Otto Stoessl.
sammenhang alles Menschlichen untereinander, welche
Einsicht und Wahrheit ihm die kosmische Ruhe und das
gütige Vertrauen zum Menschenwesen gibt, in jener
schönen Besinnung der jungen Frau Elisabeth ausge-
deutet, welche diese angesichts der Familienbetten ihrer
Großeltern und Eltern, nun ihrer eigenen Ehebetten hat:
„Elisabeth ließ keine Lampe bringen, sondern beim
Schein des Feuers die Betten machen. Diese standen groß-
mächtig inmitten der Stube, schön geschweifte, braun
polierte Nußholzstätten, zu deren jeder vielleicht ein
starker Baum sein Jnnerstes hatte darbringen müssen,
als der Tischler die Lager richtete. Jn schönen dunkleren
und helleren Streifen waren die Borde gesladert, ohne
Fehl, noch heute standen diese Betten da, die nunmehr
schon die dritte Generation beherbergen sollten. Sie
hatten viele Frühjahre und Winter überdauert und
manche junge Kraft, manches kränkliche Alter geborgen.
Jn diesen Betten hatte ihr Großvater neben seiner ersten
Frau gelegen. Hier war ihr Vater geboren worden und
seine zarte Mutter hatte auf dem breiten weichen Lager
mit dem Tode gerungen. Jn diesen Betten hatte auch
ihr Vater und ihre liebe Mutter geruht, an der Seite
des links stehenden war ihre Wiege gewesen, die, auch aus
Nußholz gezimmert, noch heute auf demDachboden war-
tete, bis vielleicht wieder ein Kind in sie gelegt werden
sollte. Jn diesen Betten würde nun auch sie mit ihrem
Manne sein. Dies gesunde Holz überlebt in seiner glatten,
glänzenden, wohlgefügten Dauerhaftigkeit Menschen-
kraft, Glück, Leid, Geburt und Tod." („Hinter Mauern",
S. 171/72.)
Das also wahrt den abenteuernden Romantiker vor
Fahrigkeit und Aerfall: daß er die Dauer kennt und den
Ring des Lebens sich schließen gesehen hat. Das wiederum
gibt dem dauerhaften Dasein seinen Goldglanz und
seine höhere Bedeutung, daß über die Grundfesten der
Eristenz die goldigen Lichter des Abenteuers hinspielen.
Und so, in diesem Widerspiel von Iufall und Bestim-
mung, von Abenteuer und dauernder Eristenz, von Laune
und Ernst, von Wagemut und Vorsicht lebt und webt der
Humorist Stoessl, indem er bald an die Grundlagen alles
Menschendaseins rührt, bald heiter abenteuerliche Schick-
sale wie leichte, schwanke Seifenblasen an sich vorüber-
ziehen läßt, und so, in diesem Widerspiel von Sinn
und Chaos enthüllt sich vor seinem gütigen Lächeln das
Leben als jenes seltsame Gewirr von Unbestimmtheit
und Härte, von Lust und Leid, das sich lieben läßt, indem
man ihm gütig und weltoffen naht, und das zurückstößt,
wenn man es rauh anfaßt und weint, statt zu tanzen
und zu lächeln.
2.
Wir erkannten als die Elemente von Stoessls Dich-
tung eine Romantik, die sich dem unpoetischen Gegen-
wartsdasein auf den Schleichwegen des Abenteuers zu
entziehen sucht, und eine Vernünftigkeit, welche
sich der inneren Ziel- und Awecklosigkeit dieser aben-
teuernden Flucht wohl bewußt ist und welche zugleich
doch den inneren Sinn auch des verwegensten und ziel-
losesten Abenteuers in dem weiten Kreise des solidarischen
Menschengewebes aufzuzeigen imstande und gewillt ist.
