Abhandlungen.
Studien aus der historisch-
europäischen Ausstellung in Madrid.
II. DerUrsprung der Dürer-Madonna im
Kölner Museum.
in Triptychon aus dem Nachlafs
des Malers Valentin Carderera
(Saal XIV, Nr. 111), jetzt durch
letztwillige Verfügung im Besitz
seiner Vaterstadt Huesca, wahrscheinlich eines
der während des XV. und XVI. Jahrh. in so
grofser Zahl aus den Niederlanden nach Spanien
gebrachten Hausaltärchen, wurde auf der Aus-
stellung kaum beachtet, aufser von den wenigen,
die im Kölner Museum bekannt waren. Diese
entdeckten nämlich da einen Doppelgänger der
aus Wallraf's Sammlung stammenden, angeblich
Durer'schen Madonna (Nr. 523).
Die Hauptgruppe der Mitteltafel des Madrider
Oratorio ist eine fast vollständige, genaue Wieder-
holung der Kölner Leinwand, in Oelfarben, in
etwas verkleinertem Maafs und von einer anders
geschulten Hand. In dem wunderlichen Kind
z. B. findet sich kein Fingergliedchen, das nicht
ebenso gebogen wäre. Nur die Sehachse ist
stark seitlich nach der Blume gerichtet. Auch
ist diese Blume keine Nelke, sondern eine viel-
blätterige weifse Rose. Ebenso stimmen Stellung
und Geberde der Mutter, nur dafs sie in ganzer
Figur erscheint. Sie thront nämlich auf der
nach oben geöffneten Mondsichel. Die goldene
Strahlung ist von konzentrischen, dreifarbig ge-
brochenen, irisirenden Zonen umschlossen. Die
Madonna ist aber nicht einsam. Zwei stille,
holde Engelgestalten stehen ihr zur Seite, Geige
und Mandoline rührend, und zwei kleine
schwebende Engel halten die Himmelskrone
über ihren Scheitel. Auf den Flügeln treten
die hl. Katharina und Barbara hinzu. Sie stehen
auf dem Grund eines rothen und eines dunkel-
grünen Vorhangs, in dem die Spuren der zu-
sammengefalteten Aufbewahrung erkennbar sind.
Die Malweise dieses Werkchens hat mit der
Dürer's zu irgend einer Zeit, und überhaupt
mit der der Oberdeutschen, keine Verwandt-
schaft. Auch von Martin Schongauer liegt sie
in Typen, Malweise, Proportionen (in den
Armen), Linienführung, Faltenwurf (röhrenartig
mit stumpfwinkeligen Buchten) weit ab. Ebenso-
wenig vermag man an die Kölner Anonymi An-
klänge zu finden. Eher könnte die fleifsige, weiche
Ausführung, das frische Inkarnat mit grauen
Halbtönen auf einen Spätling der flämischen
Schule führen.
Das Kölner Bild führte offiziell von jeher
den Namen Dürer, obwohl Niemand am Rheine
recht daran glaubte. Bei Wolfgang Müller von
K. (Katalog von 1862) steht es mit einem „an-
geblich" und ? Selbst Merlo's Lokalpatriotismus
hat die Aufnahme in sein »Künstler-Lexikon«
(S. 101) nicht über's Herz gebracht. In die
Biographien von Heller bis Thausing und L.
Kaufmann war diese Madonna nicht eingelassen
worden, schwerlich, weil „Niemand daran ge-
dacht hat, sie gründlicher zu prüfen". Sollten
wirklich die bisherigen Dürer-Autoren an dem
in einem so bequemen Museum sich als Dürer
ankündigenden Stück vorbeigegangen sein, blofs
weil sie sich von den ungezählten falschen
Perlen dieses Namens her eine unüberwindliche
Skepsis angewöhnt hatten? Genug, erst vier Jahre
sind es her, als es der vorurteilsfreieren For-
schung eines leidenschaftlichen Dürer-Verehrers
beschieden wurde, „die Madonna mit der Nelke"
aus der Nische bescheidener Zweifelsdämme-
rung, in der sie ein geräuschloses Dasein führte,
triumphirend hervorzugeleiten. Die Suggestion
des „neuentdeckten" Dürer-Originals durch den
übrigens gewandt und beredt geschriebenen Auf-
satz ist denn auch, wie zu erwarten, von Nah und
Fern, doch nein! wohl nur aus der Ferne, freudig
(glaubensfreudig) aufgenommen worden. In der
Nähe eher mit einem gelinden Schrecken.
Sollte das Bild wirklich von der Forschung
unbeachtet geblieben sein? Wenn man alles was
auf den Namen Albrecht Dürer geht, kritisch
behandeln wollte, so würde ein Leben Dürer's
durch nicht gerade werthvolles Gepäck doch
gar zu sehr belastet werden. In unserer Zeit,
zu deren Bestem ein berühmter Psychiater das
Wort Graphomanie erfunden hat, ist es em-
pfehlenswerth, todtgeborene Einfälle und Hypo-
thesen (wie z. B. die der Identität des Holländers
Jan van Scorel mit dem Meister vom Tode der
Studien aus der historisch-
europäischen Ausstellung in Madrid.
