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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 1
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Meckel, Max: Das St. Vincenz-Haus in Hofheim i. T.
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Tafel I
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0020

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15

1893.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

IG

Schwierigkeiten entgegen. Vor allen Dingen
waren die Arbeiter dafür nicht geschult — an
dem Nichtkönnen der zur Verfügung stehenden
Arbeitskräfte scheitert so manchmal der gute
Wille des Architekten — es war denselben nicht
möglich, den Charakter des Ornamentes richtig
wiederzugeben. Ich mufste mich daher mit Auf-
malen des letzteren in Kalkfarbe begnügen. Die
Ornamente wurden auf die Füllungen aufge-
tragen und ohne Konturen mit einem kräftigen
rothenLokalton angelegt, an den Ausläufen etwas
dunkler nachgeholt. Die Farben haben in ihrem
jetzt sechsjährigen Bestehen nichts von ihrer
ursprünglichen Kraft und Frische eingebüfst.
Solche aufgemalten Flächenornamente habe ich
vielfach an alten Fachwerkhäusern am Rhein
unter der Tünche gefunden und zwar direkt auf
den ursprünglichen Putz aufgemalt.

Sehr schlimm ist aber der Architekt mit der
Zimmermannskunst daran, wenn es sich darum
handelt, auch nur einfache und handwerksmäfsig
herzustellende Verzierungen ausführen zu lassen.
Dort ist die Tradition vollkommen abhanden
gekommen. Vor einigen Wochen war ich in dem
elsässischen Städtchen Reichenweyer, welches
noch eine Fülle von reizenden Ueberresten aus
dem Mittelalter und der Frührenaissance besitzt.
Dort fand ich an den beiden Giebelpfosten eines
alten Fachwerkhauses zwei auf der Ecke stehende
lebensgrofse Figuren geschnitzt, einen Schlosser
und einen Zimmermann in ihren Werkkleidern
darstellend, mit Schurzfell, Hammer und Zange
bezw. Axt. Die Figuren sind flach auf die Pfosten
aus dem vollen Holz geschnitten, etwas hand-
werksmäfsig zwar, aber mit vollem Verständnifs
für die gute Wirkung, und durchaus stilvoll be-
handelt. An einem anderen Hause sind reizende
Ornamente und Verzierungen in die Fläche der
Fachwerkpfosten und Riegel eingeschnitten, an
dem dritten eine prächtige Fensterumrahmung,
eine Auskragkonsole u. s. w. Alle diese Arbeiten
sind offenbar vom Zimmermann gemacht und
zwar ohne Modell, denn jede Verzierung ist
anders, so, wie sein künstlerischer Sinn es dem
Verfertiger im Augenblicke der Arbeit eingab.
Gerade solche Details bilden einen Hauptreiz
an den alten Fachwerkhäusern. Leider ist das
heute kaum mehr zu erreichen: gesetzt, der
Architekt hätte den „kühnen" Gedanken, eine
soeben besprochene Pfostenfigur aufschnitzen zu

lassen, da mufs er zuerst die Zeichnung thun-
lichst in Naturgröfse machen, dann ein Modell
anfertigen lassen und zuletzt wird der Holz-
schnitzer herbeigeholt. In vielen Fällen erkennt
der Verfasser nachher sein Werk nicht mehr
wieder, in den meisten findet er nicht wieder-
gegeben, was er gewollt hat; aber allen diesen
Arbeiten fehlt die naive Frische und Ursprüng-
lichkeit, die geschickte Benutzung des Materials
und der damit verbundenen Zufälligkeiten.

Kehren wir zu dem St. Vincenz-Haus zurück:
Es bleibt noch zu berichten übrig, dafs dasselbe
in den Jahren 1886/87 erbaut wurde und die Bau-
kosten 72000 Mk. betragen haben. Im Juni 1888
wurde das Haus und die Anstalt im Sinne des
Stifters eingerichtet. Dieselbe kann 30 bis 40
rekonvalescente Kinder gleichzeitig aufnehmen,
aufserdem hat sie noch einige Schlafräume, einen
Speise- und einen Arbeitssaal für erwachsene
Mädchen, welche in Geschäften thätig sind und
gegen einen mäfsigen Pensionspreis sich hier
von den Anstrengungen ihres Berufes erholen
und neu kräftigen können. Diese letztere Ein-
richtung hat sich als ganz besonders wohlthätig
erwiesen. Ferner ist ein eigener Saal für Schul-
kinder eingerichtet, welche während der Ferien-
zeit ebenfalls gegen mäfsigen Pensionspreis dem
Hause anvertraut werden können und zuletzt sind
noch einige Zimmer zur Aufnahme erholungs-
bedürftiger, wenig bemittelter Damen übrig,
welche Zimmer im Sommer fast immer besetzt
sind. So gewährt die Anstalt während einer
Sommersaison oft über 200 Menschen Erholung
und Wiedergenesung.

Die rekonvalescenten Kinder bleiben ge-
wöhnlich vier Wochen in Pflege, besonders
schwachen und noch der Stärkung bedürftigen
kann dieselbe auf weitere vier Wochen verlängert
werden. Aufser einer täglichen Handarbeits-
stunde haben die Pfleglinge keinen Schulunter-
richt, sondern tummeln sich bei schönem Wetter
unter Aufsicht den ganzen Tag über in dem
der Anstalt gehörenden und durch Einfriedigung
nach Aufsen abgeschlossenen Wald umher. Die
Regentage werden im Hause zugebracht, wo-
für ein grofser Spielsaal eingerichtet ist. Im
Sommer 1889 wurde 91, 1890 86 und 1891
137 Kindern Aufenthalt und Pflege in der
Anstalt zu Theil.

Frankfurt a. M. M. Meckel.
 
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