu allen Aeiten wenig
schöpferische Jndividuen gab, da aber jeder Literat
sich als ein schöpferisches Jndividuum vorkommt, da
endlich im Gegensatz zu dieser Theorie jeder schöpfe-
rische Mensch sich seiner Schranken bewußt ist und sreudig
und freiwillig Gesetze anerkennt, denen er in Freiheit
dient, so war diese romantischeJronie eine verhängnis-
volle Umbiegung des Geniebegriffs: die Freiheit des
Genies, als des Mediums der gestaltenden, unerschöpf-
lichen Natur, wie Kant sie verstanden hatte, war zur
Auchtlosigkeit und Willkür des Literaten umgedeutet
worden. So wurde jede Äußerung des Jndividuums
sozusagen geheiligt; man verlangte nicht mehr Äuße-
rungen des gereinigten, auf sein Wesentliches konzen-
trierten Jndividuums, als welches man Persönlichkeit
zu nennen pflegt, sondern man begnügte sich mit den
Darbietungen des zufälligen, sehr bedingten und im
Grunde belanglosen Jndividuums. Jn der Anerkennung
des bloßen subjektiven Bekenntnisses und in der An-
nahme, daß das Aussprechen des Jndividuellen schon
Wert habe, sehen wir die geistigen Vorbedin-
gungen des Erprcssionismus: das ungeläuterte Jndivi-
duum triumphiert über die Persönlichkeit und man
erweist jencm die Ehren, welche nur der durch Zucht
geläuterten, von Jdeen getragenen Persönlichkeit mit
Recht zukommen.
Wir niüssen endlich noch einer gesellschaftlichen
Voraussetzung gedenken, die ßür die Entstehung und
Eristenzmöglichkeit des Erpressionismus als einer Schule
vonWichtigkeitist.DieAerklüftungundSonderungunserer
Gesellschaft ist soweit fortgeschritten, daß die Literatur-
und Kunsispezialisten zahlreich genug sind, um eine Kunst
und eine Literatur zu ermöglichen, welche nur auf
„Aünftige" als Auschauer und Auhörer reflektiert. Die
Literaten- und Bohßmekreise haben aus sich heraus
eine ihnen eigene „Kultur" des Malens und Dichtens
usw. hervorgebracht, welche im wesentlichen nur in den
Kreisen der Kunstspezialisten bekannt wird und welche
ihrer Natur nach nicht niehr auf das Volk als Ganzes
(auch nicht einmal derJdee nach!) wirken will, sondern rei-
nes Spezialistenprodukt fürSpezialisten ist.
Jn diesen „Kreisen" und „Airkeln" nun spielt sich ein eigen-
tümliches Leben ab, von dem man in den verachteten
„weiteren Kreisen" nichts weiß: Genies tauchen auf und
bilden Gemeinden, Systeme werden erschaffen und dis-
kutiert, Kunstrichtungen entstehen und blühen auf,
Kulturströmungen und Kultürchen leben kurze Zeit:
kurz, es treten alle diejenigen Erscheinungen aus, welche
immer dann entstehen, wenn ein Glied des Körpers sich
vom ganzen Organismus absondert: kurze Hypertrophie
und rascher Verfall treten ein. Gemäß dem Wesensgesetz
dicser dcm Leben fernen Literatenkreise werden die
Jdeen der Zeit in ihncn ins Groteske verzerrt, über-
trieben und durch diese Ubertreibung rasch abgenutzt
und verbraucht. Als nun uni 1900 der JmpressioniSmus
die Höhe seiner Entwicklung überschritten hatte, rührte
sich in einer ganzen Generation der Drang, nach neuen
Aielen zu streben. Ein neues Suchen nach Stil entstand,
Vorschläge und Systeme wurden erdacht; endlich traten
auch schöpferische Nienschen (in der Malerei etwa Hodler,
wie alle unperspektivische Stosslichkeit im letzten Grunde
wesenlos sind. Sie wollen die Wahrheit recht fest in
Händen haben; in diesem Bestreben zerdrücken sie den
Mythus zur Begebenheit, das Symbol zur Formel.
*
Die Welt ist unendlich, auch im dynamischen Sinne.
Das heißt nicht, sie ist gesetzlos, aber sie ist übergesetzlich.
Verstehs, wer ihr darinNen gleich ist! So wie wir die
„Gesetze" angreisen, werden sie immer einen Riß haben.
*
Die Wahrheit ist keine Sache des Verstandes, sondern
des Menschen; darum kann man sie nur mit dem Wcsen
ergreifen. Und darum ist auch der Weg zu ihr kein
logisches Beweisstück, sondern ein starkes, dunkelhelles
Spiel, das den ganzen Himmel umfaßt und das den
ganzen Menschen fordert. Je reiner er sich diesem
Spiele hingibt, desto tiefer reißt es ihn in die Klarheit fort.
*
Das Ganze des Lebens können wir uns nur seherisch
vorstellen — in den Augenblicken, da uns wieder die
Engel auf die Erde steigen und da uns alles Feste schwe-
bend und durchsichtig zu werden beginnt; in den Augen-
blicken unserer innersten Lösung. Darum sollen wir
auch in anderen Augenblicken nicht davon reden.
H^ber die Voraussetzungen des
Expressionismns.
Die Entstehung des Erpressionismus als einer Schul-
richtung in der modernen Kunst hat zur Voraussetzung
einige Geistes- und Seeleneigenschaften der modernen
Psyche, welche man sich einmal deutlich machen muß,
um zum Kerne des Erpressionismus vorzudringen.
