Kunstwissensckaftlicke Betrachtungen über städtische Bauformrn.
Rathaus in Rothenburg a. D. (16. Jahrh.)
vollbrachten, wo ehe-
dem noch solide Kunsi-
handwerker schafften,
so ist es nicht verwun-
derlich, daß von eineni
künstlerischen Wesen
solcher neuen Stra-
ßenbilder nicht mehr
gesprochen werden
kann. Ein recht statt-
liches Gebiet schien
hier der Baukunst
überhaupt verloren,
wenn nicht eine gute
Erkenntnis ihr das-
selbe zurückeroberte.
Für Deutschland gilt
esja vielleicht, es über-
haupt erstmals zu
erobern, denn jene
nwhnlichen Straßen-
bilder in den Fürsten-
städten des 18. Jahr-
hunderts sind nicht in
dem Sinne deutsch,
wie wir sie heute ent-
stehen sehen möchten.
Da zeigt sich denn, daß nirgends
eine reine Ausdruckskunst so am
Platze ist wie in den stadtischen
Straßen, da alles sich verslüchtigt
und eine seiende Kunst wie harter
Leim aussieht, wo alles flüssig
bleiben müßte.
Beim Schaffen dieser Straßen-
fluchten ist natürlich die Wissen-
schaft ein bequemes Werkzeug. Uni
so mehr besteht Gefahr, daß im
Endergebnis ctwas Trockenes her-
auskommt. -Zum Rahmen dieser
Betrachtungen gehört es jedoch
nicht, über Straßenbilder weiter
sich auszulassen; wir beschränken
uns hier auf die einzelne Haus-
form, das Aweidimensionale,
Flächenhaftc der Hausseite. Als
Glied einer Hausreihe ist es natür-
lich, daß sie für sich ein stehendes
Motiv ergibt, das sich in der Reihe
zum Liegenden umwandelt. Dar-
um werden einige horizontale
Striche stets als gegeben zu er-
achten sein, während sich die verti-
kalen Striche eher eigenwillig an-
ordnen lassen. Mit Giebeln, Erkern,
Gruppieren von Fensterachsen
lassen sich dabei sehr hübsche Wir-
kungen erzielcn, wie dies die Bil-
der aus Stuttgart, Hellerau zeigen.
Daß dieses System seinen Ausgang
nur im Klassizistischen haben kann.
Bankhaus in Stuttgart. (Eisonlohr Pfomüg.)
141
ist ganz selbstverständ-
lich, denn nur dort
findet sich solche Ord-
nung der Formen,
daß sie für heutige,
größere Maßstäbe
übernommen werden
können. Und wie weit
in diesem Sinne etwa
in der deutschen Re-
naissance gegangen
wutde, das zeigt dann
wiederum das Ro-
thenburger Rathaus,
wo sich sehr hübsch ein
System von Horizon-
talen und Vertikalen
verfolgenlaßt,mittels
deren die Flächen aus-
geteilt wurden. Das
Dreidimensionale,
das im Rothenburger
Rathaus auch noch
zum Ausdruck kommt,
ist hier nicht ganz
geglückt; die beiden
Türme machen sich
eine fatale Konkurrenz und sind
wohl nicht ganz aus einer Cin-
gebung heraus erfolgt. Das sind
eben jene malerischen Eigenheiten
des Mittelalters, in die sich weite
Kreise sehr verliebt haben.
Die wenigen Beispiele aber
lassen, auch wie hiernebeneinander-
gestellt, erkennen, wo unscre Stra-
ßenbaukunst hinaus will und muß.
Das Hellerauer Bild zeigt dann
besonders liebevoll die einfach be-
scheidene Art einerAleinhausreihe;
das Methausbeispiel in Stuttgart
wieder drückt die Teilarbeit, die
auf einerHausseite in der Straßen-
wand ruht, sehr gut aus. Es ist
leicht zu sehen, daß die Untertei-
lung der Flächen nur dann einen
Sinn hat, wenn die Horizontalen
ihre Fortsetzung findcn und wenn
auch im Wiederholen der Verti-
kalen gewissermaßen liegende Bän-
der entstehen, die der Flucht der
Straße folgen. Jm Bankhaus aber
offenbart sich ein leises, zentrali-
sierendes Streben, indem durch
die oberen Fensterreihen und Ge-
simse zwar,sowie durch die unteren
Außenachsen durchaus einem Stra-
ßenflüchtigen nachgegangen ist, ini
unteren Mittel aber ein Teil ent-
standen ist, der das Flüchtige der
Straßenwand in sich verankert.
r
Rathaus in Rothenburg a. D. (16. Jahrh.)
vollbrachten, wo ehe-
dem noch solide Kunsi-
handwerker schafften,
so ist es nicht verwun-
derlich, daß von eineni
künstlerischen Wesen
solcher neuen Stra-
ßenbilder nicht mehr
gesprochen werden
kann. Ein recht statt-
liches Gebiet schien
hier der Baukunst
überhaupt verloren,
wenn nicht eine gute
Erkenntnis ihr das-
selbe zurückeroberte.
