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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 6
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Schnütgen, Alexander: Romanischer Bronzeleuchter im ungarischen Nationalmuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0111

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189

1893. — ZEITSCHRIFT KÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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hatte in ganz Deutschland schon im XI. Jahrh.
einen hohen Grad der Vollendung erreicht, aber
neben vereinzelten gut modellirten und sauber
durchgeführten Gebilden, als welche aufser den
sehr verbreiteten kleinen und auch grofsen
Leuchtern, namentlich Aquamanilien, Christus-
körper, Reliquiare in Frage kommen, erscheinen
überall zahlreiche Handwerksprodukte und diese
überwiegen noch in den beiden folgenden Jahr-
hunderten, aus denen die meisten derartigen
Gegenstände her-
rühren. Sie bilden
den Löwenantheil
des aus der roma-
nischen Periode
stammenden Me-
tallgeräthes, und
die Liebhaberei
der Sammler hat
sie in den letzten
Jahrzehnten derart
bevorzugt, dafs
ihre Preise eine
grofse Steigerung
erfahren, natürlich
auch die Fälscher-
künste zu üppiger
Thätigkeit ver-
lockt haben. Die
phantastische Ge-
staltung dieserGe-
räthe, besonders
die überaus ge-
schickte Verwen-
dung der Thier-
welt, wie Drachen,
Eidechsen u. s. w.
mag zu dieser auf
dekorativen Rück-
sichten beruhen-
den Bevorzugung
hauptsächlich beigetragen haben. So häufig aber
diese komplizirten Thierverschlingungen begeg-
nen, die zum Theil wahre Meisterwerke des
Kunstgusses sind, so selten finden sich einzelne
der Natur oder der Sage angehörige Figuren als
Lichtträger, und bei diesen wächst der Licht-
teller in der Regel aus einer Versenkung des
Rückens heraus. Löwen, Drachen, Centauren
erscheinen vereinzelt als solche Lichtträger, wie
sie auch den Aquamanilien als Vorbilder gedient
haben. Für die Wahl gerade dieser Thiere über-

all tiefere symbolische Gründe anzunehmen,
dürfte über das Ziel hinausschiefsen; ihre phan-
tastische Erscheinungsart genügte, um sie für
diesen Zweck zu verwenden. Selbst für das
Fabelwesen, aus welchem in dem vorliegenden
Falle aufsergewöhnlicher Weise ein Leuchter kon-
struirt worden ist, wird es nicht nöthig sein,
nach sinnbildlichen Ursachen zu forschen. Die
Sirenen, welche vom Propheten Isajas (XIII, 22)
als die Bewohner des verwüsteten Babylon be-
zeichnet werden,
sind aus der heid-
nischen Kunst in
die christliche her-
übergenommen
worden und der
„Physiologus" be-
schreibt sie als aus
Weib und Fisch
oder aus Weib und
Vogel bestehende
Wesen, die durch
ihren verführe-
rischen Gesang die
Schiffer anziehen,
einschläfern und
in ihre Gewalt
bringen. Um dä-
monische Wesen
also handelt es
sich, und wenn
sie zu Lichtträgern
degradirt werden,
so mag immerhin
der Gedanke, dafs
Christus, der als
das wahre Licht in
die Welt gekom-
men ist, sie über-
wunden hat, dazu
angeregt haben.—
Dafs die Ranke, welche den Rücken sehr glücklich
verziert um sich zum Lichtteller zu entwickeln,
zugleich von den Händen der Sirene gehalten
wird, ist eine sehr geschickte Lösung, zu der
mir nur wenige Analogien bekannt sind. — Auf
diese Weise gewinnt der vorliegende Leuchter ein
besonderes Interesse, der ganz gut in dem Lande,
in welchem er neuerdings zu Tage getreten ist,
auch entstanden sein kann, aber, bei dem ihn
auszeichnenden Realismus, wohl nicht vor dem
Schlüsse der romanischen Periode. Schnuigen.
 
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