Diese Voraussetzungen sind von verschiedener Art:
eine seelische Disposition verbindet sich mit einer geistigen
Haltung unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingun-
gen, um das merkwürdige Produkt „Erpressionismus" zu
bilden. Jede verfeinerte und differenzierte Kultur gelangt
einmal an den Punkt ihrer Entwicklung, wo der Gegensatz
zur Natur so stark gefühlt wird, daß die Naivitat des Na-
türlichen, stärker noch: die Primitivität als ein Wert
schlechthin und als solcher erstrebenswert erscheint. Diese
llbersteigerung der Sehnsucht des überfeinerten Kultur-
menschen nach einfachster Empfindung, nach Primttivität
ist die seelische Voraussetzung des Erpressionismus.
Jn den guten, kulturell gefestigten Aeiten hat die
Sehnsucht nach irgendeinem Wert nur soviel an Gel-
tung gewonnen, als sie sich in sichtbare Leistung umzu-
setzen wußte. Die bloße Sehnsucht ist gestaltlos und
vergeht deshalb, ohne eigentlich Spuren zurückzulassen.
Nachdem aber der Jndividualismus, d. h. die Wertung
des Jndividuums einfach uni seines Daseins, nicht um
der in ihm realisierten Werte willen entfessclt war,
wurde unterschiedslos jede Außerung des Jndividuums
als wertvoll empfunden. Man kann sich das Gesagte
verdeutlichen, wenn man daran denkt, daß Kant noch
das Genie definiert hatte als „die angeborene Gemüts-
anlage (inAenium), durch welche die Natur der Kunst
die Negel gibt". Schon die nächste Generation der Ro-
mantiker bog diesen Geniebegriff Kants individualistisch
um: im Begriffe der „romantischen Jronie" steckt die
Vorstellung, daß das schöpferische Jndividuum alle
Regeln und Schranken mit Füßen treten und verachten
darf. Da es nun aber immer und zu allen Aeiten wenig
schöpferische Jndividuen gab, da aber jeder Literat
sich als ein schöpferisches Jndividuum vorkommt, da
endlich im Gegensatz zu dieser Theorie jeder schöpfe-
rische Mensch sich seiner Schranken bewußt ist und sreudig
und freiwillig Gesetze anerkennt, denen er in Freiheit
dient, so war diese romantischeJronie eine verhängnis-
volle Umbiegung des Geniebegriffs: die Freiheit des
Genies, als des Mediums der gestaltenden, unerschöpf-
lichen Natur, wie Kant sie verstanden hatte, war zur
Auchtlosigkeit und Willkür des Literaten umgedeutet
worden. So wurde jede Äußerung des Jndividuums
sozusagen geheiligt; man verlangte nicht mehr Äuße-
rungen des gereinigten, auf sein Wesentliches konzen-
trierten Jndividuums, als welches man Persönlichkeit
zu nennen pflegt, sondern man begnügte sich mit den
Darbietungen des zufälligen, sehr bedingten und im
Grunde belanglosen Jndividuums. Jn der Anerkennung
des bloßen subjektiven Bekenntnisses und in der An-
nahme, daß das Aussprechen des Jndividuellen schon
Wert habe, sehen wir die geistigen Vorbedin-
gungen des Erprcssionismus: das ungeläuterte Jndivi-
duum triumphiert über die Persönlichkeit und man
erweist jencm die Ehren, welche nur der durch Zucht
geläuterten, von Jdeen getragenen Persönlichkeit mit
Recht zukommen.
Wir niüssen endlich noch einer gesellschaftlichen
Voraussetzung gedenken, die ßür die Entstehung und
Eristenzmöglichkeit des Erpressionismus als einer Schule
vonWichtigkeitist.DieAerklüftungundSonderungunserer
Gesellschaft ist soweit fortgeschritten, daß die Literatur-
und Kunsispezialisten zahlreich genug sind, um eine Kunst
und eine Literatur zu ermöglichen, welche nur auf
„Aünftige" als Auschauer und Auhörer reflektiert. Die
Literaten- und Bohßmekreise haben aus sich heraus
eine ihnen eigene „Kultur" des Malens und Dichtens
usw. hervorgebracht, welche im wesentlichen nur in den
Kreisen der Kunstspezialisten bekannt wird und welche
ihrer Natur nach nicht niehr auf das Volk als Ganzes
(auch nicht einmal derJdee nach!) wirken will, sondern rei-
nes Spezialistenprodukt fürSpezialisten ist.
Jn diesen „Kreisen" und „Airkeln" nun spielt sich ein eigen-
tümliches Leben ab, von dem man in den verachteten
„weiteren Kreisen" nichts weiß: Genies tauchen auf und
bilden Gemeinden, Systeme werden erschaffen und dis-
kutiert, Kunstrichtungen entstehen und blühen auf,
Kulturströmungen und Kultürchen leben kurze Zeit:
kurz, es treten alle diejenigen Erscheinungen aus, welche
immer dann entstehen, wenn ein Glied des Körpers sich
vom ganzen Organismus absondert: kurze Hypertrophie
und rascher Verfall treten ein. Gemäß dem Wesensgesetz
dicser dcm Leben fernen Literatenkreise werden die
Jdeen der Zeit in ihncn ins Groteske verzerrt, über-
trieben und durch diese Ubertreibung rasch abgenutzt
und verbraucht. Als nun uni 1900 der JmpressioniSmus
die Höhe seiner Entwicklung überschritten hatte, rührte
sich in einer ganzen Generation der Drang, nach neuen
Aielen zu streben. Ein neues Suchen nach Stil entstand,
Vorschläge und Systeme wurden erdacht; endlich traten
auch schöpferische Nienschen (in der Malerei etwa Hodler,