Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Haeuselmann, Johann Friedrich: Kunstwissenschaftliche Betrachtungen über städtische Bauformen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0144

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kunstwissenschaftliche Betrachtungen über städtische Bansormen.

im beschrankten Rahmen des architektenischen Form-
werdens. Wic hier sich die heutigen Baumeister leicht
schaltend der alten Formen für das Neuschaffen bedie-
nen, so 'st sür eine Stadt des 20.Jahrhunderts die Ge-
schichte der Stadtentwicklung zu einer wissenschaftlichen
Hilfsquelle größter Art geworden. Vielfach verfolgen
wir in solchen Städten einen hohen wissenschaftlichen
Rhythmus, der schon in sich künstlerische Werte trägt.
Kunst und Wissenschaft haben sich hier im tiefsten Grund
des Stadtbodens verbunden und es erscheint dann nur
folgerichtig, wenn
auch die einzelnen
Bauformendeutliche
Aeichen des Wissent-
lichen und Künstle-
rischen zugleich tra-
gen. Dieses Verbin-
den von Kunst und
Wissenschaft in unse-
ren städtischen Bau-
formen ist danach
das Wesentliche der
Baukunst von heute
überhaupt, und ihre
zukünftige Aufgabe
wird es sein, diese
Verbindung immer
inniger, wahrer,
fester zu gestalten.

Betrachten wir die
FüllestädtischerBau-
aufgaben, so ist leicht
zu sehen, daß die Au-
kunft unserer Bau-
kunst eine sehr große
sein kann. Berücksich-
tigen wir ferner, daß
der Krieg selbst eine
ganze Reihe neuer
Aufgaben an uns
stellt, so gesellt sich
zur allgemeinen Au-
versicht noch die
Freude,daßdaskünf-
tige Bauschaffen im
Gedenken an die
schwere Aeit auch
von einem erhöhten
Menschlichkeitsgefühl
erfüllt sein muß, das
an die Stelle eines mehr kraftgenialen Schöpfertums ein
ganz schlichtes Empfinden setzen wird. Das ist dann das
Verdienst des Krieges, daß er uns vor einem überwissen-
schaftlichen Baukünstlertum bewahrt, daß das Wissen-
schaftliche nur ein Rinnsal des Hilfsmäßigen ist und
daß das Erleben, Erschauen, Erfassen des Künstlers stets
eine unversiegliche Quelle seiner Arbeit bleibt.

Dieses Stimmungswertige, Herzblütige ist es, welches
auch die wissenschaftlichste Kunst incmerfort zu erfüllen
haben wird. Es ist zwar eine wehe Freude, wenn der
Krieg hierzu eine so übersprudelnde Quelle erschlossen

hat, aber es ist vielleicht gerade deüwegen angebracht,
die Art des Ausnutzens dieses Jungbrunnens etwas zu
bestimmen. Daß wir der Schlichtheit, zu der wir unter
der Not des Krieges vorgefühlt haben, wenig entsprechen,
wenn wir etwa Siegesalleen usw. bauen würden, darf
ich wohl als banalen Gedanken, dessen alle Maßgebenden
unfähig sein werden, von vornherein ausschalten. Ander-
seits ist aber unser Einfühlen in die neuen Aufgaben
ebenso noch unfertig. Es bedarf hier noch einer starken
Selbsterziehung unserer Künstler, wenn sie zeitgenös-

sischeMenschlichkeits-
werkevonmitreißen-
der Macht schaffen
sollen. Um so mehr,
als es sich nicht um
stilistischeigensüchtige
Werke handelt, son-
dern um reine Aus-
drucksformen ihres
Kunstseelischen. Die
größte, wohl um-
fangreichste Aufgabe,
die uns bevor-
steht, die Kleinhaus-
frage der Krieger
und Nichtkrieger
beispielsweise, stellt
neben dem Wissen-
schaftlichen des allge-
meinen Einordnens
in ein Ganzes so-
zusagen nichts stili-
stisch Eigtznwilliges,
sondern nur
Stimmungswertiges
durch ganz einfache
Bauformen. Auch
die Art des Krie-
gerehrens in diesen
Keinhaussiedlungen
ist nur so andeu-
tungsweise denkmal-
artig zu Venken,
daß nur ein starkes
Mitempfinden für
dieseelischen Bedürf-
nissederHeimkehren-
den zum Richtigen
zu führen vermögen
wird. Das alles ist
um so schwerer, weil wir unter solchen Stimmungswerten
nicht das Naiv-Malerische verstehen, das für uns zum
Gegenstand des Lächerlichen geworden ist, sondern es
wird stets nur der Hauch eines Mcnschenwillens sein
können, der unsere eigenen Spannungen löst und so die
Sehnsucht im Kunstgenießenden befriedigt. Das ist aber
nur der Fall, wenn aus dem Kunstwerk in erster Linie
der ganze Künstlermensch zu uns spricht und Allgemeines,
Wissenschaftlichendes nur als wohliges Ordnen daneben-
tritt. Und wenn nun unsere Baukünstler sich vor die Auf-
gabe gestellt sehen, solchermaßen zu schaffen, so wird es

Das Münster in Ulm. (14.—1b. Jahrh.)
 
Annotationen