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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 1
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Mahrholz, Werner: Über die Voraussetzungen des Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0042

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Übn' die Vormlssehungen des Exprossionismus.

van Gogh, Gauguin) hervor und sofort bemächtigten
sich die Literatenkreise dieser ueuen Jdeen und verzerrten
sie ins Groteske, Ubertriebene, Vernunftwidrige und
Regellose.

An diesenr Punkt der Entwicklung stehen wir heut:
der Primitivismus, der Genialisnius rcnd das Lite-
ratcntum sind die drei Voraussetzungen zur Entstehung
und Verbreitung des Erpressionismus. Die Sehnsucht
nach Einfachheit und Natur übersteigerte sich zum Kultus
der reinen, gestaltlosen Empfindung; die Freiheit des
Genius wurde als Auchtlosigkeit gedeutet und das Lite-
ratentum gebärdete sich als eine Horde von Genies; die
Tatsache der Eristcnz einer zahlreichen und verbreiteten
Bohßme endlich ermöglichte den Bestand dieses geniali-
schen und priniitivistischen Treibens und so vergröberten
sich die richtigen Ieitideen in diesen freischwebenden,
vom Gesamtleben des Volkes abgeschnittenen Kreisen zu
Grotesken und Karikaturen.

Es finden zurzeit in München zwei AuSstellungen
statt, an welchen man die Wahrheit dieser Ausführungen
sich vergegenwärtigen kann. Die IV. deutsche Erpressio-
nisten-Ausstellung bei Goltz zeugt von einem naiven
Kultus des Jndividuums ats Genies, welcher besonders
in dem Fall der Karikaturen von Frau Else Lasker-
Schüler (je nach dem Standpunkt des Betrachters)
lächerliche oder empörende Auswüchse zeitigt. Bei fast
allen Bildern hat man den Eindruck einer gewaltsam
gewollten Naivität (als welches der größte Selbstwider-
spruch ist, den man sich denken kann), einer Jmpotenz,
die sich genial gebä'rdet (was peinlich zu sehen ist), einer

Verachtung deö Publikums >md der Vernunft (die bei-
nahe schamloü zu nennen ist).

Etwas komplizierter ist der Fall Franz Marc. Dic
Gedächtnisausstellung zeigt seine Entwicklung sehr klar:
Vom Jmpressionismus in der strengen Art van Goghs
gelangt er über dekorative Malereien zum schulmäßigen
Erpressionismus. Jn seiner impressionistischen Ieit sind
Marc zarte, lyrische Bilder gelungen, tvie das Bild
des Rehs im Walde beweist; die dekorative Periode zeigt
die Entfaltung des KünstlerwesenS Marcs: die Esel
etwa oder die Affen sind sehr reif in der Empsindung
und als bildnerische Auspragungen seines Ta/ents voll-
ständig bewältigt. Dann aber, so hat man das Gefühl,
wußte der Künstler nicht weiter und stürzte sich in das
uferlose Meer der reinen Empfindung, die er für Primi-
tivität gehalten zu haben scheint. Jn dieser letzten Ieit
malte Marc sehr große Bilder, in denen allerhand starre
Formen in grellen Farben sich in einem chaotischen
Hin und Her auf der Bildfläche bewegen. Aum Orna-
ment fehlt es an klarer Durchbildung der Formen und
als malerische Außerungen sind diese Bilder zu vernunft-
los, so daß man nicht ohne Bedauern sieht, wie eine
ursprünglich echte Begabung sich in dem Chaos der
Empfindungen verliert, weil sie mehr den Reflerionen
eines zergliedernden Verstandes und einer übersteigerten
Empfindungsseligkeit, als den Eingebungen der gestal-
tenden Vernunft vertraut, welche im Dienste des Kunst-
werkes Empfindung, Phantasie, Verstand, Konstruktion,
Berechnung und Gefühl, jedes an seiner Stelle, zu ver-
wenden weiß. (672) Or. Werner Mahrholz.

riegergrab und Heldenehrung.

