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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 4
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Stoessl, Otto: Geschwister
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0110

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Geschwister.

lückenlos den runden Kopf bedeckte, war ganz schneeweiß
geworden, und da er dem Friseur das Geld fürs Schneiden
neidete, wuchs es in vollen Locken und gab seinem Ge-
sicht eine ehrwürdige Bedeutung. Aber seine Geldgier
riß ihn in eine zweite böse Sache.

Jn einem der Amter, die er besuchte, hauste ein
alter Kanzlist, der in einem Glasverschlage harmlose
Schreibereien zu versehen hatte, aber seine viele freie
Aeit zu argen Geldgeschäften benützte und als Wucherer
der Anstalt hier gleichsam einen eigenen Laden betrieb.
Bei ihm gingen alle Bediensteten aus und ein, die Geld
brauchten, und das waren viele junge elegante Leute,
die ihr Gehalt bereits gleich nach dem Empfang vertan
hatten und sich doch ein neues Vergnügen, eine Lieb-
schaft, einen Ball, eine Wette auf dem Turf, was weiß
ich, nicht versagen wollten, wozu sie Geld brauchten,
oder um wenigstens ein Mittagessen kaufen zu können,
wenn sie keinen Kreuzer mehr in der Tasche hatten. Da
klopften aber auch alte Sünder und Ehekrüppel an. Un-
verbesserliche Schuldenmacher oder arme Teufel, die
alles ins Leihhaus getragen hatten, weil ihre Kinder
oder ihre Frau krank waren, und weil sie heute wieder
eine Rate oder Rechnung zu bezahlen hatten. Alle
waren die Vertrauten des alten Kajaba, der mit seinem
Kahlkopf, seinen gichtischen, auswüchsigen Händen, an
denen er altmodische Siegelringe trug, seinen geröteten
Augen, seinem dünnen schwarzgrauen Schnurrbart über
dem gekniffenen Munde genau so aussah, wie er war.
Er erschien süß freundlich und bitterlich ernst zugleich,
zuvorkommend mit den Söhnen aus gutem Hause, die
mehr aus Ubermut, als aus ernster Not bei ihm für ein
paar Tage Geld entliehen, streng, mißtrauisch, voller
Vorwürfe und Beleidigungen für die verschämte oder
unverschämte Armut, die auf ihn angewiesen war. Von
den hübschen leichtsinnigen Bürschchen ließ er sich ihre
Abenteuer erzählen und die neuesten Witze, die gerade
im Schwunge waren, und machte die Geldgeschäftchen
rasch und ohne viel Wesens ab. Mit weitwendigem Ge-
spräch nützte er die kleine Verlegenheit seiner Schutz-
flehenden aus, um ihre bessere Gesellschaft zu genießen,
da sie sich sonst um den ekelhaften Kerl im Verschlage wohl
nicht kümmerten. Wurde einer aber keck und zeigte seinen
natürlichen Hochmut, so konnte der alte Kajaba sehr
wohl spitz und auf seine Art witzig werden, daß dem
jungen Manne der Spaß verging. Mit den alten Prachern,
Gewohnheitsborgern, Säufern, Kellerstammgästen, Ehe-
flüchtlingen, Schuldensammlern, Unglücksraben aber war
er streng und unnahbar, erteilte Belehrungen, stellte sich
auf Bitten taub und ließ sich nur schwer rühren. Er lieh
überhaupt keine großen Summen her, einen geschäfts-
männischen Wuchertrieb hätte man zu leicht entdeckt und
von Amts wegen unterdrückt, er hatte eine solche An-
gelegenheit schon anderwärts mit einem blauen Auge
bezahlt. Darum gab er nur verhältnismäßig geringe Bar-
beträge her und verlangte nicht einmal einen Schuld-
schein, geschweige denn Wechsel und Bürgen. Bot ihm
ein Verzweifelter derlei an, so lächelte er nur voll Ver-
achtung. Er lieh als hilfsbereiter Amtsbruder auf kurze
Zeit, von einem Monatsanfang bis zum nächsten, auf
eine oder zwei Wochen. Und dann mußte man ihm das
Geld zurückbringen, aber freilich mehr, als man be-