Die liebende und vertrauende, dabei vernünftig-über-
legene Haltung dem Schauspiel Welt gegenüber ist end-
lich die Quelle der humoristischen Weltbetrachtung,
welche ihm die innere Freiheit der epischen Betrachtung
ermöglicht. So ist das Abenteuer dem Dichter die
eigentliche Befreiung von der unpoetischen Oede der-
modernen Eristenz, eine Befreiung, die er liebt und
doch zugleich wegen ihrer Leichtigkeit, Unschwere und
Aiellosigkeit belächeln muß. Die Romantik neben dem
bürgerlichen Leben, das Abenteuer im Rahmen der
Gesellschaft, die Eristenzen an ihrer Peripherie — das
sind die Themata all seiner Schriften, und die gütige,
liebevoll-lächelnde, ironisch-überlegene Behandlungs- und
Darstellungsweise erhebt diese Typen und Schicksale,
dieses Suchen nach dem Abenteuer in allen Variationen
zu den freien Schöpfungen eines episch-humoristischen
Stils.
Wir gedenken nun, ehe wir die Einzelzüge des Stils,
als des Kunstausdrucks von Stoessls Lebensgefühl, um-
schreiben, den Umkreis der Werke an der Hand der Ent-
wicklung Stoessls zu durchlaufen und wir werden dabei
sehen, wie das Abenteuer, erst subjektiv-lyrisch als Be-
kenntnis, dann objektiv-episch als Schicksal und Typus all
seinen Reichtum, seinen Glanz und seine Leichtigkeit in
den Schöpfungen des Dichters entfaltet.
Stoessl wurde in Wien 1875 als Sohn eines Arztes
geboren; seine Kindheit war nicht eben heiter; er stand
früh abseits, war früh wissend, weil früh leidend (nach
einem schönen Ausdruck des Dichters); so wurde er früh
zu einem besinnlichen, die Welt als Schauspiel bunten
Geschehens betrachtenden, nicht tätigen, sondern lei-
denden und schauenden Dasein geführt. Sein weiterer
Lebenslauf ist alles andere als romantisch; eine Jtalien-
reise bringt Licht und Glanz in sein Leben, das im
übrigen in den ruhigen Bahnen einer Beamtenlaufbahn
verfließt. Gerade dies aber, diese Ruhe und Einförmig-
keit des gelebten Daseins war der Anstoß zu seiner dich-
terischen Romantik. Ungehemmt noch und als lyrisches
Bekenntnis, etwas qualvoll und manchmal bitter, voll
Kulturekel und Leiden an den öden und dürren Iu-
ständen einer spießbürgerlich-engen Gesellschaft, spricht sich
die romantische Seele des Dichters in dem reizenden Erst-
lingsbüchlein „Kinderfrühling"*) aus. Es sind Skizzen aus
dem Jugendleben, kaum durchgebildet zu eigentlichen
Novellen oder Erzählungen, aber eben deshalb mit dem
vollen und ungebrochenen Reiz des Erlebnisses begabt,
wie etwa in der „Schmetterlingsjagd" eine schmerzen-
reiche Kindheit sich zu einer doch schönen Erinnerung
zusammenfaßt: „Und über alles Gift und alle Qual
eines früh wissenden, das heißt früh leidenden Lebens
siegt dennoch dies Bild: Vater und ich, zwei Kinder auf
der Schmetterlingsjagd, Wiese, Bach, glühender Stein-
bruch, lichter grüner Wald, Schmetterlinge, weite Berge
und Sonne." (S. 46.) Oder wie etwa in dem „Frag-
ment aus den Erzählungen eines jungen Mannes" ein
Bubenleben vor uns entsteht, in welchem das Aben-
teuer schon die bestimmende seelische Grundnote ist.
„Mir war ja natürlich das Leben nichts als eine Kette
von Erstaunlichkeiten gewesen", das ist der Grundzug
dieser Romantik des Herzens, und daß dieses Erlebnis
von der trotz allem Leiden unendlich schönen und rei-
*) Verlag von G. Müller, München, wo auch die anderen
Dichtungen Stoessls erschienen sind.
