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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schreiber, Wilhelm Ludwig: M. Bouchots Ansichten über die Erstlinge der Holzschneidekunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0058

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1P08. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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wenig beweist sie. Auch die Drucke Guten-
bergs und Schoeffers stehen turmhoch über
den typographischen Durchschnittsleistungen
des ausgehenden XV. Jahrh., und wir brauchen
nur die Illustrationen in den Drucken Anton
Sorgs und anderer Augsburger Drucker aus
der Zeit zwischen 1471 und 1480 mit denen
zu vergleichen, die in derselben Stadt von
1490—1500 verwendet wurden, um uns von
dem Rückgang der Holzschneidekunst zu über-
zeugen. Und wie steht es mit Frankreich ? Die
dort entstandenen Holzschnitte, die Bouchot
auf Taf. 77, 101, 157, 184, 187 und 188 ab-
bildet, sind, ebenso wie die zwei neuerdings
aufgefundenen großen Blätter mit den beiden
S. Roch und den beiden S. Johannes, den
deutschen Durchschnittsprodukten in keiner
Weise überlegen. Wären also die schönen
Blätter der Frühperiode wirklich in Frankreich
entstanden, wie Bouchot es uns glauben machen
will, dann hätte die französische Holzschneide-
kunst denselben Niedergang aufzuweisen, den
er bei der deutschen als eine Unmöglichkeit
hinzustellen sucht.

Und wo sind denn die 15 frühen Holz-
schnitte, die Bouchot (S. ] 24) als Werke des
„maitre aux boucles" zusammenfaßt, gefunden
worden ? (Diese Liste ist natürlich unvoll-
ständig, da Bouchot nur Blätter in Betracht
ziehen konnte, von denen ihm Reproduktionen
vorlagen. In der Wirklichkeit handelt es sich
nicht um Arbeiten eines einzigen Künstlers,
sondern es sind mehrere daran beteiligt, was
auch Bouchot als möglich zugibt. Zu streichen
sind jedoch die Nrn. 6 und 15 in seiner Liste,
da sie einer etwas späteren Zeit angehören.)
Acht von ihnen befinden sich in München
und wurden aus Büchern bayrischer Kloster-
bibliotheken abgelöst; Nr. 10 ist in Wien und
stammtaus Kloster Mondsee; Nr. 6 aus einer
deutschen Handschrift, welche die Priorin des
Nonnenklosters Intzkowen bei Sigmaringen im
Jahre 1449 geschrieben hat; die Nr. 3, 14 und
15 befanden sich früher in der Weigelschen
Sammlung; Nr. 2 ist von Hennin in Bayern
gekauft worden, und nur die Nr. 1 soll der-
selbe Sammler in Lyon erworben haben.

M. Bouchot sucht diese Tatsache ■ durch
den Einwand zu entkräften, daß zwischen den
französischen und den bayrischen Klöstern
ein reger Verkehr bestanden hätte. Dem steht
aber nicht nur die geringe Zahl französischer
Handschriften in den ehemaligen deutschen

Klosterbibliotheken entgegen, sondern man
wird auch fragen müssen, warum denn die
französischen Mönche nicht selbst solche Holz-
schnitte gesammelt haben. In den deutschen
Klöstern war jedenfalls Interesse dafür vor-
handen, und wenn wirklich der Bilddruck im
Auslande erfunden sein sollte — ich habe
selbst in der, Mainzer Festschrift darauf hin-
gewiesen, daß das nördliche Italien vielleicht
in Frage kommen könne —, so hätten unsere
Mönche sicherlich schnell die Neuheit nach-
geahmt oder geeignete Handwerker dazu an-
gespornt, da ja die Technik durch den Zeug-
druck (möglicherweise auch schon durch den
Spielkartendruck) bekannt war. Wäre hingegen
ein Franzose der Erfinder gewesen, so hätte
er infolge der Teilnahmlosigkeit seiner Lands-
leute verhungern müssen, wie einige Jahr-
hunderte später der Engländer J. B. Jackson
zum Tapetendruck übergehen mußte, weil die
von ihm angefertigten Farbenholzschnitte in
seiner Heimat keinen Anklang fanden.

Endlich spielt Bouchot (S. 126—130) noch
einen letzten Trumpf aus und behauptet, daß
man die auf den Holzschnitten des maitre aux
boucles dargestellten Heiligen zumeist völlig
verkannt habe. Der sogenannte S. Cassian
(meine Nr. 1315) sei tatsächlich der Bischof
Benignus von Dijon, ein angeblicher S.Wolf-
gang (meine Nr. 1734) in der Wirklichkeit
S. Leger (Leodegar) von Autun, eine vorgeb-
liche S. Dorothea (meine Nr. 1394) zweifellos
die hl. Opportuna. Diese drei Heiligen seien
nie in Deutschland bildlich dargestellt, sondern
nur in Frankreich verehrt worden, so daß
sich schon hieraus der französische (burgun-
dische) Ursprung der Holzschnitte des maitre
aux boucles ergebe. Mit dieser positiven
Sicherheit stimmt es aber schlecht überein,
daß Bouchot bei Nr. 76 eingesteht „II est
difficile de reconnaitre, sous ces figurines
uniformement vetues en eveques, les saints
speciaux que chacune d'elles indique; toutefois
il semble qu'on apercoive dans le nombre
S. Denis, S. Eugene, S. Ferreol, S. Benigne,
S. Leger, S.Vit, S. Erasme, et S. Symphorien".

M. Bouchot hat das Spiel verloren: Diese
Nr. 76, die ich leider wie so viele andere
Blätter in Paris nicht zu sehen bekommen
habe, entscheidet die Frage. Auf ihr sind
nämlich nicht, wie er vermeint, die Leiden
zwölf verschiedener Heiliger dargestellt, sondern
die zwölf Torturen, die der hl. Erasmus er-
 
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