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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
150
Christi mehr zu bedeuten haben als Repräsen-
tation des verblendeten und den Heiland
kreuzigenden Judentums und der aus seiner
Seite hervorgehenden Sponsa, der Kirche, ist
sehr unwahrscheinlich. Weder die Ausstattung
der Ecclesia mit Kelch und Kreuzesfahne und
der Synagoga mit Speer, Schwamm, Gesetzes-
tafel, noch auch die Inschrift: Caudeat ecclesia
dira de morle icdemta, Legis summa perit, dum
vita mundum redemil, enthalten irgend eine
Andeutung auf die Opfer des alten oder neuen
Bundes. Wohl aber dürfte letzteres der Fall
sein auf dem Augsburger Altärchen, auf dem
der Gekreuzigte als Vorsteher und Opfer
(praesul et hostia) bezeichnet wird, welches
uns die hl. Geheimnisse verleiht (sacra manat)
d. h. hier die geheimnisvolle Erneuerung des
blutigen Opfers in der hl. Messe; die Ecclesia
wäre also in diesem Falle das Symbol des
Mefsopfers, die Synagoga konsequent des Bild
des verworfenen jüdischen Opfers, es wäre der
entsprechendste Ausdruck für die Erfüllung des
Prophetenwortes: „Ich habe keinen Gefallen
an euch, spricht der Herr der Heerscharen
und nehme kein Opfer an aus euern Händen.
Denn vom Aufgange der Sonne bis zum Unter-
gange wird mein Name grofs werden unter den
Völkern und an allen Orten wird meinem
Namen geopfert und ein reines Opfer darge-
bracht werden" (Malachias I, 10 ff).I78)
Auch die Fortsetzung und Vollendung
des Kreuzesopfers in der himmlischen Glorie179)
durfte nicht fehlen; sie wird repräsentiert,
durch das Lamm Gottes in der Gloriola,
wie in München und Modena, auch in Osna-
brück und Melk, wo es von zwei Engeln ge-
halten und emporgetragen wird. — Die Be-
stimmung des Altars erklärt ferner zwanglos
das Vorhandensein der Engel auf den Altären
zu Bamberg, Brüssel, Berlin, Melk. Sie strecken
anbetend ihre Hände aus gegen den Heiland,
der auf dem Altar unblutiger Weise sein Opfer
erneuert, und sprechen, wie der Priester vor
Beginn des Kanons: „Sanctus, Sanctus, Sanctus,
Dominus Deus Sabaoth."
Neben den genannten vier Gruppen be-
gegnen uns zahlreiche andere Darstellungen auf
der Deck- bezw. Bodenplatte des Portatile.
Der Grund hierfür liegt weniger in der Be-
stimmung des Altares als in der Symbolik des
Mittelalters. Zwar hat das abendländische
Mittelalter kein „Normalbuch" geschaffen wie
das Malerbuch von Athos, auch das Speculum
Disciplinae des Honorius von Autun, welches
man dazu hat machen wollen, ist dieses nicht,
wohl aber enthält es neben anderen zahlreichen
mittelalterlichen Werken, namentlich dem
Mitrale Sicards von Cremona, der Gemma
animae des genannten Honorius und dem
Rationale des Durandus am besten die An-
schauungen des Mittelalters über die Bedeutung
der Kirche und kirchlichen Gegenstände. Be-
sonders vermag uns Durandus (- 1296) der
' alles zusammengetragen hat, was seine Vor-
j ganger geschrieben und gedeutet hatten, hier-
i über den vollsten Aufschlufs zu geben.180)
Das mittelalterliche Auge sah in dem Altare
: ein Symbol Christi und zwar vornehmlich
! seiner gottmenschlichen Seite nach. So soll
I bereits Melito von Sardes in seinem vielge-
| nannten Clavis erklärt haben: „Mensa Domini
Jesus Christus". Rupert von Deutz aber
schreibt: „Altare significat Christum", und
Sicard von Cremona: „Altana lapidea sig-
j nificant Christum, qui est lapis de monte sine
i manibus excisus" und ähnlich sprechen alle
i andern Liturgiker. Ist nun der Altar ein
Symbol Christi, dann handeln die Künstler
nur konsequent, wenn sie so häufig die Deck-
und Seitenplatten mit Szenen aus dem Leben
Jesu beleben, angefangen von seiner Empfäng-
nis bis zur Himmelfahrt, wie wir dieses bei
der vorhergehenden Einzelbeschreibung wieder-
holt gesehen haben.181)
Diese Symbolik erklärt uns auch viele
andere Einzelheiten in der figürlichen Aus-
stattung des Portatile und zwar zunächst noch
llr) Sauer, »Symbolik des Kirchengebäudes und
seiner Ausstattung« (Freiburg 1902), S. 158 schreibt
in ähnlicher Erklärung: Oben erblickt man die...