II. DerUrsprung der Dürer-Madonna im
Kölner Museum.
in Triptychon aus dem Nachlafs
des Malers Valentin Carderera
(Saal XIV, Nr. 111), jetzt durch
letztwillige Verfügung im Besitz
seiner Vaterstadt Huesca, wahrscheinlich eines
der während des XV. und XVI. Jahrh. in so
grofser Zahl aus den Niederlanden nach Spanien
gebrachten Hausaltärchen, wurde auf der Aus-
stellung kaum beachtet, aufser von den wenigen,
die im Kölner Museum bekannt waren. Diese
entdeckten nämlich da einen Doppelgänger der
aus Wallraf's Sammlung stammenden, angeblich
Durer'schen Madonna (Nr. 523).
Die Hauptgruppe der Mitteltafel des Madrider
Oratorio ist eine fast vollständige, genaue Wieder-
holung der Kölner Leinwand, in Oelfarben, in
etwas verkleinertem Maafs und von einer anders
geschulten Hand. In dem wunderlichen Kind
z. B. findet sich kein Fingergliedchen, das nicht
ebenso gebogen wäre. Nur die Sehachse ist
stark seitlich nach der Blume gerichtet. Auch
ist diese Blume keine Nelke, sondern eine viel-
blätterige weifse Rose. Ebenso stimmen Stellung
und Geberde der Mutter, nur dafs sie in ganzer
Figur erscheint. Sie thront nämlich auf der
nach oben geöffneten Mondsichel. Die goldene
Strahlung ist von konzentrischen, dreifarbig ge-
brochenen, irisirenden Zonen umschlossen. Die
Madonna ist aber nicht einsam. Zwei stille,
holde Engelgestalten stehen ihr zur Seite, Geige
und Mandoline rührend, und zwei kleine
schwebende Engel halten die Himmelskrone
über ihren Scheitel. Auf den Flügeln treten
die hl. Katharina und Barbara hinzu. Sie stehen
auf dem Grund eines rothen und eines dunkel-
grünen Vorhangs, in dem die Spuren der zu-
sammengefalteten Aufbewahrung erkennbar sind.
Die Malweise dieses Werkchens hat mit der
Dürer's zu irgend einer Zeit, und überhaupt
mit der der Oberdeutschen, keine Verwandt-
schaft. Auch von Martin Schongauer liegt sie
in Typen, Malweise, Proportionen (in den
Armen), Linienführung, Faltenwurf (röhrenartig
mit stumpfwinkeligen Buchten) weit ab. Ebenso-
wenig vermag man an die Kölner Anonymi An-
klänge zu finden. Eher könnte die fleifsige, weiche
Ausführung, das frische Inkarnat mit grauen
Halbtönen auf einen Spätling der flämischen
Schule führen.
Das Kölner Bild führte offiziell von jeher
den Namen Dürer, obwohl Niemand am Rheine
recht daran glaubte. Bei Wolfgang Müller von
K. (Katalog von 1862) steht es mit einem „an-
geblich" und ? Selbst Merlo's Lokalpatriotismus
hat die Aufnahme in sein »Künstler-Lexikon«
(S. 101) nicht über's Herz gebracht. In die
Biographien von Heller bis Thausing und L.
Kaufmann war diese Madonna nicht eingelassen
worden, schwerlich, weil „Niemand daran ge-
dacht hat, sie gründlicher zu prüfen". Sollten
wirklich die bisherigen Dürer-Autoren an dem
in einem so bequemen Museum sich als Dürer
ankündigenden Stück vorbeigegangen sein, blofs
weil sie sich von den ungezählten falschen
Perlen dieses Namens her eine unüberwindliche
Skepsis angewöhnt hatten? Genug, erst vier Jahre
sind es her, als es der vorurteilsfreieren For-
schung eines leidenschaftlichen Dürer-Verehrers
beschieden wurde, „die Madonna mit der Nelke"
aus der Nische bescheidener Zweifelsdämme-
rung, in der sie ein geräuschloses Dasein führte,
triumphirend hervorzugeleiten. Die Suggestion
des „neuentdeckten" Dürer-Originals durch den
übrigens gewandt und beredt geschriebenen Auf-
satz ist denn auch, wie zu erwarten, von Nah und
Fern, doch nein! wohl nur aus der Ferne, freudig
(glaubensfreudig) aufgenommen worden. In der
Nähe eher mit einem gelinden Schrecken.
Sollte das Bild wirklich von der Forschung
unbeachtet geblieben sein? Wenn man alles was
auf den Namen Albrecht Dürer geht, kritisch
behandeln wollte, so würde ein Leben Dürer's
durch nicht gerade werthvolles Gepäck doch
gar zu sehr belastet werden. In unserer Zeit,
zu deren Bestem ein berühmter Psychiater das
Wort Graphomanie erfunden hat, ist es em-
pfehlenswerth, todtgeborene Einfälle und Hypo-
thesen (wie z. B. die der Identität des Holländers
Jan van Scorel mit dem Meister vom Tode der