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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Tafel I
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Stummel, Friedrich: Die Dekoration der Sainte Chappelle und der Notre-Dame Kirche zu Paris
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29

1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

30

I

den ganzen Bau beherrschen. Eine tiefe, salle Farben-
stimmung aus Blau, Roth, Gelb, Weifs läfst ein ge-
dämpftes, mildes Licht den Raum durchflulhen und
vollendet das erhabene Gefühl des Wellenlriicktseins.
Die Zahl der Darstellungen eines einzelnen Fensters
wechselt zwischen 121 und 30. Figur und Ornament
binden sich zu einem gleichwerthigen Farbenteppich,
aber von dem Inhalt ist nur nach sehr langem Suchen
und aufmerksamem Betrachten der Gegenstand der Dar-
stellungen herauszufinden. Es mag dies von Manchem
als ein Mangel empfunden werden, besonders von Solchen,
welche Alles verständig und leicht zergliedern wollen
und denen das Gemüth oder auch der Farbensinn fehlt,
um diese Fluthen harmonischer Akkorde als etwas Er-
hebendes zu empfinden. Wenn ich auch das Verlangen
nach etwas mehr Erkennbarkeit der Gegenstände nicht
als ungerechtfertigt bezeichnen will, so mufs ich doch
gestehen, dafs es ein sehr verkehrtes Unternehmen ist,
diese im kleinen Maafsslabe der Figuren mustergültige
Kunst unter Anwendung gleicher Ausführung in gröfse-
ren Figuren modernen Wünschen nach bildartiger Wir-
kung anzupassen. Es ist schon viel Verkehrtes und
Geschmackloses auf diese Weise entstanden. Niemals
wird ein Fenster einen schlechten Totaleindruck machen,
wenn die einzelnen Glasstücke so zierlich uud klein
sind, aber wie viele monströse Leistungen sind aus
dem Streben hervorgegangen, mit grofsen Figuren eine,
die ganze Umgebung todtschlagende Wirkung hervor-
zubringen. Wer absolut eine bildartige Wirkung im
Fenster wünscht, mufs nicht die Mittel der Frühgolhik
gebrauchen wollen. Die vollen, schweren Töne leiden
es nicht in grofsen Stücken aufzutreten; das Weifs ist
hier aber spärlich in dünnen Linien angewandt, um-
säumt die Haupteinlheihmg und kehrt nur in kleinen
Theilen innerhalb der Füllung wieder. Die spätere
Gothik, welcher in der St. Chapelle die grofse Rose
angehört, mit ihrer reichen Verglasung die Apokalypse
darstellend, wendet das Weifs und die neutralen Farben
des Violett und Grün vorwiegend an und die Neutra-
lität des Weifs erlaubt schon gröfsere Massen derselben
Farblosigkeit, in die dann Blau, Roth und Gelb in
kleinern Portionen hineingestreut sein können. Ver-
gleicht man aber die Rose in dieser kühlem Stimmung
mit den tiefen und warmen Tönen der übrigen Fenster
der frühem Periode, so ist es keine Frage, dafs die
schönem, erhabenem Akkorde in diesen altern Glas-
malereien angeschlagen sind.

In Selbstvergessenheit war mir die Zeit in St. Cha-
pelle schnell entschwunden, die warmen Strahlen der
sich neigenden Wintersonne erhöhten den so schon so
feierlichen Eindruck dieses kleinen Gotteshauses und
als ich mich endlich aufmachte, die nahe Kathedrale
Notre-Dame zu besuchen, war die Dämmerung schon
so weit vorgerückt, dafs nur die mächtigen Silhouetten
der ernsten Formen einen allgemeinen Eindruck" her-
vorriefen.

