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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 5
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Zech, Paul: Flucht aus dem Graben: vier Sonette
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0142

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Künstler von heute, ihre mangelnde GotteLkindschaft, dargetan
würde. Und in der Tat wird man nirgends so leicht dem modernen
Künstler, der ein Chaos ist, das einen Stern gebären will, gegenüber
so ungerecht wie in Brügge angesichts der Madonnen. Schnell
fertig ist das Urteil und spricht: nur dicse konnten malen; aber es
besinnt sich auf einige der Besten jetztger Zeit, die auch reinen
Herzens sind und eine inbrunstvolle Sehnsucht in sich tragen, mag
diese auch immer eine anders gerichtete sein als die der Brügger
Maler; nur, daß ihrer so wenige sind unter den vielen, während
ein jeder aus der altflanderischen Schule mit seinem Cngel rang,
auf daß er ihn segne, eh er ihn lasse.

Wie müssen sie alle, die einst in Brügge am Tagwerk ihrer
Hände schufen, nach höchster Bollendung ihrer sich gestaltenwollen-
den Sehnsucht gerungen haben. Und wie herrlich hat sich denn
auch die Sehnsucht eines Hans Memling gestaltet und gsformt und
hat Farbe gefunden voll leuchtender Schönheit. Es geht eine
innere Musik von diesen Madonnen aus in dem kleinen Saal des
Johannishospitals, darin einige seiner besten Bilder gesammelt
sind. Gleich seinem Madonnenverehrer Martin von Nieuvenhoven
faltet man die Hände und bleibt doch, wie dieser — den man nie
wieder vergißt —, ein dem Jrdischen zugewandter Mensch. Er-
griffen davon, was Farbe nicht alles zu offenbaren vermag, steht
man vor dem kleinen leuchtkräftigen Anbetungsaltar und Stunden
erhöhten Lebens genießt man vor dem Reliquienschrein der heiligen
Ursula, die eine holdselige Madonna ist unter den holdseligen Ma-
donnen ihrer Begleitung und deren Legende der Maler in Farbe
dichtend in sechs zierlichen Bildern auf den Längsseiten des Schreines
erzählt. Cine Madonnensrzählung in lyrischer Prosa ist denn auch
das Bild von der Vermählung der heiligen Katharina mit einsr
Hinaufgipfelung in die Atherluft symbolischer Gedanken auf dem
rechten Flügel des Bildes, wo das Ubersinnliche der Apokalypse
sich den Sinnen darbietet und nochmals darbietet — dadurch wie
eine selbstverständliche Realität wirkend — in seiner Widerspiege-
lung auf klarer Meeresfläche. Diese Madonnen, sie leben ein un-
sterbliches, Geschlechter um Geschlechter beglückendes Leben von
Gnaden Memlingscher Künstlerschaft, und auch jene Stifterinnen,
die im kleinen Brügger Museum, einer ehemaligsn Kapelle, fromm
sind angesichts des Knaben auf St. Christophorus Schultern — der
mit zwei anderen heiligen Männern selig versunken dasteht und
mit ihnen den meisterlichen Christophorusaltar ausmacht—, auch
sie sind Madonnen unter Madonnen, oder doch, eine jede von
ihnen, ein Gleichnis davon. Gleichnisse der Gebenedeiten unter
den Weibern, die da, von Jan van Cycks Kunst geschaffen, in
derselben Kapelle würdig und gütig vor dem sie verehrenden
Kanonikus van der Paele thront, oder, an der Wand gegenüber,
die Crde läßt voll Sehnsucht zum Sohn, der aus Himmels-
HLHen ihr entgegenstrebt; ein irdisch-unirdisches Bild, das Hugo
van der Goes zerstörter Geist noch als Vision aus sich gestalten
konnte.