Darf ma>n ohne sich der Mißdeutung auszusehen, sagen, daß
allmählich doch wohl etwas reickilich viel auf diesem Gcbiete ge-
schieht? Nicht in den tatsächlichen Leistnngen: die paar Neu-
schöpfungen, bie sich sehen lassen können, sind bald aufgezähly —
die Kriegergrab-Wettbewerbe aber, die tausend Veröffentlichungen,
Vorträge, Tagungen, knrz das ganz« Drum und Dran erinnert
doch recht fatal an die nun, Kott sei Dank, wieder ctwas vcrebbte
Nagelungswnt. Der Nagelei war zwar manches an Änßerlichkeiten,
selbst an Geschmacklosigkcit nnd Albernheit nachznsehen: galt es
doch, eine gewisse in die Breite greifcnde Opfersrendigkcit wacb-
zurufen, was schließlich ohne jahrmarktähnlichen Rummel nicht
ganz gut möglich wnr. Unsere „Heldenehrnng" indessen ist doch
wohl eine zu ernste Sache, als daß wir sie durch die gleiche Brcit-
treterei und Veräußerlichung uns verleiden lassen dürfen. Etwas
weniger wäre auch hier wieder einmal mehr. Ie weiter die Jdee,
es dürfe „nicbt wieder zu solchen Geschmacklosigkeiten wie nach
1870" kommen, in die Breite getragen wird, um so flacher wird
sie aufgefaßt und weitergetragen. Bei einem der ersten Krieger-
grabzeicben-Wettbewerbe in einer süddcutschen Stadt erlangte den
ersten Preis eine Arbeit mit deni Kennwort „Drei Kreuzlein
nm Wcge". Gcwiß cbenso sinnig wie schwächlicb! Solcher Fad-
hcit gegenüber hatte der „Humor" des andercn Preisträgers, der
scinen gefallenen Helden laut Grabinschrift „Russen-Karle" oder
ähnlich taufte, sogar noch etwas Erfrischendes. Das sind kleine,
aber doch recht bezeichnende Aüge für die Auffassung, mit der
heute vielfach die Sache betrieben wird.

Freilich — wie es besser zu machen sei, ist schwer zu sagew
wenn nicht der einfachstc Weg, nämlich die ganze Frage vorderhand
überhaupt auf sich beruhen zu lassen, auch eine Lösung und vielleicbt
sogar die bestc ist. Laßt doch erst einmnl wieder Friede sein und die
draußen im Feld wieder die Möglicbkeit gcwinnen, aucb mitzu-
schaffen! Scbließlich sind doch gerade sie die Allernächsten dazn,
das Gedenken der Gefallenen wahren zu helfen. Sie werden am
ehesten Sinn und Kraft besiHen, Würdiges zu gestalten. Die besten
unserer Jungen sind in strenger Scbule. Sie haben das Herbe des
Kampfes erfahren, sie haben die Crkenntnis der Winzigkeit des
einzelnen Blutopfers in seiner ganzen niedcrdrückcnden Scbwere
voll empfunden. Held Namenlos >var ihr Kamerad!

Statt also dic voreilige Betriebsamkeit geschäftsgewandter
Daheimgeblicbener noch zu ermuntern, tue man der Bewegung
liebcr einigen Einbalt und verwcise den Schwarm auf den Frieden
nnd auf bessere Ieiten! Bis dahin wird sich mancbes klären. Und
wenn dann, wie wohl zu erwarten ist, über den kommenden lukra-
tiveren Gescbäften des Friedens das Jnteressc an der „Helden-
ehrung" auch etwas abgeflaut sein sollte und statt so manchem
„Heldenhain" auch nnr ein schjichter Baumplah, statt der halb
rönnsch, halb germanisch aufgepuhten „Heldenstcinc" einfacbe
Denkmäler entstehen dürften, so wäre das docb kcine Schande und
böte uns nur die Genugtuung, daß das Gescbaffene unserer wahren
Gesinnung cntspräche, deren bester Teil scbließlicb in der Ver-
innerlicbung des Gedenkens bestehen muß und darin, wie wir
das von unseren Gefallenen behütete, neu gewonnene und uns
übererbte Gnt cines freien Vaterlandes zu nuhen wissen. (662)

I°st-

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zandcrs, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Cclle lHannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskriptc und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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