Die arme Elisabeth.
Frau bei ihr ware. Die stand in der Nähe des Ofens an
die Wand gelehnt, regungslos, und dachte nach, wer
weiß, worüber. Die Sterne an ihrem Rock schimmerten
nur ganz sacht, wie die milchfarbenen Perlen. Sie merkte,
daß das Madchen den Blick auf sie gerichtet hielt, drehte
ihm das herrliche Antlitz zu und lachelte. Dann versank
sie wieder in ihren inwendigen Gedanken. Es war sehr
still in dem dunkeln Aimmer. Elisabeth hörte jede ein-
zelne der Sekunden, welche Murners Taschenuhr am
Nagel über seinem Lager abtickte.
Sie rief ihn an. Er hörte nicht. Das schwache Ge-
räusch ihrer Stimnie vermochte nicht so leicht durch das
ruhevolle Getös seiner Atemzüge durchzudringen. Aber
sie ließ nicht nach. Sie erhob sich, daß sie auf die Arme
gestemmt im Bette aufrecht saß, und rief so laut sie
konnte: „Murner! Murner! Jch bin's, Elisabeth!
Murner!" Endlich hörte er. Er meinte, sie sei in Angsten
oder in Schmerzen; darum lief er schnell zu ihr, ohne
etwas über sich zu werfen. Er bat sie, sich zu legen und
so ruhig zu halten, wie ihr möglich sei, und fragte sie,
was ihr fehle. Jhr fehlte nichts. Sie hatte ihn nicht ge-
weckt, um sich von ihm helfen zu lassen, sondern nur, um
ihm mit halb schalkhaftem, halb erkenntnisglücklichem
Lächeln etwas zu sagen, was sie erschaut hatte. „Weißt
du, was ich weiß, Murner?" „Wie soll ich's denn wissen?
Was hast du denn, kleines Ding?" „Ei doch weißt du's,
Murner! Warum verstellst du dich denn?" „Verstelle
ich mich? Jch weiß beim Hirnmel nicht, was du willst!"
„Lieber, lieber Murner!" „Was gibt's, du Knirps?"
„Daß ich dich erkannt habe, daß du der gute Tod bist."
„Jch bin der Tod, ich armer Menschenkerl, der ich bin?
Glaube mir, Elisabeth, daß du hier nicht so erbärmlich
husten müßtest, du und viel andere nicht, wenn ich der
Tod wäre!" „Jch will auch nicht Tod zu dir sagen, wenn
dir der Name nicht gefällt. Jch will dich Murner nennen,
weil du so heißen willst. Aber das darfst du nicht leugnen,
daß du es bist!" „Daß ich was bin?" „Das, was ich gesagt
habe." „Nein, nein! Warum machst du dir solche
Gedanken? Jch bin wahrhaftig nichts als ein armer
Teufel von einem jungen Kerl, der dir helfen will,
so gut er kann, aus deinem elenden Magdleben heraus."
„Du hast wohl recht. Jch wollte dir nichts Böses
sagen. Gute Nacht, Murner!" „Gute Nacht, Elisabeth!
Schlafe gut und mache dir keine bösen Gedanken!"
„Nein, ncin!"
Jn der Mitte der nächsten Nacht rief sie ihn wieder
an ihr Bett. „Warum willst du denn nicht haben, daß
ich es weiß, Murner? Du bist doch so schön, wie du jetzt
bist, auch ohne Haut und Fleisch, mit den wunderbaren
Augen!" „Habe ich keine Haut und kein Fleisch mehr?"