Für Deutschland gilt
esja vielleicht, es über-
haupt erstmals zu
erobern, denn jene
nwhnlichen Straßen-
bilder in den Fürsten-
städten des 18. Jahr-
hunderts sind nicht in
dem Sinne deutsch,
wie wir sie heute ent-
stehen sehen möchten.
Da zeigt sich denn, daß nirgends
eine reine Ausdruckskunst so am
Platze ist wie in den stadtischen
Straßen, da alles sich verslüchtigt
und eine seiende Kunst wie harter
Leim aussieht, wo alles flüssig
bleiben müßte.
Beim Schaffen dieser Straßen-
fluchten ist natürlich die Wissen-
schaft ein bequemes Werkzeug. Uni
so mehr besteht Gefahr, daß im
Endergebnis ctwas Trockenes her-
auskommt. -Zum Rahmen dieser
Betrachtungen gehört es jedoch
nicht, über Straßenbilder weiter
sich auszulassen; wir beschränken
uns hier auf die einzelne Haus-
form, das Aweidimensionale,
Flächenhaftc der Hausseite. Als
Glied einer Hausreihe ist es natür-
lich, daß sie für sich ein stehendes
Motiv ergibt, das sich in der Reihe
zum Liegenden umwandelt. Dar-
um werden einige horizontale
Striche stets als gegeben zu er-
achten sein, während sich die verti-
kalen Striche eher eigenwillig an-
ordnen lassen. Mit Giebeln, Erkern,
Gruppieren von Fensterachsen
lassen sich dabei sehr hübsche Wir-
kungen erzielcn, wie dies die Bil-
der aus Stuttgart, Hellerau zeigen.
Daß dieses System seinen Ausgang
nur im Klassizistischen haben kann.
Bankhaus in Stuttgart. (Eisonlohr Pfomüg.)
141
ist ganz selbstverständ-
lich, denn nur dort
findet sich solche Ord-
nung der Formen,
daß sie für heutige,
größere Maßstäbe
übernommen werden
können. Und wie weit
in diesem Sinne etwa
in der deutschen Re-
naissance gegangen
wutde, das zeigt dann
wiederum das Ro-
thenburger Rathaus,
wo sich sehr hübsch ein
System von Horizon-
talen und Vertikalen
verfolgenlaßt,mittels
deren die Flächen aus-
geteilt wurden. Das
Dreidimensionale,
das im Rothenburger
Rathaus auch noch
zum Ausdruck kommt,
ist hier nicht ganz
geglückt; die beiden
Türme machen sich
eine fatale Konkurrenz und sind
wohl nicht ganz aus einer Cin-
gebung heraus erfolgt. Das sind
eben jene malerischen Eigenheiten
des Mittelalters, in die sich weite
Kreise sehr verliebt haben.
Die wenigen Beispiele aber
lassen, auch wie hiernebeneinander-
gestellt, erkennen, wo unscre Stra-
ßenbaukunst hinaus will und muß.
Das Hellerauer Bild zeigt dann
besonders liebevoll die einfach be-
scheidene Art einerAleinhausreihe;
das Methausbeispiel in Stuttgart
wieder drückt die Teilarbeit, die
auf einerHausseite in der Straßen-
wand ruht, sehr gut aus. Es ist
leicht zu sehen, daß die Untertei-
lung der Flächen nur dann einen
Sinn hat, wenn die Horizontalen
ihre Fortsetzung findcn und wenn
auch im Wiederholen der Verti-
kalen gewissermaßen liegende Bän-
der entstehen, die der Flucht der
Straße folgen. Jm Bankhaus aber
offenbart sich ein leises, zentrali-
sierendes Streben, indem durch
die oberen Fensterreihen und Ge-
simse zwar,sowie durch die unteren
Außenachsen durchaus einem Stra-
ßenflüchtigen nachgegangen ist, ini
unteren Mittel aber ein Teil ent-
standen ist, der das Flüchtige der
Straßenwand in sich verankert.
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