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1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. G.
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stücke nicht bekannt sind. Man begnügte sich,
wenn man Figuren von solcher Gröfse zur Dar-
stellung bringen wollte, zumeist damit, die Figuren
in Umrissen herzustellen, die in den Mantel
eingeritzt wurden. Dieses Verfahren, welches bis
in das XV. Jahrh. in Uebung blieb, bot gegen-
über den Figuren in Relief den Vortheil, dafs
eine nachtheilige Einwirkung auf den harmo-
nischen Klang dabei vollständig ausgeschlossen
war. Aus diesem Grunde halten auch gegen-
wärtig — wenigstens in Deutschland — die bes-
seren Glockengiefser den Schmuck der Glocken
in möglichst bescheidenen Grenzen, indem sie
den verneigt er sich vor der Jungfrau. Der
Oberkörper ist gegenüber der sonstigen Haltung
etwas verdreht, im Uebrigen aber ist die Stellung,
soweit das in dem schwachen Relief möglich
war, lebenswahr wiedergegeben.
Als Attribut seiner Sendung trägt der Engel
ein Schriftband, welches sich um eine, einem
Scepter gleich getragene Lilie schlingt. Die
Lilie, sowie namentlich auch die Flügel, sind
ganz naturalistisch gehalten.
Mit scheu zurückgebogenem Oberkörper steht
die Jungfrau da, den Kopf leicht nach vorne
gesenkt; die Rechte auf den leicht aufgerafften
I
l»- Fig. Ib. Fig. 2.
Reliefs der grofsen Glocke der Liebfrauen- ^eberwasser-l Kirche zu Münster i. W.
ihn fast atisschliefslich auf ein mehr oder minder
verziertes Inschriftband am oberen Mantelrande
und eine sich in mäfsigen Grenzen bewegende
Profilirung des Schlagringes beschränken.
Die Verkündigungsgruppe (Fig. la u. 1 b) be-
steht aus zwei völlig getrennt gehaltenen Figuren.
Der Engel ist dargestellt in langem, über den
Hüften geschürztem Gewände, dessen Aermel
sich enge an das Handgelenk anschließen. Eine
steife, aufrecht stehende Borte bildet den Kragen.
In schlichten Falten fällt das Gewand herab: dies,
sowie die in Ruhe herniedergesenkten Hügel
zeigen, dafs der Bote des Himmels sein Ziel
erreicht hat: mit übereinandergekreuzteo Han-
Mantel gelegt, hält- sie in der herabgesunkenen
Linken das Buch, in dem sie soeben gelesen,
und lauscht der göttlichen Botschaft. Die vor-
liegenden Abbildungen, die nach Photogra-
phien von Gipsabgüssen5) hergestellt sind, lassen
die Spuren der mehrfachen Uebertragung zwar
nicht verkennen, gleichwohl aber treten die
edel gebildeten Züge des jungfräulichen Ge-
sichtes deutlich genug hervor. Charakteristisch
für die Zeit sind die schlankgebildeten schmalen
Hände; ebenso das Gewand, das hochgegürtet
6) Die nach Tbonabdrttcken hergestellten Gips-
abgüsse verdanke ich dem bekannten, leider so früh
verstorbenen Bildhauer Hieige von Munster.
1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. G.
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stücke nicht bekannt sind. Man begnügte sich,
wenn man Figuren von solcher Gröfse zur Dar-
stellung bringen wollte, zumeist damit, die Figuren
in Umrissen herzustellen, die in den Mantel
eingeritzt wurden. Dieses Verfahren, welches bis
in das XV. Jahrh. in Uebung blieb, bot gegen-
über den Figuren in Relief den Vortheil, dafs
eine nachtheilige Einwirkung auf den harmo-
nischen Klang dabei vollständig ausgeschlossen
war. Aus diesem Grunde halten auch gegen-
wärtig — wenigstens in Deutschland — die bes-
seren Glockengiefser den Schmuck der Glocken
in möglichst bescheidenen Grenzen, indem sie
den verneigt er sich vor der Jungfrau. Der
Oberkörper ist gegenüber der sonstigen Haltung
etwas verdreht, im Uebrigen aber ist die Stellung,
soweit das in dem schwachen Relief möglich
war, lebenswahr wiedergegeben.
Als Attribut seiner Sendung trägt der Engel
ein Schriftband, welches sich um eine, einem
Scepter gleich getragene Lilie schlingt. Die
Lilie, sowie namentlich auch die Flügel, sind
ganz naturalistisch gehalten.
Mit scheu zurückgebogenem Oberkörper steht
die Jungfrau da, den Kopf leicht nach vorne
gesenkt; die Rechte auf den leicht aufgerafften
I
l»- Fig. Ib. Fig. 2.
Reliefs der grofsen Glocke der Liebfrauen- ^eberwasser-l Kirche zu Münster i. W.
ihn fast atisschliefslich auf ein mehr oder minder
verziertes Inschriftband am oberen Mantelrande
und eine sich in mäfsigen Grenzen bewegende
Profilirung des Schlagringes beschränken.
Die Verkündigungsgruppe (Fig. la u. 1 b) be-
steht aus zwei völlig getrennt gehaltenen Figuren.
Der Engel ist dargestellt in langem, über den
Hüften geschürztem Gewände, dessen Aermel
sich enge an das Handgelenk anschließen. Eine
steife, aufrecht stehende Borte bildet den Kragen.
In schlichten Falten fällt das Gewand herab: dies,
sowie die in Ruhe herniedergesenkten Hügel
zeigen, dafs der Bote des Himmels sein Ziel
erreicht hat: mit übereinandergekreuzteo Han-
Mantel gelegt, hält- sie in der herabgesunkenen
Linken das Buch, in dem sie soeben gelesen,
und lauscht der göttlichen Botschaft. Die vor-
liegenden Abbildungen, die nach Photogra-
phien von Gipsabgüssen5) hergestellt sind, lassen
die Spuren der mehrfachen Uebertragung zwar
nicht verkennen, gleichwohl aber treten die
edel gebildeten Züge des jungfräulichen Ge-
sichtes deutlich genug hervor. Charakteristisch
für die Zeit sind die schlankgebildeten schmalen
Hände; ebenso das Gewand, das hochgegürtet
6) Die nach Tbonabdrttcken hergestellten Gips-
abgüsse verdanke ich dem bekannten, leider so früh
verstorbenen Bildhauer Hieige von Munster.