kommen hatte. Die Ainsen, die bei der kurzen Laufzeit
nicht so fett aussahen, wie sie wirklich waren, blieben ganz
dem Gutdünken der Kundschaft anheimgestellt, aber wehe,
wenn sie nicht recht großmütig und weitherzig bemessen
wurden. Jn solchem Falle pflegte Kajaba entweder zu
behaupten, er habe einen weit höheren Betrag her-
gegeben, als man ihm irrtümlich zu erstatten beliebte,
oder er steckte die Summe wortlos ein, sperrte aber den
kleinlichen Schuldner von jedem künftigen Darlehen aus.
Derart konnte sein blühender Betrieb den Anforderun-
gen der teuren Aeiten gar nicht nachkommen, und er
zog Mudra zur Teilnahme an dem sicheren Handel heran,
wobei er ihn für größere Darlehen vorzuschieben verstand,
die er nicht abzuschließen wagte und wenn es sich um be-
deutendere Beträge handelte, die für längere Aeit her-
gegeben werden sollten. Da machte er den Vermittler,
ja er stellte sogar selbst den Schuldschein aus, als hätte
er das Geld bekommen, wofür er eine besondere Provision
erhielt. Wechsel anzunehmen, sehnte Mudra ab, der vor
allen Gerichtssachen Scheu hatte. Nur Kajabas eigene
Bürgschaft nahm er an, weil der Wucherer sehr ver-
trauenswürdig war, weiß doch jedermann, daß solche
Geldleute auf ihre Auverlässigkeit halten, denn darauf
beruht ihre sogenannte Ehre, Stellung und Gewinn.
Wer verbotene Dinge betreibt, muß dies mit einem
Ubermaß von Gewissenhaftigkeit, mit einem Rest von
Treu und Glauben tun, den er braucht. Jn der Tat
brachten diese Geschäfte dem Mudra anfangs ansehn-
lichen Nutzen. Kajaba arbeitete mit Mudras Kapital,
wofür der Gewinn unter beide nach einem Schlüssel
geteilt wurde, den der Taubstumme nicht zu verstehen
brauchte. Es genügte ihm, sein Geld reichlich vermehrt,
pünktlich zurückzubekommen. Aber kaum hatte er es
wieder, so mußte er es gleich auch von neuem aus-
schicken, es arbeitete rasch und unablässig. Er behielt kaum
etwas übrig, als das Bewußtsein erhöhten Umsatzes und
verlor es mit dem Schlage, der eines Tages Herrn Kajaba
aus diesem irdischen Leihhause abberief. Da stand Mudra
nun mit ein paar Autogrammen, worauf sich Herr Kajaba
als Schuldner mit kritzligen Aügen verewigt hatte, und
mit dem Tragbrett, worauf die Waren zitterten, als die
Kunde eintraf. Die Käufer seiner Bleistifte scherzten
über seine Blässe und Fassungslosigkeit.

Mudra suchte die Schuldner auf, vielmehr, wen er
als solchen im Verdacht hatte, die Leute aber waren un-
verschämt entlastet wie entsprungene Sträflinge. Sie
leugneten alles ab, sie stellten sich nichtswissend, sie hatten
kein Geld entlehnt, Herr Mudra verwechsle sie vielleicht
mit anderen, sie hätten Doppelgänger, oder er träume.
Habe er einen Schuldschein? Ja, von Kajaba. Nun,
der habe sich eben das Geld ausgeliehen. Herr Mudra
halte sich an Kajaba oder an dessen Erben, wenn es ihm
beliebe. Herr Kajaba hatte keine Erben. Wenigstens
fand Mudra keine, der alte Wucherer hatte bei einem
verdächtigen Ehepaar gehaust, und sein Bargeld war
nicht nachweisbar, also wohl aufgehoben.

So hatte denn Mudra auch seine zweite Geliebte:
das Geld verloren. Er fand in diesem Taumel die neue
Wohnung der Schwester und diese zu Bett, da es ihr ans
Leben ging. Nachdem sie die Lust und Lüge eingebüßt
hatte und grau, böse, verstockt, tückisch und furchtsam.
 
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