»o
sammenhang alles Menschlichen untereinander, welche
Einsicht und Wahrheit ihm die kosmische Ruhe und das
gütige Vertrauen zum Menschenwesen gibt, in jener
schönen Besinnung der jungen Frau Elisabeth ausge-
deutet, welche diese angesichts der Familienbetten ihrer
Großeltern und Eltern, nun ihrer eigenen Ehebetten hat:
„Elisabeth ließ keine Lampe bringen, sondern beim
Schein des Feuers die Betten machen. Diese standen groß-
mächtig inmitten der Stube, schön geschweifte, braun
polierte Nußholzstätten, zu deren jeder vielleicht ein
starker Baum sein Jnnerstes hatte darbringen müssen,
als der Tischler die Lager richtete. Jn schönen dunkleren
und helleren Streifen waren die Borde gesladert, ohne
Fehl, noch heute standen diese Betten da, die nunmehr
schon die dritte Generation beherbergen sollten. Sie
hatten viele Frühjahre und Winter überdauert und
manche junge Kraft, manches kränkliche Alter geborgen.
Jn diesen Betten hatte ihr Großvater neben seiner ersten
Frau gelegen. Hier war ihr Vater geboren worden und
seine zarte Mutter hatte auf dem breiten weichen Lager
mit dem Tode gerungen. Jn diesen Betten hatte auch
ihr Vater und ihre liebe Mutter geruht, an der Seite
des links stehenden war ihre Wiege gewesen, die, auch aus
Nußholz gezimmert, noch heute auf demDachboden war-
tete, bis vielleicht wieder ein Kind in sie gelegt werden
sollte. Jn diesen Betten würde nun auch sie mit ihrem
Manne sein. Dies gesunde Holz überlebt in seiner glatten,
glänzenden, wohlgefügten Dauerhaftigkeit Menschen-
kraft, Glück, Leid, Geburt und Tod." („Hinter Mauern",
S. 171/72.)
Das also wahrt den abenteuernden Romantiker vor
Fahrigkeit und Aerfall: daß er die Dauer kennt und den
Ring des Lebens sich schließen gesehen hat. Das wiederum
gibt dem dauerhaften Dasein seinen Goldglanz und
seine höhere Bedeutung, daß über die Grundfesten der
Eristenz die goldigen Lichter des Abenteuers hinspielen.
Und so, in diesem Widerspiel von Iufall und Bestim-
mung, von Abenteuer und dauernder Eristenz, von Laune
und Ernst, von Wagemut und Vorsicht lebt und webt der
Humorist Stoessl, indem er bald an die Grundlagen alles
Menschendaseins rührt, bald heiter abenteuerliche Schick-
sale wie leichte, schwanke Seifenblasen an sich vorüber-
ziehen läßt, und so, in diesem Widerspiel von Sinn
und Chaos enthüllt sich vor seinem gütigen Lächeln das
Leben als jenes seltsame Gewirr von Unbestimmtheit
und Härte, von Lust und Leid, das sich lieben läßt, indem
man ihm gütig und weltoffen naht, und das zurückstößt,
wenn man es rauh anfaßt und weint, statt zu tanzen
und zu lächeln.
2.
Wir erkannten als die Elemente von Stoessls Dich-
tung eine Romantik, die sich dem unpoetischen Gegen-
wartsdasein auf den Schleichwegen des Abenteuers zu
entziehen sucht, und eine Vernünftigkeit, welche
sich der inneren Ziel- und Awecklosigkeit dieser aben-
teuernden Flucht wohl bewußt ist und welche zugleich
doch den inneren Sinn auch des verwegensten und ziel-
losesten Abenteuers in dem weiten Kreise des solidarischen
Menschengewebes aufzuzeigen imstande und gewillt ist.
