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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 5
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Beissel, Stephan: Zur Reform der Ikonographie des Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0096

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159

1893.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 5.

160

In den meisten Fällen wird ein Mittelweg
eingeschlagen werden müssen, welcher weder
der Hyperkritik das Feld räumt, noch den alten
Ueberlieferungen widerspricht. Einige Beispiele
mögen dies darthun.

Vielleicht behauptet Jemand, die Erzählung,
ein Bienenschwarm habe sich dem hl. Ambro-
sius auf die Lippen gesetzt, sei unwahr. Trotz-
dem kann der Maler dem grofsen Kirchenlehrer
einen Bienenstock auf's Buch setzen und einige
Bienen um ihn schwärmen lassen, um anzu-
deuten, dafs der Bischof nach dem Ausdruck
der Alten gleich dem hl. Bernard „honigsüfs"
redete.

Ebenso darf ein Bildhauer den hl. Christo-
phorus mit gutem Gewissen nach alter Art dar-
stellen, obgleich er vielleicht auch glaubt, dafs
die landläufige Legende nicht den Thatsachen
entspricht. Das vom Riesen getragene Kind er-
innert dann nach Cahier (»Caracteristiques des
Saints« II. 447 und Molanus 1. c. Hb. III c. 27)
nur an den Namen „Christusträger", das Wasser
an die Trübsal des Martyriums, wodurch der
Heilige zum Gestade der Ewigkeit kam. Als
Konzession an den heutigen Geschmack wird
aber der Künstler sich vielleicht bescheiden,
seinen „Christoffel'' nur um eine Kopflänge
gröfser als andere Sterbliche zu bilden. Warum
man ihn nicht, wenigstens da, wo er als Patron
gilt oder noch viel verehrt wird, nach alter Sitte
in die Nähe des Portals setzen dürfte, ist schwer
abzusehen, so lange man an der Verehrung der
Heiligen festhält.

So steht auch nichts im Wege, trotz der
übrigens noch lange nicht geendeten Kontro-
verse über die hl. Ursula und ihre Gesellschaft,
fast alle alten Bilder, worin ihre Legende ge-
schildert ist, im Wesentlichen als Vorbilder zu
benutzen, wenn man nur den Papst, vielleicht
auch die Bischöfe, wegläfst. Zehntausend wird
kein Maler in sein Bild bringen und die Jung-
frauen, welche er dort um Ursula sammelt, wird
Niemand zählen.

Den Heiligen, welche ihr Haupt nach dem
Tode noch so und so viele Schritte weit ge-
tragen haben sollen, kann man dies Haupt im
Bilde in die Hand geben, auch wenn man jenes
Wunder nicht annimmt. Hatte doch dies Tra-
gen ursprünglich (wenigstens in vielen Kunst-
werken) nur sagen wollen: Dieser Heilige hat
sein Haupt, sein Leben, Gott geopfert. Er trägt

also im Bilde das Haupt, wie andere Schwert,
Lanze oder Keule führen. Uebrigens darf man
jene Heilige ja auch anders, also mit dem Richt-
schwerte darstellen. Warum läfst man den hh.
Viktor, Quirin, Gereon, Cassius und Florentius
nicht ihre hergebrachten Wappen? Sie haben
kein solches Wappen geführt, als sie noch lebten!
Aber war ihr Schild nicht mit irgend einem
Bilde geziert, führen sie dies Wappen nicht seit
fast einem halben Jahrtausend, dient es nicht
zu ihrer Unterscheidung und erinnert es nicht
an die Wappen ihrer Stiftskirchen? Dagegen
kann auch derjenige ganz gut die drei Mitren
in Bildern der hh. drei Könige weglassen, welcher
noch glaubt, sie seien Bischöfe geworden. Warum
Widerspruch hervorrufen in Dingen, deren Wahr-
heit zum Wenigsten sehr unsicher ist? Warum
gibst du dem hl. Dionysius die Schriften des
x\reopagiten in die Hand? Bilde ihn als Bischof,
der um des Glaubens willen zu Paris enthauptet
ward, und überlasse den Gelehrten den Streit
wegen des Uebrigen.

Bei sehr vielen Legenden wird der Künstler
den Kern festhalten, aber in Schilderung der
Einzelnheiten vorsichtig sein müssen. Darum
wäre es gut, wenn unsere Maler, Bildhauer und
die „Bilderfabrikanten", von denen man nicht
verlangen kann, dafs sie in Geschichte und
Theologie auf der Höhe stehen, bei Fachleuten
etwas mehr Belehrung suchten, um der Wahr-
heit näher zu kommen, und um nicht alte Irr-
thümer durch neue Fehler zu steigern. Wollen
sie den historischen Stoff ihrer entstehenden
Werke selbst studiren, wollen sie die wechseln-
den Formen, worin er gekleidet worden ist,
selbst durchforschen, um den Kern zu finden,
herauszuschälen und in verbesserter Gestalt her-
auswachsen zu lassen, desto besser. Sie thun
dann, was Cassiodor verlangte, der seinen Brie!
mit den goldenen Worten schliefst: Die Er-
haltung und Erneuerung der Wunderwerke Roms
„mufs in die Hand eines sehr erfahrenen Mannes
gelegt werden, damit er nicht zwischen den
überaus geistvollen Schöpfungen der Vorfahren
hölzern zu sein scheint und ohne Verständnifs
der grofsen Gedanken, welche die alte Kunst
in ihren Werken verkörperte. Er möge darum
die Schriften der Alten lesen und sich unter-
richten, damit er nicht unwissender sei als jene,
an deren Stelle wir ihn gesetzt sehen."

Exaeten. Steph. Heifsel.
 
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