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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schreiber, Wilhelm Ludwig: M. Bouchots Ansichten über die Erstlinge der Holzschneidekunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0041

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1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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die Orthographie,,mein, berait, pitterkait" deutet
auf Bayern, wie ich (914) bemerkt hatte. —
Ebenso wenig trifft für Nr. 174 die Angabe
„Bäle vers 1480" zu; der Dialekt weist auf
Bayern, der Stil auf den Zeitraum 1465—1470.

Doch das sind Kleinigkeiten! Bei Nr. 171,
die mit einer längeren deutschen Inschrift
versehen ist, lesen wir „La langue allemande
de cette piece ne prejuge rien en faveur de
son attribution, bien que les caracteres en
paraissent formellement allemands". Also
wieder Schwindel, obschon sich auf der Rück-
seite des Papiers noch ein zweiter Holzschnitt
(Nr. 172) abgedruckt findet, der ebenfalls mit
deutschem Text versehen ist. Bouchot glaubt,
entdeckt zu haben, daß die beiden Bilder aus
verschiedenen Gegenden stammen. Für das
erstere setzt er „Haut Rhin ou Montbeliard"
fest, bei dem zweiten sagt er „Colmar. Nous
surprenons un editeur allemand publiant des
oeuvres acquises par lui ä d'autres ateliers".
In der Wirklichkeit stehen die schwäbischen
Formen „schaufe" (für Schaf) und „mensch-
lichait" der Nr. 171 in keinerlei Widerspruch
zu der Schreibweise „driueltikait, selikait und
klarheit" der Nr. 172, so daß wir sehr wohl
für beide den gleichen Entstehungsort, vielleicht
Augsburg, annehmen können.

Auch bei der Nr. 106 hat der deutsche
Text nichts zu bedeuten. Bouchot entscheidet
„Lorraine ou Picardie, 1440—1450. — Re-
marquons la tete chauve ou rasee qui est la
caracteristique du bourreau en France." — Wie
kommt es dann aber, daß auf Nr. 18 (Flandre-
Bourguignonne) und 20 (Bourgogne) zwar der
eine Henker kahlköpfig ist, der andere sich
aber reichen Haarschmucks erfreut? Soll der
zweite etwa in betrügerischer Absicht von
einem deutschen Holzschneider hinzugefügt
worden sein? — Nun könnte man vermuten,
daß wenigstens die Nrn. 15, 16, 17, 19 und 107
deutschen Ursprungs sein müßten, da es auf
ihnen überhaupt keine kahlköpfigen Henker,
sondern nur reichbehaarte gibt. Aber Bouchot
stellt als ihre Heimat fest: „Bourgogne, Colmar,
France ou Bourgogne, Flandre ou Picardie,
Lorraine ou Champagne." Wir stehen vor
einem Rätsel.

Ein anderes Kennzeichen soll der Weiden-
zaun sein, auf den ich zu wenig geachtet
habe, wie mein Herr Gegner (S. 124) bemerkt:
„Le petit enclos en treillis ne lui fournit
aucun indice, parce qu'il a pu voir de ces

haies dans les graveurs allemands du XVI"
siecle." Ich glaubte allerdings, daß Franzosen
und Deutsche schon zu Cäsars Zeiten mit
Flechtarbeiten vertraut gewesen wären, aber
Bouchot hebt bei seiner Nr. 8 hervor, daß
„surtout le treillis de la cloture" Lothringen
anzeige. Bei der Nr. 9, wo der gleiche Zaun
vorhanden ist, finden wir hingegen „Bour-
gogne" als Ursprungsland bezeichnet, und bei
der Nr. 145, wo wir im Hindergrund eben-
falls einen Flechtzaun bemerken, „Artois".

Auch andere Kennzeichen, auf die sich
Bouchot beruft, sind nicht besonders geeignet,
uns zu überzeugen. Er führt auf S. 136 eine
Urkunde an: „Item une imaige de S. Joseph
qui porte un bourdon" und folgert daraus „le
bourdon et la robe sont donc bien bourgig-
nons", ohne zu erwägen, daß fast auf allen
Bildern, welche die hl. Familie auf der Flucht
darstellen, Joseph einen Stab in der Hand
trägt. — Am Schluß der Nr. 38 macht er die
Bemerkung, daß „la croix veinee" auf flämi-
sche Abstammung deute; man kann aber
das gemaserte Kreuz auf den Kanonbildern
vieler in Deutschland gedruckter Meßbücher
wiederfinden. — Noch irriger ist seine mehr-
fach wiederholte Ansicht, daß ein in eine Lilie
endendes Szepter die französische Herkunft
bezeuge. Man möge die Kölner oder die
Schedeische Chronik, die deutschen xylo-
graphischen Totentanzausgaben oder irgend
einen alten Augsburger Druck zur Hand
nehmen, immer kehrt das Lilienszepter als
Symbol der königlichen Würde wieder. Der
König von Frankreich galt eben als der Re-
präsentant der Königswürde und deshalb wurde
sein Symbol auf die Würde übertragen. —
Infolge seiner Mißgriffe, an denen meist die
zu geringe Rücksichtnahme auf die Kunst-
erzeugnisse des Auslandes schuld trägt, hat
Bouchot es sich gefallen lassen müssen, daß
schon kurz nach dem Erscheinen seines Werkes
sein Landsmann, Prince d'Essling, in einer
Abhandlung „Le premier livre xylopraphique
italien" gegen die Datierung und Lokalisierung
der Nr. 51 Einspruch erhob. Bouchot hatte
aus einer Menge Einzelheiten beweisen wollen,
daß dieser Holzschnitt in Lothringen um 1430
(auf S. 102 behauptet er sogar 1415—1430)
entstanden sei, während der Fürst dafür ein-
trat, daß es sich um eine venetianische Arbeit
von etwa 1450 handle. (Fortsetzung folgt.)
Potsdam. "W. L. Schreiber.
 
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