„Nein, Murner! Du bist so wie du immer bist, wenn ich
dich wirklich sehe. Du hast nichts als weiße Knochen,
die glänzen sanft. Und in deinem Schädel muß ein
mächtig starkes Licht sein, denn es leuchtet durch die
Ritzen zwischen den Knochen und an der Stirn durch,
daß dein Kopf aussieht wie ein Stern. Und deine Augen
sind sanft und gut. Jch fürchte mich nicht vor dir, denn
deine Augen sind sanft und gut. Und die Mutter Gottes
hat dir befohlen, mir zu helfen. Lieber Murner, lieber
Tod!" „Ja, Elisabeth, ich meine es gut mit dir. Aber
warum meinst du denn, daß ich der Tod sein müsse, um
dir zu helfen? Fühlst du nicht, daß ich lebendige Händc
habe?" Er streichelte ihr die Wangen, auf denen die
roten Flecken brannten. Sie strich ihm sanft entgegen,
indem sie den Kopf leise drehte. Dann sagte sie: „Ja,
deine Hände fühlen sich weich an, obwohl keine Haut
und kein Fleisch daran zu sehn ist. Das tut ja alles
nichts. Sei nur gut!" „Jch bin dir gut. Aber du sollst
nicht meinen, ich sei der Tod. Habe ich denn nicht warme
Lippen?" Er küßte sie auf den Mund. Sie nahm seine
Hand und küßte sie, ohne zu antworten. Da ließ er sie
und suchte sein Lager wieder auf.
Vierundzwanzig Stunden spater stand sie angekleidet
vor seinem Lager. Sie flüsterte: „Murner, Murner!
Wache auf! Die heilige Frau steht ungeduldig an derTür,
wartet auf uns! Alle Sterne an ihrem Gewand brennen
so sehr, sie ist wie eine Sonne so hell. Murner, Murner!
Du sollst mitgehn, sie will uns irgendwohin führen!" Er
hörte nicht. Da rüttelte sie ihn mit aller Kraft. „Murner!
Erwachst du denn nicht? Das Aimmer ist ja so hell wie
der Tag von allen ihren Sternen! Steh auf, steh auf,
du sollst mit mir gehn!" Er brauchte nicht lange, um
sich fertig zu machen. Ehe er ihr den Arm bot, legte er
ihr noch ein Tuch um die Schultern. Leise schlossen sie
die Tür auf und schlichen so lautlos die Treppe hinunter,
wie die Heilige ihnen voranschwebte. Jhr nach gingen sie
an der Jll hinab bis zum Kanal, am Kanal hinab bis
zum Rhein. Alle Sterne schienen am Himmel: sowohl
die, welche uns sichtbar sind, als die große Überzahl
derer, die für unsere Augen nicht leuchten. Und der
Mantel der Gottesmutter glänzte heller als alle
Sterne, und ihre goldenen Locken flogen im leisesten
Hauch des Nachtwindes, so göttlich und ohne Schwere
waren sie.
Elisabcth war sehr glücklich. Sie hing nicht schwerer
in Murners Arme, als wenn ein Schmetterling, durch
einen spinnwebenen Faden an ihn gefesselt, neben ihm
hergeflogen wäre. Der Stroni rauschte zu ihren Füßen.
Das machten die Wellen, die übereinander fortliefen und
rannten und eine der andern erzählten von den Wundern
der Oberflache und der Tiefe des Meeres, dem sie zuliefen.
Und die Wellen glänzten. Das niachte die Kraft des
sternenbesäten Mantels. Die Heilige blieb manchmal
stehn und erwartete holdselig schauend die Wandernden.
Wenn sie nahegekommen waren, ging sie schnell wieder
geradezu. Dann schimmerten die Gebüsche links von ihr
und die Wasser rechts von ihr, an denen sie vorübereilte.
Elisabeth plauderte immerzu, sie dachte aber nicht an
das, was sie plauderte. Sig machte mit dem Mund
freundliche Worte, um sich Murner freundlich zu er-
weisen. Mit der Seele war sie in die Anschauung der
wandelnden Göttin versenkt.
Als sie eine Stunde Wegs gemacht hatten, gingen
die Sterne auf Mariens Gewande aus. Da fiel ihnen
ein, daß es Nacht war, und sie wurden sehr müde. Und
da stand eine Bank hundert Schritt von ihnen am Ufer,
die war mit weißer Farbe gestrichen, so daß sie dem
Regen trotzte und weithin zu sehn war. „Bis zu dieser
Bank wollen wir noch gehn," sprach er zu ihr, „dann
nehme ich dich auf meinen Schoß, damit du nicht mehr
frierst, und wir schlafen, bis wir nicht mehr müde sind."