Von den holdseligen Memlingschen Madonnen im Saal
eines mittelalterlichen Hospitals zu den Madonnen der Liebfrauen-

kirche ist nicht wcit. Jhrer sind darin zwei, denen man besondere
Verehrungen erweist. Um die eine mühte sich ein Maler, von dem
ebenfalls keine Geschichte meldet, aber: daß auch er ein Gotteskind,
daß auch er reinste Sehnsucht in sich trug, davon spricht dies Bild
besser als jeds andere Uberlieferung. Es ist eigentlich keine Ickatsr
Uoloiosa, obgleich die Siebsn Schmerzen der Maria diese sitzende,
in sich versenkte Frauengestalt umrahmen in sieben kleinen Dar-
stellungen; es ist eher ein einsames Menschenkind, das in einer
milden Trauer dasiht und sich den unabwendbaren Schmerzen
duldend ergibt. Nicht weit von ihr, aber gestaltet in Marmor,
sinnt eine sihende Madonna über das Kind nach, das sie empfangen
und getragen und das nun als Knäblein mit frühreifem Gesichts-
ausdruck zwischen ihren Knieen das Leben des Mannes erhofft.
Ein Vorsehen und ein Crschrecken über das im Zukünftigen Ge-
schauten liegt im Blick dieser Madonna, und ein Widerschein inner-
lichen Mutterbsbens lebt so ergreifend auf dem Antlitz reinster
Weibesschönheit, daß man, Frauenschmerz ehrend, sich niederbeugen
möchte auf die schlanke schöne Hand, die ihr im Schoße liegt.
Diese Madonna, die so frühzeitig begreift, daß ihr Sohn in die Welt
gekommen, die Welt vom Leid zu erlösen, soll von Michelangelo
sein; nicht nur der Komposition, sondern auch der Ausführung nach,
wie der Küster (der mir das Kruzifix vom Altar heruntersehte,
damit ich das Werk besser sehen könne), wohl orientiert in der
modernen Kunstkritik, die sich über diesen Streitfall einig gewordcn,
behauptets. Weil nun gerade das Geburtsfest dieses Madonnen-
kindes war, und nicht weit von diesem seinem Standort die unerlöste
Menschheit sich Bauchschüsse verabfolgte, las ich noch einen anderen,
vielleicht noch einen tieferen Schmerz in das Antlitz der Madonna
hinein, den Michelangelo sicherlich nicht hinein hat legen wollen.
Mir schien nämlich, als ob die Madonna darum so schmerzenreich
schaue, halb hin in die Aukunft und halb hin auf ihren Sohn, weil
der, zu Jahren gekommcn, Unmögliches würde wollen, nämlich:
die Welt erlösen vom Leid, und dies mittels der Liebe, mittels der
angewandten, nie versagenden Liebe.

Von einer anderen Madonna in Brügge will ich noch sprechen.
die nicht das Werk eines alten Meisters ist, obgleich ihr Kopf, von
dunkler Schönheit, mit Augen darin, die eine bewegte Seele spiegeln,
an alte Bilder erinnern macht. Obgleich den Jahren nach kaum
zur Jungfrau geworden, sind in ihr die guten Geister der alten
Kunst lebendig, darum sie nicht recht gläubig werden kann an die
neuzeitlichen Evangelien, außer dem einen: der körperlichen Er-
tüchtigung durch den Sport. Was sie aber vor allem nicht ver-
stehen kann, sind ihre Schwestern, die Frauen dieser neuen Zeit,
weil die so gar nicht vermögen, diesen männermordenden Krieg zu
beenden, wo doch nach dem feinen, französischen Sprichwort die
kleine Hand der Frau genügt, das große Loch der Kanone zu
stopfen. Als ich diese noch kleine und doch so kluge und auch herzens-
reine Madonna verließ, die mit ihrem jungen Leben so ganz und
gar teilnimmt an der Menschheit wertvollstem Besih, war mir,
als ob die Zahl der Madonnen, die ich in Brügge erlebte, sich ver-
doppelt hätte. s708f

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Steinfeldschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Derpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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