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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 2
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Tafel III
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Tepe, Alfred: Die neue Pfarrkirche zu Houten bei Utrecht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0037

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45

1893. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

4G

Die neue Pfarrkirche zu Houten bei Utrecht.

Mit 5 Abbildungen.

ist schon viele Jahre her — noch
überspannte keine Riesenbrücke ei-
ner gewaltigen Ratte gleichend mit
gewölbtem Rücken und unendlichem
Schwanz den Lek und die Flufsniederung bei
Culenborgh — über Linge, YVaal und Maas
trug Fufsgänger und Gefähr ebenfalls auf alt-
väterliche Weise die Gierpont oder fliegende
Brücke — wer von Utrecht nach s'Hertogen-
bosch wollte, zwängte seine Glieder in die gelbe,
hochgethürmte, rasselige Diligence, versenkte
die Füfse in wärmendes Heu oder Stroh und
erreichte nach ungezählten Stunden geräuchert
und gerädert das ersehnte Ziel.

Der Weg führte durch uraltes fruchtbares
Kulturland — vorbei an Bauernhöfen alten
Stils, lindenbeschattet, mit Strohdächern und
Upkammern, begrenzt von weitgedehnten Obst-
gärten — halbzugeworfene Gräben, ein mäch-
tiges Waldviereck, Thurmfragmente, ein schweres
Eisengitter, erinnern hin und wieder an eine
der vielen Burgen, die ehemals das Land be-
herrschten — mächtige Nufsbäume beschatten
die innere Halde des vielfach sich schlängeln-
den Deiches, von dessen Krone sich ein weiter
Ueberblick darbietet — die Niederung ihut sich
auf mit ihren Weiden, grasenden und badenden
Kühen; der Flufs mit seinen Fahrzeugen be-
herrscht die Landschaft — diesseits und jen-
seits ragen unzählige Kirchthürme zum Himmel.
Die erste Station war Houten, etwa zwei
Stunden von Utrecht. Wer sich aus dem Kasten
herausarbeitete, um sich zu vertreten, die Glie-
der zu dehnen oder sich am landesüblichen Ge-
tränke zu erquicken, befand sich auf dem Vor-
platz des Wirths- und Posthauses, unmittelbar
dem alten grauen Kirchthurm gegenüber.

Damals bekümmerte man sich noch nicht
viel um derartige Bauwerke. Man träumte den
Kathedralentraum. Wie eine herrliche Offenba-
rung wirkten des mittelalterlichen Domes inter-
essante folgerichtige Entwickelung, seine kühne
Konstruktion, seine herrlichen Verhältnisse, die
allumfassenden Ideen seines Bildercyklus, seine
Thier- und Pflanzenwelt beherrschende Orna-
mentik. Für den praktischen Künstler war bei
dem Allen ein Uebelstand — er sollte Kathe-
dralen studiren, aber keine errichten — zu bauen
gab es Dorf- und höchstens Stadtkirchen.

Ich fürchte, ich habe den alten Thurm von
Houten damals mit etwas konfusen Gefühlen
betrachtet — so ganz verschieden war er von
allem Gelernten, in Büchern und Prachtwerken
Geschauten. Und doch, tritt uns nicht auch
hier das Mittelalter entgegen, unzweifelhafte Go-
thik und unbestreitbare Schönheit? Sollte das
Kleinere, Verborgene nicht ebenso der Beach-
tung werth sein und gar für unsere Bedürfnisse
und Ziele bei aufmerksamem Studium mehr
Anhaltspunkte und verwendbare Motive bieten,
als das Gewaltige, Grofsartige, Vielgerühmte,
Allbekannte?

Mächtig ragt er empor, der Thurm von
Houten, viereckig, gefällig, naturwüchsig und
historisch. Der einfache Unterbau enthält nur
den ebenfalls einfachen Portalbogen mit ver-
stümmelten Details.

Das erste Stockwerk wird an jeder Seite
belebt durch drei reichprofilirte Nischen; es
folgt eine niedrige, anmuthige, gallerieartige
Zwischenetage mit je fünf Bogenstellungen. Der
Glockenraum zeigt wiederum drei tiefe Nischen
mit Schalllöchern versehen. Steile, unmerklich
in die Vertikale übergehende Wasserschläge ver-
mitteln die Verjüngung; lebendig gegliederte
Strebepfeiler nehmen zuoberst fialenartigen Cha-
rakter an; die fehlende Balustrade hat neuere
Zeit durch ein gewöhnliches eisernes Brücken-
geländer ersetzt — eine flache Thurmhaube
bildet die Bedachung. Das Ganze ist ein Back-
steinbau mit Tuffsteinstreifen. Dem entsprechend
sind auch die schönen Nischenprofile abwech-
selnd in Tuff und Backstein ausgeführt. Das
Maafswerk ist zum Theil geschwunden. Die
Nischenflächen zeigen zwischen den Tuffstein-
streifen mannigfache Backsteinmosaik. Seitdem
sind leider sämmtliche Profile mit Portland-
cement ausgeschmiert.

Wieder drängen sich uns Betrachtungen und
Erwägungen auf. Wie sonderbar stehen wir auch
in technischer Hinsicht so einem alten dauer-
haften Werke gegenüber — mit unserm aka-
demisch-theoretischen Studium, unseren glatten,
nicht immer zuverlässigen Industrieprodukten
aus Stein, Holz, Zink und Pappe; mit unseren
für eine Spanne Zeit zusammengewürfelten Werk-
leuten, mit unserer Hast und Unruhe, häufig
beschränkten Mitteln nebst ausgesprochener
 
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