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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Halm, Philipp Maria: Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters, [3]: Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0139

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213

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

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der Weinstock, mein Vater ist der Winzer",
oder der Worte: „Ich bin der Weinstock, ihr
seid die Reben." Das Bild des Weinstocks
ist ja in der mittelalterlichen Kunst so be-
liebt, dafs es ganz natürlich erscheint, die
figürlichen Symbole Christi auch mit diesem
geläufigen pflanzlichen zu umkleiden. Für
die zwei Wangenteile mit den Defensorien
sehen wir aber bezeichnender Weise die Rose,
das Sinnbild Mariens, verwendet. So wie
wir nun für die vier Symbole des ersten
Wangenpaares die reine Mutter Maria als
gemeinsamen Mittelpunkt erkannten, gelangen
wir zu dem Schlüsse, dafs in der zweiten

Symbolenfolge
Christus, der aus
der Jungfrau ge-
borene Gottes-
sohn, als das vier-
fach variierte The-
ma zu erblicken
ist. Und sollte
nun das Bildwerk
der bisher unbe-
rücksichtigten
Wange (Abb. 4),
die beiden sich
umschlingenden
drachenartigen
Ungeheuer, eines
tieferen Sinnes
entbehren? Die

Gestalt dieser
Tiere stimmt völ-
lig mit der der
Aspis überein, wie sie auch sonst in der
Plastik und in den Psalterien dargestellt
wird: „ein Tier mit Vogelkörper, mit zwei
klauenartigen Füfsen, einem langen Hals mit
Kopf, der eine lange Schnauze und lange
gespitzte Ohren besitzt, und mit einem
schlangenartig geringelten Schwanz."**) Die
Aspis ist das Bild der Leidenschaft, mit der
der Mensch in stetem Kampfe liegt, die Sünde,
das Böse. „Super aspidem et basiliscum am-
bulabis et conculcabis leonem et draco-
nem" singt David in Psalm 91, 13 und die
Psalterillustrationen und Tympana geben oft
dieses Bild des Sieges des Erlösers.**) Wenn
nun auch die fünf Wangen durchaus nicht, wie

Abb. »i u. 7. Teil einer Chorstuhlwange aus der ehemaligen Stiftskirche
zu Berchtesgatien.

") Goldschmidt, »Der Albanipsalter«

.vi.

wir annehmen dürfen, den vollzähligen Bilder-
schmuck des alten Gestühles umfassen, so
steht doch nichts im Wege, den dreifachen
symbolischen Gehalt derselben einem einheit-
lichen Gedanken einzuordnen, dem Gedanken,
dafs Christus durch die Geburt aus Maria der
Jungfrau Mensch geworden ist und Tod und
Sünde überwunden hat. Es bietet uns demnach
die Symbolik der Berchtesgadener Chorstühle
ähnlich wie der plastische Schmuck so vieler
mittelalterlicher Kirchenportale, z. B. jener des
Westportales der Lorenzer Kirche in Nürnberg
oder wie die Reliefs der Altöttinger Türen einen
Abrifs der kirchlichen Heilslehre.

Die Berchtesga-
dener Chorstühle
wurden laut der
Inschrift an den
jetzt noch an Ort
und Stelle erhal-
tenen Teilen des
Gestühls um 1440
erneuert; die alten
Wangen fanden
dabei Verwen-
dung. Im XVIII.
Jahrh. erlitt das
Gestühl nochmals

Schaden durch
den Einbau eines
Oratoriums in den
Chor. Somit ha-
ben wir die noch
erhaltenen Teile
nur als Bruch-
stücke anzusehen; Anhaltspunkte zur Rekon-
struktion des alten Gestühles fehlen. Ich möchte
nur der Vermutung Ausdruck geben, es könnte
das Gestühl im ursprünglichen Zustande, d.h. im
Vollbesitz all' seiner Symbole — wenn auch in
anderer Anordnung derselben — einem Chor-
gestühl geglichen haben, das sich noch in der
St. Johanneskirche in Osnabrück befindet; dies
gehört jedoch erst der Zeit um 1400 an.*8) An
der Rückwand dieses bilderreichen Gestühles
erscheint zunächst als Mittelpunkt des Ganzen
Christus im Bilde des Gotteslammes. Seit-

") Abgebildet bei A. Pabst, »Kirchenmöbel des
Mittelalters und der Neuzeit« Taf. 2 und in »Meister-
werke der Kunst und des Kunstgewerbes vom Mittel-
alter bis zur Zeit des Rokoko« mit Erläuterungen
von Hans Stegmann, Lübeck 1904, Taf. X.



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