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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 4/5
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Blümner, Rudolf: Nachtmar
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0055

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Nachtmar
Rudolf Blümner
Ehe einem die Augen zufallen, glaubt man
nicht an Tod und Teufel und den Holzwurm,
wenn es in Wänden und Kästen Knack und
Krach macht. Aber eine Stunde später wun-
dert sich niemand, wenn er einen Ochsen
zum Vetter hat oder selbst durch ein Nadel-
öhr geht. Wenn er einen Kobold auf dem
Leib hat, der ihn piesackt und ihm das Blut
aussaugt, nichts ist selbstverständlicher. An-
dere haben anständige Kinder. Aber ich habe
einen Kobold auf dem Leib. Von Zeit zu
Zeit raunt er mir etwas ins Ohr von irgend-
einer Mutter, die mit mir im dreizehnten
Grade verwandt ist, oder was so ein Kobold
schwatzt. Ich weiß nicht, wie ich zu der
Vaterschaft gekommen bin. Ich weiß nicht,
seit wann er mir auf dem Leib sitzt. Der
Teufel mag glauben, daß er noch wächst.
Ich weiß kaum, wie er aussieht. Ab und
zu, wenn es grade niemand sieht, reiß ich
ihn mir ab und schleudere ihn ein kleines
Stück von mir. Da sitzt er schon am Bein.
Neulich habe ich ihn so fest angepackt, daß
er geschrieen hat und eine Weile wegflog.
Ich glaubte, er käme nicht wieder, obgleich
ich ihn im Zimmer irgendwo knurren hörte,
wo er sich versteckt hielt. Ich stand Angst
aus, er könnte nicht wiederkommen. Die
ganze Familie versprach sich noch etwas von
ihm. Er ist mir von der Mutter aufs pein-
lichste anvertraut worden. Wenn er nicht
wiederkommt, wird man mich für den Mör-
der des Käfers halten. Manchmal sieht er
auch wirklich aus wie ein Käfer. Es ist ent-
setzlich, wie er sich .an den weichen Fleisch-
teilen, besonders am Unterarm, festhält.
Wenn ich ihn in Ruhe lasse, ist er erträglich.
Aber wenn ich ihn .anfasse und wegnehmen
will, tut es so weh, daß ich ihn lieber leben
lasse. Vor einem Morde würde ich zurück-
schrecken. Es würde ein ungeheures Auf-

sehen machen. Morgen früh schon wüßte es
das ganze Haus.
„Haben Sie schon gehört,“ sagt die Por-
tierfrau zur Modistin, die vorn ihren Laden
hat, „haben Sie schon gehört? Der Kobold
vom Doktor oben ist seit gestern ver-
schwunden.“
„Was Sie nicht sagen! Verschwunden? Sie
meinen, er hält sich versteckt, oder der
Doktor weiß nicht, an welcher Stelle er ihm
grade sitzt. Am Bein merkt mans oft schwer,
wenn er stillsitzt.“
„Das glaube ich nicht, Fräulein Louison.
Oben ist doch schon mal was rnrgekommen.
Die Leute erzählen sich allerlei. Er soll früher
zwei Söhne gehabt haben. Aber das kann
auch Gerede sein. Tatsache ist, daß sein
Kobold seit gestern weg ist. Man hört und
sieht nichts mehr.“
„Das klingt ja gradezu gruslig. Ich bin nur
froh, daß die Sonne scheint. Nachts dürften
Sie mir das gar nicht erzählen.“
Mir selbst läuft ein Schauder nach dem an-
deren über den Leib, wenn ich an solche
Folgen denke. Irgendwo in der Ferne, dort,
wo das Zimmer nicht mehr deutlich zu er-
kennen ist, steht die ganze Familie und paßt
auf, daß ich meinem Kobold nichts zuleide
tue. Jetzt ist er freiwillig weggeflogen. Nicht
ganz freiwillig. Ich wollte ihn vom Unter-
arm wegnehmen. Da ist er mir aus der Hand
gerutscht und saß dann zwischen dem rech-
ten Fuß und dem Schenkel. Da wollte ich
ihn aber auch nicht haben, da hat er nichts
zu suchen. Er sollte meinem Herzen näher
sein, wahrhaftig. Ich hatte diese lästige Ver-
pflichtung übernommen. Es ist qualvoll, wenn
man es mit Pflichten und Kontrakten so ge-
nau nimmt. In dem Augenblick, als ich ihn
vom rechten Beinende wegnehmen wollte,
entwischte er mir und setzte sich auf das
linke Bein. Als ich ihn da heftig berührte,
flog er weg. Das hat er mir angetan. Fs
ist das erstemal in meinem ganzen Leben.
War er gekränkt? Fühlte er sich schlecht be-
 
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