Am Weihnachstage eilte ich wiederum zu Notre-
Dame, um dem feierlichen Ilochamte beizuwohnen.
Bei einem ersten Besuche vor vielen Jahren halte Notre-
Dame einen frostigen Eindruck hervorgerufen. Wer
weifs, dafs hier im vorigen Jahrhundert die Revolution
ihre wilden Orgien gefeiert hat, wundert sich nicht,
dafs so wenige Zeugnisse der Frömmigkeit vergangener

Jahrhunderte in der Ausstattung der Kirche sich er-
hallen haben. Unter der Leitung des Architekten Viollet-
le-Duc ist aufser der baulichen Restauration auch eine
Bemalung der Seitenschiffe vorgenommen worden und
die Fenster haben eine ornamentale Verglasung er-
halten. Kommt man von den vollen, warmen Tönen
der St. Chapelle oder auch nur aus dem Sonnenschein
da draufsen herein, so bringen diese Fensler, beson-
ders auf der Nordseite, das Gefühl auf den Gefrier-
punkt, mit ihren bläulichen und grünlichen, kalten
Tönen. Die Malereien der Wand beschränken sich
auf eine Tapetenmalerei im Grofsen. Diese mächtigen
Wandfiächen mit reichen Ornamentbordüren eingefafst
und die grofsen Flächen endlos mit stilisirten Lilien
und andern Formen gemustert, machen in den wässe-
rigen, blassen Tönen einen langweiligen Eindruck und,
was das Schlimmste ist, die Farbengegensätze sind so
zersplittert, dafs von einer Trennung der Flächen von
den relifierten Gliedern gar keine Rede mehr ist. Die
einzelnen kräftigen Säulen, welche die Gurten tragen,
sind durch so grofse Muster verziert, dafs man in der
einfachen Ansicht der Säule weder Anfang noch Ende
des einen Muslers erkennen kann, während die Alten
mit Recht stets darauf Rücksicht nahmen, dafs eine
solche Verzierung auf der Rundung nicht nur ganz,
sondern aufserdem noch '/2- oder '^mal zu sehen war.
Der Eindruck der konstruktiven Glieder der schönen
Architektur ist sehr verwischt, anstatt dafs er durch
die Malerei gehoben würde. Grofse Flächen soll man
niemals in volle Farben zu setzen versuchen, wenn
nicht eine reiche Gliederung und figurale Bemalung es
durch den reichen Inhalt an Gedanken rechtfertigt und
die aus diesen entstehenden mannigfaltigen Formen
einen reichern Farbenwechsel in kleinem Farbenflecken
ermöglichen. Je ungeteilter eine grofse zu bemalende
Fläche ist, um so mehr mufs sie neutral im Tone sein
und unsere alten Meister lhaten klug daran, entweder
alle Flächen weifs und nur die tragenden Glieder far-
big zu halten bei einfacher Dekoration, oder aber den
vollen Klang des Akkordes Roth, Blau, Gold bei reicher
Figurenmalerei ausschliefslich zu gebrauchen und dann
auch derart, dafs durch die Farbengegensätze Wand
und tragendes, plastisches Glied klar geschieden bleiben.
Hier und da sind einige Figuren in sogen. Kontur-
malerei angebracht. Am meisten ist dieses in den
beiden Kreuzarmen geschehen, aber nirgendwo offen-
bart sich die Schwäche dieser modernen Dekoration
einleuchtender, als eben hier. An der Südseile ist die
Eingangswand des Kreuzarmes mit drei grofsen Blend-
arkaden in reichem Malswerk gegliedert; zwischen diesen
sind Nischen angebracht, in rother Farbe angestrichen,
mit Baldachinen darüber. Jede Blende ist durch drei
Rundstäbe nebst Hohlkehle in vier Felder eingetheilt.
Der mittlere Rundstab ist hellgelb, die zwei seitlichen
blafsgrau, die Hohlkehle hellrosa und der Grund der
obem Fläche hellblau, auf welcher je vier Figuren ge-
malt sind. Unter diesen ist ein violetter Teppich mit
hellblauen Blumen angebracht. Die Slandfiguren sind,
wenn auch etwas modern, ganz gut gezeichnet in rothen,
grünen und braunen Gewändern, welche dunkel von
dem blafsen Grunde absetzen. Doch es ist leicht zu
begreifen, dafs bei den oben beschriebenen Farben von
einem Hervortreten der plastischen Glieder gar keine
 
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