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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Moeller, Ernst von: Die Zahlensymbolik in ihren Beziehungen zur Gerechtigkeit
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143

1908 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

144

hl. Bernhard von Clairvaux, obwohl auch
dieser zu den Musiktheoretikern des Mittel-
alters gehört, vielmehr der Abt Bern16) des
Klosters Reichenau, der, ursprünglich Mönch
im Kloster Prüm, 1008 seinen Posten antrat
und bis zu seinem Tod im Jahr 1048 be-
hielt. Dieser Abt, der zuweilen auch Berno
oder Bernhard genannt wird, hat einen „To-
narms" geschrieben und einen Prologus dazu.
In dieser Einleitung sagt er:17) Die acht Töne
der Oktave kehren, indem die Gerechtigkeit
sozusagen es vorschreibt,18) mit dem achten
Tone gleichsam zu ihrem Erzeuger zurück.
Daher nannten die Alten den „octonarius"
schön Gerechtigkeit,19) nicht allein wegen
jener harmonischen Beziehung, sondern auch
weil er sich dergestalt in gleiche Hälften, vier
und vier, zerlegen läßt, daß man wiederum
jede in zwei gleiche Hälften, zwei und zwei,
zerlegen kann.

Musikalische und arithmetische Beobach-
tungen treffen hier miteinander zusammen.
Aber es scheint klar, daß Bern unter seinem
„Octonarius" nicht die Oktave und auch nicht
den achten Ton, sondern einfach die Zahl
Acht versteht. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß sich jenes Zitat des Marchettus
von Padua auf diesen Ausspruch Berns be-
zieht. Und Marchettus hat ganz richtig zu dem
Ausdruck „octonarius" „numerus" hinzugefügt.

Die Zahl Acht ist in den indoeuropäischen
Sprachen nicht bloß zahlenmäßig, sondern
auch sprachlich als Verdoppelung der Vier
aufzufassen;20) sie stellt sich, sagt Schrader,
als deutliche Dualbildung dar und scheint den
Blick in eine Zeit zu eröffnen, in der die
Grundzahlen nur innerhalb einer Tetrade
(1—4) sprachlich ausgebildet waren.21) Die
Zahl Acht ist femer die erste selbständige

16)Hauck, »Kirchengeschichte Deutschlands«,
IH3u. 4, 1906, p. 482, 486, 493, 523, 531, 553 f.,
559, 562, 620, 967 f. Brambach, »Reichenauer
Sängerschule», in den Beiheften zum Zentralblatt f.
Bibliothekswesen, I, 2. 1888, p. 15. Wetz er
und Weite, »Kirch. Lex.« II2, 1883. Sp. 446.
Potthast, »Wegweiser«, I2, p. 154. Watten-
bach, »Gesch.-Q.«, I.6, p. 398, II-, p 42.

") Migne, Patrol. lat. CXLII. 1853, c. 1103;
cf. Gerbert, Scr. II, p. 61 ff.; Abert, p. 187.

") Quadam dictante justitia.

19) Pulchre eumdem octonarium antiqui justitiam
vocaverunt.

*") Grimm, »Wörterbuch«, I, Sp. 164.

21) = Reallexikon der indogermanischen Altertums-
kunde.« 1901, p. 967 f.

Kubikzahl (2-2-2) und das Doppelte der
kleinsten Quadratzahl. Und zugleich ist sie
Anfang und Differenz der Reihe, die durch
die Quadrate der ungeraden Zahlen (1, 9,
25, 49, 81 usw.) gebildet wird. Endlich
steigert sie die Sieben um eins und hat da-
durch, ganz abgesehen von ihren anderen
Eigenschaften, große Bedeutung für die Sym-
bolik erlangt. Schon in der Philosophie und
Musiklehre des Altertums spielt sie von
Pythagoras ab ihre Rolle. Und darüber
hinaus weist in noch höheres Altertum der
rätselhafte phönizische Gott Esmun22) zurück,
der als „Achter" zu den sieben „Kabiren"
hinzukam und wie sie als Schutzherr der
Ordnung und des Rechtes galt.

Unter diesen Umständen scheint es gänz-
lich verfehlt, wenn Abert28) jene Angabe Berns,
die ihm Marchettus nachsprach, die Alten
hätten die Zahl Acht Gerechtigkeit genannt,
einfach für ein Mißverständnis erklärt; die
Alten, das heiße die Pythagoreer, hätten wohl
gelegentlich die Zahlen Vier und Neun, nicht
aber die Acht als Gerechtigkeit aufgefaßt.
Der Vorwurf, der damit dem Abte Bern ge-
macht wird, ist offenbar vorschnell erhoben.

Schon bei den Kirchenvätern finden sich
Anhaltspunkte für Beziehungen zwischen der
Acht und der Gerechtigkeit. Sie äußern sich
über den mystischen Sinn der Zahl Acht
hauptsächlich bei der Erklärung des sechsten
Psalms, weil er der erste ist, in dessen Über-
schrift die Notiz „pro octava" steht, jener
harmlose kleine Zusatz, der heute einhellig
auf die Tonart, von manchen auf den Baß
bezogen wird. Gregor von Nyssa und viele
andere24) sehen darin eine Anspielung auf
die Auferstehung. Die Sieben ist die Zahl
des Weltlaufs im Kreise der siebentägigen
Wochen bis zum Gericht. Mit der Acht be-
ginnt die Welt der Erlösung, der Auferstehung.
Nicht die Gerechtigkeit, aber der Tag des
Gerichts, in dem die Gerechtigkeit triumphiert,
wird in der Acht symbolisiert gesehen. Manche,
wie Augustin25) und Beda,26) weisen aus-

sä) Duncker, »Geschichte des Altertums«, I.'
1874, p. 277 f.

23) p. 187.

-*) Migne, P. 1. XV. 1845, col. 1649. Am-
brosius: sicut enim spei nostrae octava perfectio
est, ita octava summa virtutum est; ibid. not. c.

«) Migne, Aug. IV, 1, col. 90.

") Migne, Bed. IV, col. 511.
 
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