Sie schmiegte sich enger an ihn und küßte ihn auf den
Frau bei ihr ware. Die stand in der Nähe des Ofens an
die Wand gelehnt, regungslos, und dachte nach, wer
weiß, worüber. Die Sterne an ihrem Rock schimmerten
nur ganz sacht, wie die milchfarbenen Perlen. Sie merkte,
daß das Madchen den Blick auf sie gerichtet hielt, drehte
ihm das herrliche Antlitz zu und lachelte. Dann versank
sie wieder in ihren inwendigen Gedanken. Es war sehr
still in dem dunkeln Aimmer. Elisabeth hörte jede ein-
zelne der Sekunden, welche Murners Taschenuhr am
Nagel über seinem Lager abtickte.
Sie rief ihn an. Er hörte nicht. Das schwache Ge-
räusch ihrer Stimnie vermochte nicht so leicht durch das
ruhevolle Getös seiner Atemzüge durchzudringen. Aber
sie ließ nicht nach. Sie erhob sich, daß sie auf die Arme
gestemmt im Bette aufrecht saß, und rief so laut sie
konnte: „Murner! Murner! Jch bin's, Elisabeth!
Murner!" Endlich hörte er. Er meinte, sie sei in Angsten
oder in Schmerzen; darum lief er schnell zu ihr, ohne
etwas über sich zu werfen. Er bat sie, sich zu legen und
so ruhig zu halten, wie ihr möglich sei, und fragte sie,
was ihr fehle. Jhr fehlte nichts. Sie hatte ihn nicht ge-
weckt, um sich von ihm helfen zu lassen, sondern nur, um
ihm mit halb schalkhaftem, halb erkenntnisglücklichem
Lächeln etwas zu sagen, was sie erschaut hatte. „Weißt
du, was ich weiß, Murner?" „Wie soll ich's denn wissen?
Was hast du denn, kleines Ding?" „Ei doch weißt du's,
Murner! Warum verstellst du dich denn?" „Verstelle
ich mich? Jch weiß beim Hirnmel nicht, was du willst!"
„Lieber, lieber Murner!" „Was gibt's, du Knirps?"
„Daß ich dich erkannt habe, daß du der gute Tod bist."
„Jch bin der Tod, ich armer Menschenkerl, der ich bin?
Glaube mir, Elisabeth, daß du hier nicht so erbärmlich
husten müßtest, du und viel andere nicht, wenn ich der
Tod wäre!" „Jch will auch nicht Tod zu dir sagen, wenn
dir der Name nicht gefällt. Jch will dich Murner nennen,
weil du so heißen willst. Aber das darfst du nicht leugnen,
daß du es bist!" „Daß ich was bin?" „Das, was ich gesagt
habe." „Nein, nein! Warum machst du dir solche
Gedanken? Jch bin wahrhaftig nichts als ein armer
Teufel von einem jungen Kerl, der dir helfen will,
so gut er kann, aus deinem elenden Magdleben heraus."
„Du hast wohl recht. Jch wollte dir nichts Böses
sagen. Gute Nacht, Murner!" „Gute Nacht, Elisabeth!
Schlafe gut und mache dir keine bösen Gedanken!"
„Nein, ncin!"
Jn der Mitte der nächsten Nacht rief sie ihn wieder
an ihr Bett. „Warum willst du denn nicht haben, daß
ich es weiß, Murner? Du bist doch so schön, wie du jetzt
bist, auch ohne Haut und Fleisch, mit den wunderbaren
Augen!" „Habe ich keine Haut und kein Fleisch mehr?"
