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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 2
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Firmenich-Richartz, Eduard: Der Pallant'sche Altar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0030

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Abhandlungen.

Der Pallant'sche Altar.

Mit 3 Lichtdrucken (Tafel I im vorigen,
Tafel II u. III in diesem Heft).

n erster Linie scheint es immer wieder
der Zauber einer räthselhaften Künstler-
persönlichkeit zu sein, was den modernen
Betrachter an ein ehrwürdiges Denkmal
älterer Kunst fesselt. Selbst jene Ge-
staltungen, welche wir dem mittelalter-
lichen Kultus und Kunstfleifse verdanken,
scheinen dem profanen Auge nur persön-
liches Empfinden, menschliche Schick-
sale, individuelle Fortschritte zu enthal-
ten, deren Deutung und Ergründung nach
der Meinung Vieler die vornehmste Pflicht
des Forschers bliebe. Auch in der Kunst
scheint erst mit dem Erdgeschmack ein
menschliches Interesse zu beginnen. Zwar
C ist es Jedem wohlbekannt, wie im ge-

sammten bürgerlichen Streben und Leben des
Nordens bis in das XV. Jahrh. das persönliche
Element im Allgemeinen stark zurücktrat, wie
die Kunstübung innerhalb der Zünfte alle Kräfte
möglichst gleichmäfsig schulte, der Begriff per-
sönlichen Ruhms vor dem gemeinsamen Ideale
erblich, und dennoch fragt der Laie vor jedem
Werk, das einen Blick in die Natur voraussetzt,
jedem Abbild menschlicher Gestalt und Schön-
heit zunächst nach deren Urheber, fixirt der
Kunstfreund den Begriff eines malerischen Stils
erst mit einem Kalender- oder Familiennamen.
Mit der Bezeichnung „Meister Wilhelm"
wendet sich der Kunsthistoriker zu den lieb-
lichen Schöpfungen altkölnischer Malerei, den
frühen Versuchen, seelisches Leben, Anmuth und
Innigkeit des Gefühls zu schildern, und hegt
im stolzen Besitz des Namens nun auch die
Hoffnung, dem alten Meister mit Beistand der
Mystiker in „das Herz seines Geheimnisses" zu
dringen. Er wünscht den mittelalterlichen Künst-
ler recht eigentlich „von seiner tiefsten Note bis
zum Gipfel seiner Stimme hinauf" zu prüfen und
klammert sich daher an Alles, was nur irgend auf
eine greifbare Persönlichkeit hinzudeuten scheint.
Ein karger Bericht genügt, die gewagtesten
Hypothesen in die Luft zu bauen. Auf dem ver-

worrensten Pfade folgt der Künstler-Biograph
einer unsichern Spur. Nach Art der Roman-
tiker weifs man sich über jedes Hemmnifs weg-
zusetzen, jede Lücke zu füllen. Wo der er-
wünschte Zusammenhang zwischen den Kunst-
werken und ihrem Meister fehlt, da „vermuthet"
man ihn, die dichtende Phantasie stützt die vor-
gefafste Meinung, so schreitet man fort, glaubt
und wähnt sich zuletzt auch im Besitz des Er-
sehnten.

Der hervorragende Kunstwerth der fraglichen
Gemälde verbürgt die Popularität der Behaup-
tung, in dem Clarenaltar und Verwandtem die
unzweifelhaften Zeugnisse einer bestimmten im
XIV. Jahrh. dominirenden Künstler-Erscheinung
zu erblicken; man ist stolz auf den grofsen
Namen, der den Ruhm der Vaterstadt schon
in so früher Zeit in alle Welt hinaustrug, lebt
der Ueberzeugung, über die „organische Ent-
wicklung" heimischer Kunst wohl orientirt zu
sein, und zuletzt ist dies Traumgebilde „Meister
Wilhelm" ernsthaften Gelehrten wie den Samm-
lern so sehr zur Herzenssache geworden, dafs
sie entschlossen sind, ihre Utopie auch mit dem
letzten Aufgebot noch zu vertheidigen.

Eine genaue Zeitbestimmung kölnischer Bil-
der, eine einfache, von jedem ausgeklügelten
System absehende Deutung ihres religiösen Ge-
haltes und eine sorgfältige Beobachtung stilisti-
scher Unterschiede, der Merkmale des Pinsels,
dürften nun aber der Geschichtskunde ungleich
höhere Dienste leisten, wie Deklamationen über
den Werth und die Bedeutung erträumter Künst-
ler-Charaktere aus der Legende der Kunstge-
schichte. So wird man es denn wohl dem Ver-
fasser verzeihen, wenn er vor einem hervor-
ragenden rheinischen Altare, bei dessen erstem
Anblick jedem Kunsthistoriker ein volltönender
Name auf den Lippen schwebt, sich jeder Taufe
enthält und sein Augenmerk zuerst auf die Zeit-
bestimmung des Werkes richtet.

Zu einer nähern Datirung der in diesem
Hefte reproduzirten Gemälde und des
im vorigen Hefte abgebildeten Holz-
reliefs der Madonna mit sechs Engeln, welche
aus der Pfarrkirche zu Roerdorf in die Samm-
lung Nelles in Köln gelangten, führen zunächst
 
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