Opfer Abels, Melchisedechs und Abrahams; auf dem
unteren Horizontalreifen das Gegenstück und die
Verwirklichung: Christus im Kampfe zwischen der
Ecclesia und Synagoga. S. auch Weber, a. a. O.
S. 133.
"•) Vgl. Thalhofer, »Liturgik« I >, 179ff.
lǡ) Vgl. Springer, Ȇber die Quellen der Kunst-
vorstellungen im Mittelalter«, (Leipzig 1879), 29 f.
Male, »L'art religieux du XIII. siecle en France«,
(Paris 1898) 53 ss. Sauer, a. a. O. S. 298 ff.
181) Melito, Clavis bei Pitra, »Spicil. Solesm.«
III, 213. Diese von Pitra, dem bereits 194 ver-
storbenen Bischof Melito zugeschriebene Ausgabe ist
eine Kompilation viel späterer Zeit. Vergl. Barden-
hewer, »Patrologie«, 2. Aufl. (1901), 567. —
Rupertus Tuitiens., »De divin. officiis«, 1. V. c.
30. Migne, P. L, 170, 150. Sicardus, »Mitralis«
1. I. c. 3. Migne, P. L., 213, 18.
1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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Christi mehr zu bedeuten haben als Repräsen-
tation des verblendeten und den Heiland
kreuzigenden Judentums und der aus seiner
Seite hervorgehenden Sponsa, der Kirche, ist
sehr unwahrscheinlich. Weder die Ausstattung
der Ecclesia mit Kelch und Kreuzesfahne und
der Synagoga mit Speer, Schwamm, Gesetzes-
tafel, noch auch die Inschrift: Caudeat ecclesia
dira de morle icdemta, Legis summa perit, dum
vita mundum redemil, enthalten irgend eine
Andeutung auf die Opfer des alten oder neuen
Bundes. Wohl aber dürfte letzteres der Fall
sein auf dem Augsburger Altärchen, auf dem
der Gekreuzigte als Vorsteher und Opfer
(praesul et hostia) bezeichnet wird, welches
uns die hl. Geheimnisse verleiht (sacra manat)
d. h. hier die geheimnisvolle Erneuerung des
blutigen Opfers in der hl. Messe; die Ecclesia
wäre also in diesem Falle das Symbol des
Mefsopfers, die Synagoga konsequent des Bild
des verworfenen jüdischen Opfers, es wäre der
entsprechendste Ausdruck für die Erfüllung des
Prophetenwortes: „Ich habe keinen Gefallen
an euch, spricht der Herr der Heerscharen
und nehme kein Opfer an aus euern Händen.
Denn vom Aufgange der Sonne bis zum Unter-
gange wird mein Name grofs werden unter den
Völkern und an allen Orten wird meinem
Namen geopfert und ein reines Opfer darge-
bracht werden" (Malachias I, 10 ff).I78)
Auch die Fortsetzung und Vollendung
des Kreuzesopfers in der himmlischen Glorie179)
durfte nicht fehlen; sie wird repräsentiert,
durch das Lamm Gottes in der Gloriola,
wie in München und Modena, auch in Osna-
brück und Melk, wo es von zwei Engeln ge-
halten und emporgetragen wird. — Die Be-
stimmung des Altars erklärt ferner zwanglos
das Vorhandensein der Engel auf den Altären
zu Bamberg, Brüssel, Berlin, Melk. Sie strecken
anbetend ihre Hände aus gegen den Heiland,
der auf dem Altar unblutiger Weise sein Opfer
erneuert, und sprechen, wie der Priester vor
Beginn des Kanons: „Sanctus, Sanctus, Sanctus,
Dominus Deus Sabaoth."