Die liebende und vertrauende, dabei vernünftig-über-
legene Haltung dem Schauspiel Welt gegenüber ist end-
lich die Quelle der humoristischen Weltbetrachtung,
welche ihm die innere Freiheit der epischen Betrachtung
ermöglicht. So ist das Abenteuer dem Dichter die
eigentliche Befreiung von der unpoetischen Oede der-
modernen Eristenz, eine Befreiung, die er liebt und
doch zugleich wegen ihrer Leichtigkeit, Unschwere und
Aiellosigkeit belächeln muß. Die Romantik neben dem
bürgerlichen Leben, das Abenteuer im Rahmen der
Gesellschaft, die Eristenzen an ihrer Peripherie — das
sind die Themata all seiner Schriften, und die gütige,
liebevoll-lächelnde, ironisch-überlegene Behandlungs- und
Darstellungsweise erhebt diese Typen und Schicksale,
dieses Suchen nach dem Abenteuer in allen Variationen
zu den freien Schöpfungen eines episch-humoristischen
Stils.
Wir gedenken nun, ehe wir die Einzelzüge des Stils,
als des Kunstausdrucks von Stoessls Lebensgefühl, um-
schreiben, den Umkreis der Werke an der Hand der Ent-
wicklung Stoessls zu durchlaufen und wir werden dabei
sehen, wie das Abenteuer, erst subjektiv-lyrisch als Be-
kenntnis, dann objektiv-episch als Schicksal und Typus all
seinen Reichtum, seinen Glanz und seine Leichtigkeit in
den Schöpfungen des Dichters entfaltet.
Stoessl wurde in Wien 1875 als Sohn eines Arztes
geboren; seine Kindheit war nicht eben heiter; er stand
früh abseits, war früh wissend, weil früh leidend (nach
einem schönen Ausdruck des Dichters); so wurde er früh
zu einem besinnlichen, die Welt als Schauspiel bunten
Geschehens betrachtenden, nicht tätigen, sondern lei-
denden und schauenden Dasein geführt. Sein weiterer
Lebenslauf ist alles andere als romantisch; eine Jtalien-
reise bringt Licht und Glanz in sein Leben, das im
übrigen in den ruhigen Bahnen einer Beamtenlaufbahn
verfließt. Gerade dies aber, diese Ruhe und Einförmig-
keit des gelebten Daseins war der Anstoß zu seiner dich-
terischen Romantik. Ungehemmt noch und als lyrisches
Bekenntnis, etwas qualvoll und manchmal bitter, voll
Kulturekel und Leiden an den öden und dürren Iu-
ständen einer spießbürgerlich-engen Gesellschaft, spricht sich
die romantische Seele des Dichters in dem reizenden Erst-
lingsbüchlein „Kinderfrühling"*) aus. Es sind Skizzen aus
dem Jugendleben, kaum durchgebildet zu eigentlichen
Novellen oder Erzählungen, aber eben deshalb mit dem
vollen und ungebrochenen Reiz des Erlebnisses begabt,
wie etwa in der „Schmetterlingsjagd" eine schmerzen-
reiche Kindheit sich zu einer doch schönen Erinnerung
zusammenfaßt: „Und über alles Gift und alle Qual
eines früh wissenden, das heißt früh leidenden Lebens
siegt dennoch dies Bild: Vater und ich, zwei Kinder auf
der Schmetterlingsjagd, Wiese, Bach, glühender Stein-
bruch, lichter grüner Wald, Schmetterlinge, weite Berge
und Sonne." (S. 46.) Oder wie etwa in dem „Frag-
ment aus den Erzählungen eines jungen Mannes" ein
Bubenleben vor uns entsteht, in welchem das Aben-
teuer schon die bestimmende seelische Grundnote ist.
„Mir war ja natürlich das Leben nichts als eine Kette
von Erstaunlichkeiten gewesen", das ist der Grundzug
dieser Romantik des Herzens, und daß dieses Erlebnis
von der trotz allem Leiden unendlich schönen und rei-
*) Verlag von G. Müller, München, wo auch die anderen
Dichtungen Stoessls erschienen sind.
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