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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schreiber, Wilhelm Ludwig: M. Bouchots Ansichten über die Erstlinge der Holzschneidekunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0039

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51

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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Generationen zu düpieren, so wüßte ich wirk-
lich keinen Grund. Und zweitens! Das
Klosterwappen und der Text sind unbedingt
in Tegernsee selbst oder in dessen Auftrage
von einem in der Nachbarschaft lebenden
Formschneider geschnitten worden — und
diese Hand sollte nicht imstande gewesen
sein, auch noch die paar kunstlosen Rundbild-
chen anzufertigen? Das konnte doch Bouchot
selbst nicht behaupten wollen!

Ähnliche Trugschlüsse knüpft Bouchot an
die 5. Tafel meines VI. Bandes. Ich hatte
im Text (Nr. 1315) bemerkt, daß der darge-
stellte Heilige kaum „S. Cassian" sein werde,
wie man damals in Paris annahm, sondern
daß eher an S. Erasmus oder an S. Benignus,
den Bischof von Dijon, zu denken sei. Für
Bouchot unterlag es keinem Zweifel, daß es
sich nur um den letzteren handeln könne und
daß das Blatt daher in Dijon entstanden sein
müsse, obschon er selbst mitteilt, daß es nach
der Angabe des Vorbesitzers von ihm einst
in Deutschland gekauft worden sei, jedoch
diese ihm unbequeme Tatsache durch die
Vermutung, es könne eine Verwechslung vor-
liegen, abzuschwächen sucht. Auf dieser Hypo-
these, die ich weiterhin nachdrücklich wider-
legen werde, baut er weiter. Er faßt alle
Holzschnitte, welche dieselben Stileigenheiten
aufweisen — und es handelt sich um die
ältesten und schönsten, die uns überhaupt er-
halten sind —, zusammen, schreibt sie einem
„maitre aux boucles" zu und bezeichnet
,Bourgogne" als dessen Heimat.

Nachdem er so sämtliche Holzschnitte der
frühesten Zeit Deutschland abgesprochen, die
durch den Biberacher „S. Bernhard" vertretene
zweite Periode für Frankreich in Beschlag ge-
nommen und die deutschen Inschriften auf
den Blättern des dritten und vierten Viertels
des XV. Jahrh. als spätere Hinzufügungen
hingestellt hat, bleibt für Deutschland natürlich
nichts mehr übrig. Hatte Bouchot in seiner
1902 erschienenen Abhandlung „Un ancetre
de Ia gravure sur bois" sich noch (S. 128)
auf die Bemerkung beschränkt: „N'oublions
pas, et ceci n'a point ete dit, que la grande
periode d'art graphique commence, pour
l'Allemagne, en 1477, lorsque Marguerite de
Bourgogne, fille du Tömeraire, s'en va lä-bas",
so ist ihm jetzt dieser Termin noch viel zu
früh, und er spricht (S. 13) nur noch von
„les vraies estampes allemandes de la fin du

XVe siecle, les seules que l'on puisse laisser,
sans Opposition, aux ouvriers allemands". Er
präzisiert seine Ansicht bei Nr. 183, die mit
dem Wappen der Stadt Nürnberg und der
Jahreszahl 1493 versehen ist: „C'est en somme
une des plus anciennes que l'Allemagne
puisse authentiquement revendiquer, car les
autres ont subi trop d'interpolations pour
qu'on en ose rien tirer de precis."

Daß mit dem Jahre 1461 in Deutschland
die Illustration typographischer Werke beginnt,
übergeht Bouchot vollkommen, und von den
deutschen Blockbüchern spricht er nur ein-
mal (S. 33) ganz flüchtig „il n'y a pas d'exemples
authentiques de signatures avant 1472 qui
est celle du Jörg Schapff zu Augsburg de la
chiromancia de Hartlieb". So viel Worte, so
viel Irrtümer! Von Friederich Walthern existiert
eine Armenbibel und ein Defensorium Mariae,
beide mit der Jahreszahl 1470 versehen; aus
dem Jahre 1471 gibt es eine Armenbibel von
Spoerer und ein Defensorium von Eysenhut;
eine Spoerersche Antichristausgabe trägt die
Jahreszahl 1472, aber eineChiromantie aus diesem
Jahre gibt es überhaupt nicht! Die Bibliotheque
Nationale besitzt selbst das Walthernsche
Defensorium von 1470 und zwei Exemplare
der Chiromantie, sowie sie auch an den mit
Holzschnitten versehenen Druckwerken, die
seit 1461 aus der Presse Albrecht Pfisters in
Bamberg hervorgingen, reicher ist als irgend
eine andere Bibliothek, aber Bouchot unter-
läßt es, davon Einsicht zu nehmen.

Trotzdem hält er sich für berechtigt, über
die deutsche Holzschneidekunst den Stab zu
brechen und ihre Existenz für das XV. Jahrh.
nahezu völlig zu bestreiten. Er zögert auch
nicht, meine Datierungen und Lokalisierungen
der einzelnen Blätter samt und sonders zu
verwerfen und durch seine eigenen Schätzungen
zu ersetzen. Hierbei mochte er wohl glauben,
daß es sich um „Ansichten" handle, über die
man zwar streiten, aber keine Beweise bei-
bringen könne. Er übersah jedoch, daß sich
unter den von ihm abgebildeten Blättern sieben
befinden, die aus typographischen Werken
herausgeschnitten sind und daß diese es jeder-
mann ermöglichen, über uns beide zu Gericht
zu sitzen:

Nr. 38 ist nach Bouchots Ansicht „une
oeuvre allemande (?) inspiree des f lamands",
ihre Entstehungszeit „1500—1510". — Ich
(Nr. 392) hatte mir kein Urteil über den
 
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