Neben den genannten vier Gruppen be-
gegnen uns zahlreiche andere Darstellungen auf
der Deck- bezw. Bodenplatte des Portatile.
Der Grund hierfür liegt weniger in der Be-
stimmung des Altares als in der Symbolik des
Mittelalters. Zwar hat das abendländische
Mittelalter kein „Normalbuch" geschaffen wie
das Malerbuch von Athos, auch das Speculum
Disciplinae des Honorius von Autun, welches
man dazu hat machen wollen, ist dieses nicht,
wohl aber enthält es neben anderen zahlreichen
mittelalterlichen Werken, namentlich dem
Mitrale Sicards von Cremona, der Gemma
animae des genannten Honorius und dem
Rationale des Durandus am besten die An-
schauungen des Mittelalters über die Bedeutung
der Kirche und kirchlichen Gegenstände. Be-
sonders vermag uns Durandus (- 1296) der
' alles zusammengetragen hat, was seine Vor-
j ganger geschrieben und gedeutet hatten, hier-
i über den vollsten Aufschlufs zu geben.180)
Das mittelalterliche Auge sah in dem Altare
: ein Symbol Christi und zwar vornehmlich
! seiner gottmenschlichen Seite nach. So soll
I bereits Melito von Sardes in seinem vielge-
| nannten Clavis erklärt haben: „Mensa Domini
Jesus Christus". Rupert von Deutz aber
schreibt: „Altare significat Christum", und
Sicard von Cremona: „Altana lapidea sig-
j nificant Christum, qui est lapis de monte sine
i manibus excisus" und ähnlich sprechen alle
i andern Liturgiker. Ist nun der Altar ein
Symbol Christi, dann handeln die Künstler
nur konsequent, wenn sie so häufig die Deck-
und Seitenplatten mit Szenen aus dem Leben
Jesu beleben, angefangen von seiner Empfäng-
nis bis zur Himmelfahrt, wie wir dieses bei
der vorhergehenden Einzelbeschreibung wieder-
holt gesehen haben.181)
Diese Symbolik erklärt uns auch viele
andere Einzelheiten in der figürlichen Aus-
stattung des Portatile und zwar zunächst noch
llr) Sauer, »Symbolik des Kirchengebäudes und
seiner Ausstattung« (Freiburg 1902), S. 158 schreibt
in ähnlicher Erklärung: Oben erblickt man die...
Opfer Abels, Melchisedechs und Abrahams; auf dem
unteren Horizontalreifen das Gegenstück und die
Verwirklichung: Christus im Kampfe zwischen der
Ecclesia und Synagoga. S. auch Weber, a. a. O.
S. 133.
"•) Vgl. Thalhofer, »Liturgik« I >, 179ff.
lǡ) Vgl. Springer, Ȇber die Quellen der Kunst-
vorstellungen im Mittelalter«, (Leipzig 1879), 29 f.
Male, »L'art religieux du XIII. siecle en France«,
(Paris 1898) 53 ss. Sauer, a. a. O. S. 298 ff.
181) Melito, Clavis bei Pitra, »Spicil. Solesm.«
III, 213. Diese von Pitra, dem bereits 194 ver-
storbenen Bischof Melito zugeschriebene Ausgabe ist
eine Kompilation viel späterer Zeit. Vergl. Barden-
hewer, »Patrologie«, 2. Aufl. (1901), 567. —
Rupertus Tuitiens., »De divin. officiis«, 1. V. c.
30. Migne, P. L, 170, 150. Sicardus, »Mitralis«
1. I. c. 3. Migne, P. L., 213, 18.