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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 6
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Destrée, Joseph: Ein Altarschrein der Brüsseler Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0106

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179

1893.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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denträger der Bruderschaft niedergeschrieben
worden. Unter denTausenden von Namen, welche
sie enthält,6) bemerken wir folgende: Philipp,
Herzog von Burgund, Adolph, Herr von Cleve
und von Ravenstein, seinen Sohn, Monseigneur
Philipp, Anton, Bastard von Brabant; die Offiziere
des herzoglichen Hofes; Künstler, wie Roger
van der Weyden, und zu unserm nicht geringen
Erstaunen: Adriaen de Villa Lombaert,
Petrus de Villa Lombaert te Brüssel.

Die mächtigen Herzöge von Burgund waren
sehr prachtliebende Herren und mufsten oft die
Hülfe jener durch die Hofhaltung nach Brüssel
gelockten, wenig Vertrauen erweckenden Geld-
leiher in Anspruch nehmen. Von diesen fremden
Wechslern wurde das Volk hart ausgesogen. Es
erhob wiederholt bittere Klagen, so dafs sich
schon um 1450 Philipp der Gute veranlafst sah,
die Eröffnung neuer Wechselgeschäfte nicht
mehr zu gestatten und das Versprechen zu geben,
die bestehenden Leihhäuser streng überwachen
zu wollen. Ob sein Eingreifen sehr erfolgreich
gewesen, ist sehr fraglich. Es war schon früher
einmal nothwendig, gelegentlich eines Falles, bei
welchem das Unrecht nicht gerade auf Seiten
der Wucherer war.7)

Im Jahre 1449 liefs Herzog Philipp einen
Unglücklichen, der piemontesische Bankiers be-
trogen hatte, wieder in Freiheit setzen, und merk-
würdigerweise ist es Pierre de Villa, der in den
»Archives du Nord« als betrogen genannt wird:
„Begnadigung fürGuillaumeCathul,einen
armen jungen Burschen, Schreibers und
Dieners des Bon de Villa und des Pierre
de Villa, Inhabern eines Leihhauses in
Courtray, von welchem Cathul zu seinem
eigenen Vortheil entliehen hatte, wes-
wegen er gefangen gehalten wurde." Dieser
Pierre de Villa wird mit Petrus de Villa eins
sein, und wir glauben annehmen zu dürfen,
dafs er Courtrai verliefs, um sich in Brüssel
niederzulassen, wo die glänzende Hofhaltung
der Herzöge ein fruchtbares Feld für Handels-
bestrebungen aller Art bieten mufste.8) Aber in
dieser Stadt entstand eine Bewegung gegen das

6) »Revue d'Histoire et d'Archeologie« Bd. II,
Artikel von Charles Ruelens über die Bruderschaft
des h. Kreuzes zu Brüssel.

7) »Histoire du commerce en Belgique« L, II.
S. 131. »Inventaire des archives du royaume de Bel-
gique» III., 4.

8) »Inventaire des archives du Nord« I., 10 S. 185.

Treiben der Wucherer, und 1619 wurde das
erste Leihhaus dort eröffnet. Schon früher hatte
die Geistlichkeit der öffentlichen Meinung Ge-
nugthuung gegeben und im Geiste der Kirche
den Wucher scharf getadelt. An dieses Vor-
gehen knüpft sich die Entstehungsgeschichte
des Brüsseler Friedhofes St. Martin, welcher sich
an der Stelle der jetzigen Rue du Parchemin
befand und nach M. A. Wauters wahrscheinlich
als Ruhestätte der Opfer von Epidemien, jeden-
falls aber für die Wucherer benutzt wurde,
durch welche Verwendung sich der einem Platze
dieses Viertels laut einer Verfügung von 1566
verliehene Name des Lombaert graef) er-
klärt. Es war gewissermafsen der Friedhof für
die Ausgestofsenen und Verachteten, zu denen
damals auch die Geldverleiher und Wechsler
gehörten. Wenige Jahre nach Begründung der
ersten Pfandleihanstalt, 1623, wurde der Kirchhof
in ein Asyl der „Abbaye de Parc" einbezogen.

Unsere Abschweifung wird dem Leser eine
Vorstellung von der Lage der Geldverleiher in
Brüssel gegeben haben. Sicherlich hatten die
Stifter des Altarschreines durch Adrien und
Pierre de Villa Beziehungen zu dieser Stadt.

Claudio Villa, der jugendliche Stifter, war
Herr von Cinzano, Mitlehnsherr von Villastel-
lone und Corveglia und Angehöriger einer alten
aus Chievi stammenden Familie. Er war Sohn
des Addonins, der von 1390—1430 lebte und
der Cremondina Broglia. Er heirathete Gentina
Solaro, die Tochter des Faraon Solaro, Herrn
von Maretta. Er war der Einzige seines Hauses
welcher im XV. Jahrh. eine Solaro heimführte,
so dafs über seine Persönlichkeit kein Zweifel
bestehen kann. Claudio de Villa und sein Bruder
Pietro, Herr von Rivalba und Mitlehnsherr von
Corveglia hatten, wie gesagt, Beziehungen zu
Flandern und Brabant. 1448 machte Claudio
Ankäufe in Ypern; daselbst heirathete sein Bruder
Philipp eine Margarethe Sandegheim.10}

Ueber die Familie Sandegheim Näheres zu
erfahren, ist uns nicht möglich gewesen. Nur
haben uns einige Kenner alter flandrischer Fa-
miliengeschichte Zweifel über die Richtigkeit
des Namens ausgedrückt. Nach ihrer Meinung

9) Siehe die Mittheilungen von Herrn Georg
Cumont in dem »Bulletin de la Societe d'Antropo.
logie de Bruxellest Bd. II S. 55.

10) Dem Herrn Grafen A. Pensa de Marsaglia sind
wir wegen mancher interessanten Belehrungen zu grofsem
Dank verpflichtet, dem wir hiermit Ausdruck geben.
 
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