„Nein, Murner! Du bist so wie du immer bist, wenn ich
dich wirklich sehe. Du hast nichts als weiße Knochen,
die glänzen sanft. Und in deinem Schädel muß ein
mächtig starkes Licht sein, denn es leuchtet durch die
Ritzen zwischen den Knochen und an der Stirn durch,
daß dein Kopf aussieht wie ein Stern. Und deine Augen
sind sanft und gut. Jch fürchte mich nicht vor dir, denn
deine Augen sind sanft und gut. Und die Mutter Gottes
hat dir befohlen, mir zu helfen. Lieber Murner, lieber
Tod!" „Ja, Elisabeth, ich meine es gut mit dir. Aber
warum meinst du denn, daß ich der Tod sein müsse, um
dir zu helfen? Fühlst du nicht, daß ich lebendige Händc
habe?" Er streichelte ihr die Wangen, auf denen die
roten Flecken brannten. Sie strich ihm sanft entgegen,
indem sie den Kopf leise drehte. Dann sagte sie: „Ja,
deine Hände fühlen sich weich an, obwohl keine Haut
und kein Fleisch daran zu sehn ist. Das tut ja alles
nichts. Sei nur gut!" „Jch bin dir gut. Aber du sollst
nicht meinen, ich sei der Tod. Habe ich denn nicht warme
Lippen?" Er küßte sie auf den Mund. Sie nahm seine
Hand und küßte sie, ohne zu antworten. Da ließ er sie
und suchte sein Lager wieder auf.
Vierundzwanzig Stunden spater stand sie angekleidet
vor seinem Lager. Sie flüsterte: „Murner, Murner!
Wache auf! Die heilige Frau steht ungeduldig an derTür,
wartet auf uns! Alle Sterne an ihrem Gewand brennen
so sehr, sie ist wie eine Sonne so hell. Murner, Murner!
Du sollst mitgehn, sie will uns irgendwohin führen!" Er
hörte nicht. Da rüttelte sie ihn mit aller Kraft. „Murner!
Erwachst du denn nicht? Das Aimmer ist ja so hell wie
der Tag von allen ihren Sternen! Steh auf, steh auf,
du sollst mit mir gehn!" Er brauchte nicht lange, um
sich fertig zu machen. Ehe er ihr den Arm bot, legte er
ihr noch ein Tuch um die Schultern. Leise schlossen sie
die Tür auf und schlichen so lautlos die Treppe hinunter,
wie die Heilige ihnen voranschwebte. Jhr nach gingen sie
an der Jll hinab bis zum Kanal, am Kanal hinab bis
zum Rhein. Alle Sterne schienen am Himmel: sowohl
die, welche uns sichtbar sind, als die große Überzahl
derer, die für unsere Augen nicht leuchten. Und der
Mantel der Gottesmutter glänzte heller als alle
Sterne, und ihre goldenen Locken flogen im leisesten
Hauch des Nachtwindes, so göttlich und ohne Schwere
waren sie.
Elisabcth war sehr glücklich. Sie hing nicht schwerer
in Murners Arme, als wenn ein Schmetterling, durch
einen spinnwebenen Faden an ihn gefesselt, neben ihm
hergeflogen wäre. Der Stroni rauschte zu ihren Füßen.
Das machten die Wellen, die übereinander fortliefen und
rannten und eine der andern erzählten von den Wundern
der Oberflache und der Tiefe des Meeres, dem sie zuliefen.
Und die Wellen glänzten. Das niachte die Kraft des
sternenbesäten Mantels. Die Heilige blieb manchmal
stehn und erwartete holdselig schauend die Wandernden.
Wenn sie nahegekommen waren, ging sie schnell wieder
geradezu. Dann schimmerten die Gebüsche links von ihr
und die Wasser rechts von ihr, an denen sie vorübereilte.
Elisabeth plauderte immerzu, sie dachte aber nicht an
das, was sie plauderte. Sig machte mit dem Mund
freundliche Worte, um sich Murner freundlich zu er-
weisen. Mit der Seele war sie in die Anschauung der
wandelnden Göttin versenkt.
Als sie eine Stunde Wegs gemacht hatten, gingen
die Sterne auf Mariens Gewande aus. Da fiel ihnen
ein, daß es Nacht war, und sie wurden sehr müde. Und
da stand eine Bank hundert Schritt von ihnen am Ufer,
die war mit weißer Farbe gestrichen, so daß sie dem
Regen trotzte und weithin zu sehn war. „Bis zu dieser
Bank wollen wir noch gehn," sprach er zu ihr, „dann
nehme ich dich auf meinen Schoß, damit du nicht mehr
frierst, und wir schlafen, bis wir nicht mehr müde sind."
Sie schmiegte sich enger an ihn und küßte ihn auf den