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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 1
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Meckel, Max: Das St. Vincenz-Haus in Hofheim i. T.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0017

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1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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Kreuzgewölbe versehen. In jüngster Zeit sind
Kapelle und Chörchen mit einfachen gemalten
Fenstern ausgestattet worden. Das erste Ober-
geschofs (Fig. 4) enthält im östlichen Flügel, ober-
halb der Kapelle, die Zimmer der Leiterinnen
der Anstalt, zur Zeit Schwestern aus der Ge-
nossenschaft der armen Dienstmägde Christi.
Eine Wendeltreppe, welche sich in der Haupt-
fassade (Fig. 1) als Flankirthürmchen zeigt, ver-
bindet diese Räume direkt mit den Wirthschafts-
räumlichkeiten im Erdgeschofs. Der Altarraum
der Kapelle ist nicht durch ein Zimmer, sondern
durch eine offene, dem Wald zugekehrte Veranda
überbaut. Aufserdem liegen in diesem Stock-
werke noch drei Schlafsäle und ein gröfseres
Schlafzimmer. Der zweite Oberstock hat dieselbe
Eintheilung wie der erste; hier befinden sich
hauptsächlich die Schlafräume für die Kinder. Die
vorerwähnte Wendeltreppe führt als Nebentreppe
auch in dieses Stockwerk hinauf. Alle Räume
sind hoch und luftig; breite, helle Gänge durch-
ziehen das Haus und eine bequeme Treppe ver-
bindet die Stockwerke untereinander. Auch ist in
jedem der letzteren eine Closetanlage, bestehend
aus Vorraum und zwei Closets mit Wasserspü-
lung angebracht.

Das Erdgeschofs ist in Bruchstein-, das Haupt-
geschofs in Backsteinmauerwerk aufgeführt, die
beiden Obergeschosse sind Fachwerkbau. Das
Bruchstein- wie das Backsteinmauerwerk lassen
das Material zu Tage treten und sind mit Weifs-
kalkmörtel verfugt, während die Gefache des
Fachwerkbaues glatt, mit dem Holzwerk bündig
verputzt und mit Kalkmilch abgeweifst sind.
Das rothbraun gestrichene Holzwerk, welches
an den Fenstereinfassungen und sonstigen her-
vorragenden Theilen farbig gefafst und einfach
bemalt ist, hebt sich von den hellen Putzflächen
kräftig ab. Die letzteren sind durch roth auf-
gemaltes Ornament belebt und mit rothen Linien
eingefafst. Die Gesimsgliederungen, die schmiede-
eisernen Wasserspeier, die Dachvorsprünge und
Untersichten sind farbig bemalt, die letzteren
ausschliefslich mit rothen Ornamenten in ein-
facher Zeichnung auf weifsem Grunde. Durch
diesen hellen Anstrich erscheinen die sehr kräftig
vortretenden Dachvorsprünge dennoch leicht;
sie bilden mit dem rothen Ornament eine schöne
Umrahmung der Giebel und eine wirkungsvolle
Einfassung des Dachwerkes.

Von den vier Fassaden des Gebäudes ist
jede anders gestaltet, je nach der Eintheilung

und der Bedeutung der angrenzenden Räume.
Alle Fassaden sind belebt durch Giebel, Erker,
Veranden,Wasserspeier und Malerei. Die in Fig.l
dargestellte ist die nordöstliche dem Städtchen
zugekehrte Ansicht. Das Haus hebt sich in seiner
hellen, vielgliedrigen Erscheinung und seinen
scharf gezeichneten Konturen malerisch von dem
dunklen Waldeshintergrund ab und blickt freund-
lich hinunter in die weite Landschaft, wozu die
Verwendung des verschiedenartigen Materiales,
vor Allem aber der weifse Kalkton sowohl des
Fugenverstriches am Mauerwerk, als auch des
Fachwerkverputzes recht wesentlich beiträgt.

Es ist jammerschade, dafs der Fachwerkbau
bei uns so zu sagen auf den Aussterbeetat gesetzt
ist; in den Städten ist er fast allenthalben ver-
boten und auch auf dem Lande beschränkt durch
die unsinnigen Bestimmungen der Feuerversiche-
rungsanstalten. Und doch ist er laut statistischen
Nachweisen die gesundeste Bauart für mensch-
liche Wohnungen. Was haben unsere Vorfahren
Herrliches in dieser Bauart geleistet, wie reizend
und unerschöpflich an Motiven, Ornamenten,
Verzierungen, von den allereinfachsten bis zu
den reichsten haben sie dieselbe auszugestalten
gewufst! Wie freundlich lacht so ein Rhein-
dörfchen mit seinen heiteren Fachwerkbauten
dem Wanderer entgegen! Nur wenige stehen
noch; viele, viele der prächtigsten Holzhäuser
in den Rheinstädten sind vernichtet, abgebrannt,
der — Feuerversicherungsprämie zum Opfer ge-
fallen. Und welchen Ersatz haben wir dafür er-
halten? Man gehe nur hinaus auf ein modernes
Bauerndorf, betrachte in den Rheinstädtchen die
Häuser, welche an Stelle der alten entstanden
sind: öde Langeweile, krasse Gedanken- und
Formlosigkeit starren Einem entgegen!

In Oberhessen, in der Umgegend von Mar-
burg, finden sich noch heute Reste einer sehr
wirkungsvollen Belebung der Putzflächen an
Fachwerkbauten: Auf den noch frischen und
weichen Kalkputz wurde mit einem Spachtel das
Ornament leicht in die Fläche vertieft und
schwach modellirt, alsdann die vertiefte Orna-
mentfläche mit Kalkmilch, auch wohl mit Farbe
leicht angelegt. Die Tradition dieser Dekorations-
weise hat sich bis auf unsere Zeit und zwar in
Ornamentformen erhalten, welche ihren mittel-
alterlichen Ursprung deutlich erkennen lassen.
Ich hätte diese Dekoration der Fachwerkfül-
lungen gerne am Vincenz-Haus in Anwendung
gebracht, aber es stellten sich unüberwindliche
 
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